Anne Sonnenfroh und Hannah Stollmayer

Inwieweit haben Sie Veränderungen in Bezug auf Geschlechtergerechtigkeit in ihren jeweiligen Berufsfeldern erlebt?

Karin Becker: Es gibt jetzt Intendantinnen! Als ich vor 37 Jahren am Theater angefangen hatte, gab es noch keine weibliche Theaterleitung. Man darf nicht vergessen, noch heute werden 78 Prozent der Theater in Deutschland, Österreich und der Schweiz, von Männern geleitet. Es hat sich also noch nicht so wahnsinnig viel getan.

Insa Pijanka: Ich denke, wenn man auf gewisse Detailbereiche schaut, hat sich recht viel getan. Es gab Zeiten, in denen es ein Skandal war, bei den Berliner oder Wiener Philharmonikern eine Orchesterstelle mit einer Frau zu besetzen. Denken Sie nur an das Aufsehen, als Dirigent Herbert von Karajan Sabine Meyer als Klarinettistin geholt hat. In vielen Orchestern haben wir heute einen hohen und steigenden Frauenanteil – gerade bei den Streichern freut man sich, wenn sich Männer bewerben (lacht). Bei den Führungspositionen, wie Konzertmeister oder Solobläser, sieht es dann aber schon wieder anders aus. Mir fällt auf, dass sich auch an den Theatern auf der mittleren Führungsebene beim Frauenanteil etwas getan hat, im Vergleich zu meiner Anfangszeit. Wenn man allerdings einen Blick auf die Leitungsebene wirft, wird es für Frauen dann doch schwieriger.

Bild 1: „Dein Mann verdient doch gut“ – diesen Satz kennen Karin Becker, Insa Pijanka, Katharina Holzinger und Ruth Bader. Sie tauschen sich über Frauen im Berufsleben und Führungspositionen aus
Bild: Bjørn Jansen

Katharina Holzinger: Das kann ich bestätigen. Auch an der Universität sind Leitungspositionen noch schwächer besetzt. Offensichtlich gibt es Aspekte, die es für Frauen besonders schwer machen, oder Bereiche, in denen Frauen noch nicht so richtig akzeptiert sind. Aber: Anfang der 90er-Jahre gab es nur vier bis fünf Prozent Professorinnen an deutschen Universitäten. Heute haben wir an der Universität Konstanz immerhin 31 Prozent. Es bewegt sich also langsam etwas. Ich bin stolz, dass mein Rektorat paritätisch aufgestellt ist.

Ruth Bader: Für die Stadtverwaltung Konstanz würde ich das im Grunde auch so in etwa beschreiben. Die Anzahl der Frauen in Führungspositionen hat sich in den letzten zwölf Jahren verdoppelt. Das heißt, da ist etwas in Bewegung und ich habe im Laufe meines Berufslebens gemerkt, dass der Frauenanteil zugenommen hat. Der letzte Schritt fehlt aber noch, wie zum Beispiel eine Oberbürgermeisterin in Konstanz zu haben.

Karin Becker: Daran müssen wir also noch arbeiten in dieser Stadt. Die Oberbürgermeisterwahl würde ich dann überspringen, wenn dann würde ich gerne die erste Bundespräsidentin werden. (Gelächter)

Insa Pijanka: Um einen politischen Weg zu gehen, muss man in der Lage sein, sich in so einer Parteienstruktur und -hierarchie durchzusetzen. Ich hatte viele Freunde im Studium, die sich in einer Partei engagiert haben und dann irgendwann schreiend weggelaufen sind, weil sie sich nicht durch die Maschinerie der Parteienlogik hocharbeiten konnten oder wollten. Das ging besonders auch vielen jungen Frauen so und das hat viel mit den Strukturen zu tun, wie Macht erworben wird. Vielleicht brauchen wir andere Zugänge, wie man in Ämter kommt und nicht zu hören bekommt: „Beiß dich halt irgendwie durch und dann schaffst du das auch als Frau.“

Insa Pijanka, Intendantin der Südwestdeutschen Philharmonie Konstanz, berichtet, dass es in vielen Orchestern heute einen hohen und ...
Insa Pijanka, Intendantin der Südwestdeutschen Philharmonie Konstanz, berichtet, dass es in vielen Orchestern heute einen hohen und steigenden Frauenanteil gebe. | Bild: Bjørn Jansen

Ruth Bader: Das hat dann aber eben nicht nur mit Inhalten zu tun, sondern auch mit den Strukturen: Wie kommt man in bestimmte Positionen, wer wählt einen? Wer ernennt einen? Wer beruft einen?

Katharina Holzinger: Meine Vorgängerin hat zum Beispiel eingeführt, dass sich Berufungskommissionen zu 40 Prozent aus Frauen zusammensetzen sollen. Das ist in Fachbereichen wie der Physik immer noch sehr schwierig. Wo keine Frauen da sind, weder als Bewerberin noch als Professorin, können wir eine solche Quote nicht immer halten – trotz ständigem Bestreben.

Insa Pijanka: Und vergessen wir nicht das Thema Familienplanung. Viele Frauen haben es immer noch schwer nach einer Schwangerschaft wieder auf der gleichen Position in den Beruf einzusteigen.

Karin Becker: Unsere Aufgabe als Arbeitgeberinnen ist es, dass wir den Frauen und den Familien die Möglichkeit schaffen, Kind, Beruf und Familie vereinbaren zu können. Und da finde ich, müssen wir auch alle in die Verpflichtung genommen werden.

Insa Pijanka: Wir sind jetzt in der Luxussituation, dass wir Arbeitgeber sind, aber ich kenne genug Frauen, deren Arbeitgeber keine Rücksicht nehmen. Das gilt nicht nur für Frauen, das kann auch Männer betreffen. Teilweise wollen Arbeitgeber nicht, dass Männer in Elternzeit gehen.

Katharina Holzinger: Im Universitätskontext nehmen häufiger Männer Erziehungszeit als in anderen Branchen. Allgemein beobachte ich trotzdem leider immer noch etwas, das ich die „asymmetrische Ehe“ nenne: Die Frau ist jünger, der Mann ist ein wenig älter, verdient schon mehr und da scheint es einfach logisch, dass die Frau zu Hause bleibt oder ein paar Jahre reduziert. Das perpetuiert sich dann natürlich.

Katharina Holzinger, Rektorin der Universität Konstanz, sagt, dass im universitären Bereich deutlich weniger Frauen in ...
Katharina Holzinger, Rektorin der Universität Konstanz, sagt, dass im universitären Bereich deutlich weniger Frauen in Leitungspositionen vertreten seien. | Bild: Bjørn Jansen

Karin Becker: Wenn eine Frau, die zehn Jahre lang vier Kinder großgezogen hat und nicht arbeiten konnte, dann auf ihre Rentenbescheinigung schaut, ist das eine mittlere Katastrophe und eine Missachtung, eine Respektlosigkeit. Das Modell einer „kostenlosen“ Care-Arbeit muss dringend geändert werden. Sehr deutlich wird dieser Missstand auch in der Pandemie.

Ruth Bader: Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist in Zeiten von Corona besonders schwierig, sowohl bei Frauen als auch bei Männern. Ich erlebe Care-Arbeit in meinem Umfeld als gleichberechtigt aufgeteilt. Corona ist einfach eine immense Herausforderung, weil Unsicherheit während dieser Krise in allen Bereichen herrscht. Allerdings zeichnen sich unsere Berufsfelder auch ohne Pandemie durch große Flexibilität aus. Wenn zum Beispiel die Frau eine Veranstaltung hat, dann passt der Mann zu Hause auf die Kinder auf. Ich glaube daher, wir müssen flexibler mit Familie und Beruf umgehen können.

Insa Pijanka: Ich habe Generationen von Kindern in meinem Orchesterbüro gesittet, wenn das zweite Elternteil auch in der Probe einspringen musste.

Karin Becker: Oder wenn das Kind nicht schlafen wollte und die Mutter aber schon wieder Probe hatte. (Gelächter) Aber jetzt wieder im Ernst: Wofür ich so die letzten Jahre gekämpft habe, wenn man über Gleichberechtigung in unserem Berufsleben spricht. Es ist immer noch aktuell, dass Frauen für die gleiche Arbeit nicht dieselbe Bezahlung bekommen. Ich spreche da immer scherzhaft von „Männergage“. Ich habe sogar erlebt, dass mein männlicher Nachfolger mit demselben Aufgabenbereich 700 Euro mehr bekommen hat. Da habe ich natürlich schon nachgefragt: „Wie kann denn das sein?“ „Naja, das musst du verstehen“, hieß es da. Was soll ich mit so einer Antwort anfangen? An solch einer Gender-Pay-Gap (geschlechtsspezifische Lohnunterschiede) müssen wir arbeiten.

Karin Becker, Intendantin des Konstanzer Theaters, findet, dass es mehr Frauen in Führungspositionen geben müsse.
Karin Becker, Intendantin des Konstanzer Theaters, findet, dass es mehr Frauen in Führungspositionen geben müsse. | Bild: Bjørn Jansen

Insa Pijanka: Ich habe da auch den Satz gehört: „Wieso, dein Mann verdient doch gut.“ Das war mein persönliches Highlight.

Karin Becker: Wir haben mit meinem Beginn eingeführt, dass es eine Tabelle für den tarifgebunden Bühnenvertrag gibt, auf dem nicht nach Geschlecht, sondern Altersgruppe, Berufserfahrung sowie Ausbildungsweg eingestuft wird.

Katharina Holzinger: Der Gender-Pay-Gap reduziert sich zwar, wenn man auf dieselben Berufe schaut, aber er ist immer noch da. Bei den Professorenbesoldungen ist es so, dass es ein festes Grundgehalt gibt, das dann über Leistungszulagen nach oben verhandelt werden kann. Da müssen wir auch selber dafür sorgen, dass es eine grundsätzlich gleiche Bezahlung gibt.

Ruth Bader: Das ist der Vorteil von Tarifen!

Insa Pijanka: Natürlich gibt es Tarifstufen, wo Stellen formal einsortiert sind und das Neutralitätsgebot zwischen Mann und Frau gilt. Ein beliebtes Spiel ist auch die Stufen runterzusetzen. Die Stellen einfach falsch zu taxieren.

Von unseren vier Frauen möchten wir wissen: Wie haben Sie in ihrem Werdegang Allianzen gebildet?

Karin Becker: Da würde ich gerne auf den Punkt Vorbildfunktion eingehen und das Bestärken von jungen Menschen. Ich glaube, wir müssen wieder mehr mit den Menschen ins Gespräch kommen und miteinander diskutieren. Wir müssen Dinge aussprechen, Argumente aufführen und anderen Menschen auch zuhören können.

Ruth Bader: Unsere Vorbildfunktion als Führungskräfte ist so immens wichtig und der müssen wir uns permanent bewusst sein. Nicht alle unsere Berufswege waren gerade, Scheitern kann unmittelbar zum Werdegang dazugehören. Ein Lebensweg muss nicht schon in jungen Jahren durchgeplant sein.

Insa Pijanka: Wenn sich Leute bei mir bewerben und ich sehe Brüche, habe ich immer eher die Tendenz mir die Bewerberinnen anzuschauen, weil ich das erst einmal interessant finde.

Katharina Holzinger: Also in der Wissenschaft sind Netzwerke ganz bedeutend. In der Forschung zählt natürlich vor allem die Leistung. Aber es ist immer gut, wenn dort, wo man den Drittmittelantrag stellt oder bei der Zeitschrift, wo man den Artikel einreicht, Personen aus dem eigenen Netzwerk sind. Wenn man viel herumkommt, dann kennt man viele Menschen und das erhöht wieder die Chancen, für den nächsten kleinen Aufsatz oder für das nächste kleine Projekt. Netzwerke sind nicht alles, aber sie sind bedeutend in der wissenschaftlichen Berufswelt.

Ruth Bader: Dieser Austausch, also dass man weiß, man hat Kolleginnen im Umfeld, die man fragen kann: ‚Empfinde nur ich die Situation XY gerade als frauenverachtend‘ – das brauchen wir natürlich. Ich glaube, da haben wir uns inzwischen schon eine ganz gute Selbstverständlichkeit untereinander aufgebaut. Wenn ich an meine früheren Praktika denke, waren da immer Frauen und Männer, die mich empowert (gefördert) haben.

Ruth Bader meint, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Zeiten von Corona besonders schwierig geworden sei.
Ruth Bader meint, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Zeiten von Corona besonders schwierig geworden sei. | Bild: Bjørn Jansen

Insa Pijanka: Ich kann das bestätigen. Als ich an der Uni war, gab es sechs Lehrstühle in Mannheim, einer war mit einer Frau besetzt. Aber sie haben mich als Frau genauso gefördert, wie meine männlichen Kommilitonen. Gehen wir in den Dirigentenbereich, erleben wir ja erst jetzt in den letzten paar Jahren Dirigentinnen! Die wenigen, die es gibt, sind interessanterweise sehr schnell sehr erfolgreich und sehr jung. Wenn man sich aber die Gesamtkonstellation ansieht und im Bühnenjahrbuch die Chefdirigentenpositionen durchgeht, dann sind da aber nach wie vor wenig Frauen in dieser Position. Auch da ist noch eine enorme Luft nach oben. Skandinavien ist da einen ganzen Schritt weiter. Allerdings kenne ich auch einen Dirigenten, der einen Bewerbungsprozess in Skandinavien durchlaufen hat und als Mann einen, besser noch zwei, weibliche Leumunde nennen musste, als gäbe es per se Vorbehalte, eine Stelle mit einem Mann zu besetzen. Diese gegenteilige Dynamik kann auch nicht unser Ziel sein.

Ruth Bader: Hinterfragen Sie, ob Sie Männer benachteiligen? Ich frage mich das manchmal schon. Mein Team in der Konzilstadt war fast durchgehend weiblich, und im Bodenseeforum habe ich ein Team auch mit mehr Frauen als Männern vorgefunden.

Insa Pijanka: Ich freue mich sehr, über jeden Mann, den ich ins Team bekomme. Ich befürworte ausgewogene Teams sehr. Eine gute Durchmischung hinsichtlich Alter, Persönlichkeit und Geschlecht, finde ich sehr sinnvoll.

Karin Becker: Ich freue mich über jede Frau, die ich engagiere. Es gibt so viele tolle Künstlerinnen, die die letzten Jahre untergegangen sind und nicht gesehen wurden.

Katharina Holzinger: Die letzten Jahrhunderte!

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Das vollständige Gespräch sowie weitere Themen rund um den Weltfrauentag können Sie unter LET'S ALLY auf der Homepage des Konstanzer Theaters verfolgen.