Sie ist sportlich, schlank und attraktiv und ihr Leben erinnert ein wenig an das Märchen Cinderella – nur mit einem alles andere als romantischen Ende. Anastasia S.* wird in der früheren Sowjetunion geboren, heiratet einen Liechtensteiner und avanciert zur Besitzerin eines stattlichen Hauses in der Kreuzlinger Nachbargemeinde Bottighofen, wenige Hundert Meter vom Bodensee.

Da das Haus viel Platz bietet, vermietet die 55-jährige begeisterte Sportschützin im März 2020 eine Wohnung an die 63-jährige Maria A.* (beide Namen von der Redaktion geändert) und deren Freundin. Das Zusammenleben unter einem Dach verläuft die ersten Monate über friedlich – bis Maria A. im Sommer in Frührente geht, wie Bekannte erzählen. Da der 63-Jährigen dadurch deutlich weniger als zuvor im Monat übrig geblieben sein soll, sei sie in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Es dürfte ihr immer schwerer gefallen sein, die Miete von etwa 900 Franken zu bezahlen.
„Schmarotzerin“
Auf die ausbleibenden Zahlungen habe die Vermieterin Anastasia S. laut Bekannten mit Beleidigungen (“Schmarotzerin“) und heftigen Drohungen reagiert. Immer wieder soll es auch zu lautstarken Streitereien gekommen sein – einer davon dürfte schließlich eskaliert sein.
Am frühen Morgen des 29. Oktober 2020 soll Anastasia S. ihre Mieterin Maria A. im Keller ihres Haus in den Kopf geschossen haben, wie die Staatsanwaltschaft Kreuzlingen nun im Rahmen der Anklageerhebung bekannt gab. Daraufhin soll sie den Leichnam der 63-jährigen Frührentnerin zerteilt, in mehrere Plastiksäcke verpackt und in verschiedenen Müllcontainern entsorgt haben. Diese seien routinemäßig geleert und der Müll mit den Leichenteilen in einer Verbrennungsanlage verbrannt worden. Also das scheinbar perfekte Verbrechen ohne Spuren? Nicht ganz.
Projektil passt zu Pistole
Die Angeklagte Anastasia S., für die die Unschuldsvermutung gilt, soll den abgetrennten Kopf ihres Opfers per Pkw in die etwa 20 Kilometer von Bottighofen entfernte Bodensee-Gemeinde Egnach nahe Arbon transportiert und dort in einem Erdloch im Waldstück „Sangenhölzli“ vergraben haben. Vermutlich Wildtiere könnten den menschlichen Kopf wieder an die Oberfläche befördert haben.
Am 5. Dezember 2020 entdeckt ein 26-jähriger Anwohner bei einem Spaziergang zufällig den schaurigen menschlichen Überrest in einer mit Laub bedeckten Mulde. Er verständigt die Polizei, die den Fund nach einer gerichtsmedizinischen Abklärung rasch der seit fünf Wochen als vermisst gemeldeten Maria A. zuordnen kann. Die Ermittler bemerken am abgetrennten Kopf auch eine Schussverletzung. Das sichergestellte Projektil soll mit dem Kaliber einer Pistole der leidenschaftlichen Sportschützin Anastasia S. übereinstimmen.
„Kopf gehört nicht in den Abfall“
Die 55-Jährige wird sechs Tage später, am 11. Dezember, an ihrem Wohnort Bottighofen, festgenommen und befindet sich seither in Haft. Nach elf Monaten hat die Staatsanwaltschaft Kreuzlingen nun Anklage gegen Anastasia S. wegen vorsätzlicher Tötung und Störung des Totenfriedens beim Bezirksgericht Kreuzlingen erhoben.
Aber warum hat Anastasia S. den Kopf im Wald verscharrt und nicht – wie den Rest ihres mutmaßlichen Opfers – im Müllcontainer entsorgt, wodurch in der Verbrennungsanlage vermutlich die wichtigsten Spuren vernichtet worden wären? „Die Leiche wurde entsorgt, um die Tat zu vertuschen. Zum Kopf sagte die Beschuldigte aus, dass dieser nicht in den Abfall gehöre“, erklärte Marco Breu, Leiter der Staatsanwaltschaft Kreuzlingen, dem SÜDKURIER auf Anfrage.
Schuldfähig, keine Sicherheitsverwahrung
Die Ermittlungen der Kriminalpolizei dürften jedoch auch ohne den entscheidenden Fehler von Anastasia S. bereits sehr weit gewesen sein: „Anlässlich der Hauptverhandlung werden wir Ausführungen machen, wie weit unsere Ermittlungen schon waren, als man den Kopf der Verstorbenen fand. Ich denke, dass man die Beschuldigte auch ohne das Auffinden des Kopfes überführt hätte“, sagt Oberstaatsanwalt Breu.
Liechtensteiner Staatsbürgerin
SÜDKURIER-Recherchen ergaben, dass die gebürtige Osteuropäerin, die lange Zeit in Bottighofen lebte und nach eigenen Angaben seit über 20 Jahren mit einem Liechtensteiner verheiratet sein soll, die Staatsbürgerschaft des Fürstentums besitzt, wie Oberstaatsanwalt Breu bestätigt. „Wäre sie noch eine Drittstaatsangehörige, würde der Landesverweis für den gesamten Schengenraum gelten. Als Liechtensteinerin darf sie ab Haftentlassung für 15 Jahre nicht mehr in die Schweiz einreisen“, erklärt der leitende Staatsanwalt dieser Zeitung.
Bleibt die Frage nach dem Motiv und wie der Ausfall von wenigen Monatsmieten für eine offenbar wohlhabende Hausbesitzerin bereits ein Grund für eine Tötung der eigenen Mieterin sein kann? Marco Breu, Chef der Staatsanwaltschaft Kreuzlingen, bestätigt dem SÜDKURIER, dass es bei dem Tötungsdelikt um „Mietstreitigkeiten gegangen“ sei. „Das dürfte der Hauptauslöser gewesen sein“, sagt der Oberstaatsanwalt.
Gab Opfer Schuld für Erkrankung
Ein mögliches weiteres Motiv für die Tötung könnte jedoch auch eine Art Schuldprojektion gewesen sein: Laut einer Bekannten machte Anastasia S. in einem Brief ihre Mieterin Maria A. für jenen aus den Mietstreitigkeiten entstandenen Stress verantwortlich, welcher erneut eine lebensbedrohliche Erkrankung bei ihr ausgelöst habe. Der Prozessbeginn steht laut Bezirksgericht Kreuzlingen noch nicht fest.