„Du darfst auf Position“, ertönt eine Stimme hinter Bildschirmen, Kameras und weiterem technischen Equipment hervor, das im Zuschauerraum des Kommunalen Kulturzentrums K9 aufgebaut ist. „Ton in 3, 2, 1.“
Vor die Kamera tritt Insa Pijanka, Intendantin der Südwestdeutschen Philharmonie, hinter ihr ist ein Streichquintett bereit. „Einen wunderschönen guten Abend. Es ist wieder Freitag“, spricht sie in den digitalen Raum, wissend, dass jetzt beinahe 200 Teilnehmerhaushalte in das Zoom-Livestreaming-Konzert eingeloggt sind.
Kurz erzählt Pijanka, was das Orchester gerade bewegt. „Wir beschäftigen uns mit vielen Themen, wie beispielweise Spucktest oder Stäbchen in die Nase. Wie schön ist es da doch, über Dvorak zu sprechen“, leitet sie zu dem Komponisten über, dem der kammermusikalische Abend gewidmet ist. Wie glücklich sie ist, endlich über die Musik, die sie so sehr liebt, sprechen zu können, wird überdeutlich, so lebhaft und enthusiastisch sind ihre Ausführungen.
Die Konzert-Reihe
Ebenso ist es mit den fünf Musikern, die sich mit Leidenschaft ihrer Profession hingeben, und so musizieren, als wären sie auf einer Bühne und im Zuschauerraum säßen hunderte Zuhörer. „Das ist Balsam für die Seele“, flüstert K9-Programmchefin Nadine Matt als Gastgeberin und Zuhörerin.
Planungen sind nicht möglich
Die Corona-Pandemie und damit einhergehend die Auflagen und Lockdowns machen auch den Kulturtreibenden das Leben schwer. Kreativität entspringt vorwiegend dem positiven Erleben; Negatives und Bürokratie hingegen erschweren künstlerische Betätigungen per se.
„Das Zermürbenden ist die Ungewissheit. Man lebt in zwei bis drei Wochenrhythmen“, stellt Nadine Matt im Hinblick auf die bundespolitischen Entscheidungen fest und fügt an: „Durch die Inzidenzwerte jetzt sogar von Tag zu Tag.“ Jedwede Art von Planungen im künstlerischen Bereich ist unmöglich.
Jeden Freitag um 18.30 Uhr
Wann und unter welchen Umständen auch das Orchester der Südwestdeutschen Philharmonie öffentlich auftreten kann – dahinter steht nicht nur ein großes Fragezeichen. Doch die engagierten Powerfrauen Pijanka und Matt lassen sich nicht entmutigen, sondern versuchen im Rahmen der Umstände und Widrigkeiten und vor allem im Schulterschluss neue Wege zu gehen und das Machbare umzusetzen. Zum Beispiel mit dem Live-Konzert-Streaming, das immer freitags um 18.30 Uhr aus dem K9 gesendet wird.
Bereits Ende 2020 hat Insa Pijanka überlegt, „ob digital eine Option ist“. Wahllos irgendwelche Konzertvideos ins Netz zu stellen, kam für sie nicht in Frage. Sie wollte unbedingt live etwas machen, „weil das der Kern ist, der uns ausmacht“, beschreibt sie und erläutert: „Live bedeutet Interaktion und Kontakt zum Publikum zu haben.“ Welche digitale Form aber bietet annähernd derartige Möglichkeiten?
Zuschauer können Fragen stellen
Auch wenn Abstriche in der Tonqualität gemacht werden müssen, entschied sich Insa Pijanka für Zoom, „denn das ist wie ein Begegnungsort“, findet sie. „Auch wir können die Zuschauer sehen und wir können miteinander sprechen. Wie bei einem richtigen Konzert ist das Streaming live und die Zuschauer können uns im Anschluss Fragen stellen“, erläutert die Intendantin den Kern des neuen Formats.
Aus den Reihen ihres Orchesters wurde sie überrannt von Musikern, die gerne in kleinen Formationen auftreten wollten. Blieb die Frage nach dem Wo und Wie. Insa Pijanka rief kurzerhand beim K9 an und wurde im positiven Sinn überrascht, denn sie rannte mit der Idee mehr als nur offene Türen ein.

Infrastruktur ist schon vorhanden
„Für uns ist das ein großer Segen“, sagt Nadine Matt. „Wir hatten nämlich schon im letzten Jahr im Hinterkopf, dass wir uns auf Streaming-Events vorbereiten sollten, wussten aber nicht, in welchem Format. Die nötige Infrastruktur, wie beispielsweise ein spezielles Mischpult, haben wir uns schon angeschafft“, erzählt sie. Von Pijankas Idee war sie mehr als begeistert: „Diese interaktive Lösung hat bei mir Euphorie ausgelöst, denn der Austausch ist das, was das K9 ausmacht. Und jetzt haben wir sogar die Hochkultur zu Gast“, freut sich Nadine Matt.
Insa Pijanka stößt aber sofort das Podest, auf welches die Klassik immer wieder gesetzt wird, sofort um und sagt: „Ich bin ein Feind des Wortes Hochkultur. Klassik ist eine Facette der Kultur. Egal welches Genre: Für mich ist alles gleich niederschwellig.“ Gleichwohl ist ihr bewusst, dass es Hemmschwellen gibt, die aber gerade aufgrund solcher Kooperationen mit dem K9 herabgesetzt werden.
„Einfach nur schöne Musik hören“
„So können wir andere Menschen erreichen“, so Pijanka, die auf einen Vorteil des Live-Streams aufmerksam macht: „Man muss sich nicht überlegen, wie man sich kleidet, sondern kann einfach nur schöne Musik hören. Falls es nicht gefallen sollte, kann man einfach abschalten.“ Doch das sei bis jetzt kaum der Fall gewesen, wie Nadine Matt erzählt.
„Die Zuschauer kommen höchstens zu spät“, schmunzelt sie und freut sich, dass auch viele K9-Mitglieder die digitalen Konzerte besuchen. Auch Matt selbst ist auf den Klassik-Geschmack gekommen. „Klassik transportiert Harmonie, hinterlässt ein gutes Gefühl und tut einfach gut“, findet sie. Und was ihr noch an dem Format gefällt: Ganz nebenbei hat sie schon viel über Komponisten, aber auch über verschiedene, nicht ganz so bekannte Instrumente gelernt.
„Wir haben schon viele Fans“
Im ganz kleinen Team, das sich aus der Südwestdeutschen Philharmonie und dem K9 rekrutiert, werden die Streams produziert. „Alles selfmade ohne Technikfirma“, stellt Insa Pijanka fest. „Und das Format kommt an. Wir haben schon viele Fans“, berichtet Nadine Matt. Jeden Freitag um 18.30 Uhr gibt es ein öffentliches Zoom-Konzert, davor ein exklusives Konzert für die Bewohner der Alten- und Pflegeheime.
Und weil das bei den Erwachsenen so gut ankommt, haben die Aktivisten auch schon ein Mitmach-Konzert-Format für Kinder ausprobiert. Von dem Erfolg sind alle Beteiligten immer noch hin und weg und schwärmen. Der Grund: „Es ging um Wilhelm Tell. Die Kinder haben sich vor die Kamera gestellt, alle mit einem Apfel auf dem Kopf. Das war einfach nur schön“, schwärmt Nadine Matt. Alle hätten diese Interaktion genossen.
Spenden sind willkommen
„Wir bieten die Live-Streams kostenfrei an“, stellt Pijanka fest und fügt an: „Aber wir haben ein Spendenkonto eingerichtet, das wir gemeinsam verwalten.“ Das Geld komme aber weder der Philharmonie noch dem K9 zu Gute. Vielmehr wollen beide Kultureinrichtungen damit freie Künstler unterstützen, denn gerade für sie sei die Situation ein großes Drama. „Wir müssen uns im Kulturbereich zusammentun und solidarisch sein, denn gerade die freien Ensembles können sich auch keine digitalen Formate leisten, um irgendwie sichtbar zu bleiben“, so Pijanka.
Das Ziel der Power-Frauen, das von allen Orchestermitgliedern mitgetragen wird, ist es, die Künstler zu unterstützen. Nadine Matt denkt beispielsweise an eine Hybrid-Veranstaltung, sobald die Verordnungen Derartiges zulassen: „Die Künstler könnten dann vor einem ganz kleinen Publikum bei uns auftreten. Durch die Eintrittsgelder kann die Gage natürlich nicht getragen werden, aber das könnte durch die Spenden ausgeglichen werden.“