Es ist eine unglaubliche Geschichte, mit einem tragischen Ende. Am 14. April 2023 erschießt ein Mann in Kreuzlingen einen anderen auf offener Straße. Mehrere Schüsse feuert er aus kurzer Distanz direkt auf das Opfer ab, welches noch am Tatort stirbt – die Polizei kann den Todesschützen dort festnehmen.

Die Gerichtsverhandlungen zu diesem Fall haben noch nicht begonnen. Dennoch steht der mutmaßliche Todesschütze von der Romanshornerstraße vor Gericht, allerdings in einem anderen Zusammenhang. Dieser liefert ein mögliches Motiv für diese erschütternde Exekution.

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In dem Fall, der am Bezirksgericht Kreuzlingen verhandelt wird, ist der angehende Angeklagte selbst der Kläger. Es geht um eine Geldforderung von knapp einer halben Million Franken, die ihm die Firma des Opfers schulden soll. Das Ganze soll so abgelaufen sein: Im Jahr 2021 fungiert der spätere Todesschütze als Investor bei einem Bauprojekt in Deutschland. Er bezahlt der Firma des späteren Opfers rund 400.000 Euro und soll gemäß Vertrag bei Abschluss der Bauarbeiten seine Investition und einen Gewinn von 25 Prozent erhalten.

Doch bis heute hat der mutmaßliche Todesschütze sein Geld nicht erhalten. Die Gründe für das Ausbleiben der Rückzahlungen? Auf der Baustelle treten Probleme auf. Der spätere Täter wird im Juni 2021 zu einem Termin eingeladen, an dem ihm das spätere Opfer als Geschäftsführer der Firma eine Endabrechnung präsentiert. Genau um diese Endabrechnung dreht sich der Fall.

War es nur ein Schreibfehler?

Die Firma bestreitet, dass es sich bei der Auflistung um eine Endabrechnung handelt, dies sei ein Schreibfehler. Es sei immer klar gewesen, dass es nur ein Zwischenbericht sei, macht der Anwalt der Firma geltend. Weil sich die Parteien nach einer ersten Verhandlung im Februar nicht außergerichtlich einigen konnten, wird nun die Sache wieder verhandelt.

Der Bauleiter – als Zeuge geladen – sagt aus, dass der mutmaßliche Todesschütze beim Projekt in Deutschland wohl der einzige Investor gewesen sei und man ihn offenbar bewusst nicht über die Probleme auf der Baustelle informiert habe: „Die Probleme gab es nicht wegen baulicher Mängel, sondern wegen des Geldes. Die Arbeiter haben keinen Lohn mehr erhalten und darum nicht fertig gebaut.“

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Der Bauleiter selbst hat die Beziehungen zur Firma und dem Geschäftsleiter, der sein Schwager war, auch aus finanziellen Gründen im Jahr 2021 abgebrochen. „Ich habe kein Geld mehr bekommen und von meinen Investitionen auch nie wieder etwas gesehen“, sagt er. Aufgrund dieses Bruchs musste der Zeuge seine eigene Firma liquidieren und war über ein halbes Jahr arbeitslos.

Das Bauprojekt endet chaotisch. Die Wohnungen mussten von den Käufern unfertig bezogen werden, teils mit provisorisch installierten Treppen oder ohne funktionierende Heizung. Es flatterten Drohungen und Briefe von Anwälten bei der Kreuzlinger Firma ins Haus. Der Geschäftsführer (also das spätere Opfer) überschreibt ein halbes Jahr vor seinem Tod die Firma schließlich an eine Ukrainerin.

Kläger: „Ich wollte nur mein Geld“

Nach der Befragung des Zeugen tritt der mutmaßliche Todesschütze vors Gericht. Es wird schnell klar: Er brauchte Geld. Das betont er immer wieder. „Ich habe auf der Endabrechnung gesehen, dass mein Gewinn kleiner ist als beim Investitionsvertrag vereinbart, aber es interessierte mich nicht. Ich wollte nur mein Geld und dachte, jetzt kommt es wenigstens.“

Bei der Befragung stellt sich heraus, dass er bereits seit 2017 Investor bei der Firma des Opfers war. Beim ersten Projekt, in dem es um den Bau von Wohnungen im bernischen Iseltwald gegangen war, investierte er offenbar mit geliehenem Geld vier Millionen Franken. Bei einem zweiten Projekt investierte er nochmals eine größere Summe, um den Gewinn daraus in das deutsche Bauprojekt zu reinvestieren.

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Zu dieser Reinvestition sei er vom damaligen Geschäftsführer gedrängt worden, sagt der mutmaßliche Todesschütze aus. Ob er von dem Geld je wieder etwas zurückerhalten habe, fragt Gerichtspräsidentin Ruth Faller Graf. „Nix“, sagt der Mann nüchtern. Die Zusammenarbeit mit der Firma des Opfers kam auf Empfehlung eines Bekannten zustande und weil ihn ein Gespräch mit dem Geschäftsführer überzeugt hatte.

Eine Internetrecherche habe nur zufriedene Kundenbewertungen zutage gebracht. „Jetzt weiß ich, dass diese von Bekannten und dem Geschäftsführer selbst geschrieben wurden.“ Verdacht habe er erst gehegt, als auch im Sommer 2021 kein Geld gekommen sei – trotz unterschriebener Endabrechnung.

Firma muss die Investition zurückzahlen

„Der Geschäftsführer und der Bauleiter haben mir immer versichert, dass alles tiptop ist. Sie haben nie von Problemen gesprochen. Sie haben mich angelogen und verarscht“, sagt der Mann, der Hochdeutsch mit starkem russischem Akzent spricht. Über zwei Jahre nach der Endabrechnung im Juni 2021 – und ohne dass je eine Rückzahlung der Investitionen erfolgte – wird der ehemalige Geschäftsführer in Kreuzlingen erschossen.

Die Firma hat da bereits eine neue Chefin – auch sie steht vor Gericht, als Schuldnerin. Das Bezirksgericht stützt die Klage des mutmaßlichen Todesschützen, weil er als Investor davon ausgehen durfte, sein Geld zurückzuerhalten. Die Firma muss die Investition zurückzahlen, wenn dem Urteil Rechtskraft erwächst. Fast eine halbe Million Franken.

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Der Beitrag über die Gerichtsverhandlung erschien zuerst in der „Thurgauer Zeitung“, mit der wir zusammenarbeiten.