Das Bundeskanzleramt erhält jetzt viele Pakete mit gebrauchten Tanzschuhen und Nägeln, auch aus Konstanz. Ein Hilferuf: Zum Jahrestag des Pandemie-Lockdowns hatten verschiedene Berufs-Verbände von Tanzlehrern, Tanzschulen und freiberuflichen Tanzpädagogen diese Protestaktion mit der Botschaft „Wir können unsere Tanzschuhe bald an den Nagel hängen“ gestartet.
„Wir stehen mit dem Rücken zur Wand“, stellt die freiberufliche Tanz- und Ballettpädagogin, Tänzerin und Choreografin Judith Geibel fest. Fernab ihres eigentlichen Berufs hat sie zwar einen Nebenjob, aber: „Es ist zu wenig zum Leben, aber zu viel zum Sterben.“

Auch der etablierten Konstanzer Czerner Dance Academy geht es nicht besser: „Ab April werden wir auf Spenden angewiesen sein“, sagt Andrea Czerner. Das Lebenswerk, das Peter und Andrea Czerner vor 18 Jahren aufgebaut und erfolgreich etabliert haben, ist in Gefahr.
Der Bereich Kultur wird von der Corona-Pandemie und den damit einhergehenden Verordnungen und Lockdowns in der Substanz getroffen. Dass man in diesem Segment keine goldene Nase verdient, ist hinlänglich bekannt. Kultureinrichtungen jedweder Art sind froh, wenn sie eine schwarze Null schreiben. Idealismus und Leidenschaft, ihre Berufung auszuüben und kulturelle Bildung zu vermitteln, sind die Triebfedern.
Die Ersparnisse sind nun aufgebraucht
Andrea und Peter Czerner, die seit 18 Jahren die Czerner Dance Academy erfolgreich führen, fördern die Begeisterung für das Genre Tanz in seiner Vielgestaltigkeit und geben den Tanzschülern unterschiedlicher Generationen, aber auch den Zuschauern der beliebten Shows viel mit. Erfolgreich eine Tanzschule zu betreiben, bedeutet auch im besten Fall quasi ein Nullsummenspiel.
„Wir halten uns selber am Leben. Jeder Schüler zählt“, stellt Andrea Czerner fest, denn im Gegensatz zu anderen Kultureinrichtungen erhalten privat getragene Bildungseinrichtungen keine Subventionen. Die Konstanzer Tanzschule trägt sich selbst, aber beide Inhaber haben schon immer einen Nebenjob, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren, ebenso wie die meisten freiberuflichen Tanzpädagogen auch.
Die staatlichen Hilfen seien zwar gut gemeint, aber: „Sie decken nur einen Teil der Fixkosten. Unternehmerlohn komplett ausgenommen“, so Andrea Czerner. Die Familie lebt seit Monaten von ihren Ersparnissen, und die sind jetzt aufgebraucht. Dazu kommt das ewige Hin und Her, die Unwissenheit ob, wann und wie ein Präsenzunterricht wieder erfolgen könnte. Dazu noch die Unlogik der Regelungen.
Diese Regelungen kritisieren Andrea Czerner und Judith Geibel
Selbstverständlich bietet die Czerner Dance Academy Zoom-Unterricht an, um die Schülerinnen und Schüler irgendwie bei der Stange zu halten und zu motivieren. Aber dennoch ist das digitale Medium nicht für die Sparte Tanz geeignet. Es stellt keine Alternative zum Präsenzunterricht dar, sondern ist letztlich nur die einzig verbleibende Möglichkeit, in Kontakt zu bleiben.
Im Takt zu trainieren, ist schon aufgrund der zeitlichen Verzögerung des Videos nicht möglich, erläutert Peter Czerner. Und welcher Schüler hat schon daheim genügend Platz und die nötige Infrastruktur zum Tanzen? Auf Fliesenboden trainieren? „Das ist fahrlässig“, stellt Judith Geibel rundheraus fest. Und wer hat schon eine Ballettstange zu Hause? „An einem Stuhl kann man keine Doppelpirouette drehen“, so Geibel zu einem weiteren No-Go.
Die Tänzer zu korrigieren, sei via Zoom ebenfalls nicht möglich. „Ein Ballettschüler braucht einen Lehrer, der zur Korrektur anfasst, sonst kann ich die Spannung nicht spüren“, beschreibt sie. Trotz aller berechtigter Vorbehalte, bleibt nichts anderes übrig, sodass Czerners ab 6. April einen regulären Online-Stundenplan ausgeben werden müssen.
Fehlende Perspektive führt zur Verzweiflung
Platz und Raum mit 160 Quadratmetern und fünf Metern Deckenhöhe sowie eine gute Durchlüftung gibt es in der Czerner Dance Academy. Als das Team unterrichten durfte, taten sie es unter Einhaltung sämtlicher Hygienevorschriften und tanzten auch noch mit Maske. Fragen über Fragen quälen das Betreiberpaar der Tanzschule und die Honorarkräfte gleichermaßen.
„Wann dürfen wir wieder öffnen? Und was ist, wenn im September der nächste Lockdown kommt“, meint die sonst so positive Andrea Czerner bedrückt. Fairness ist für sie und ihren Mann oberstes Gebot. Sie hat gerade den nächsten Schüler- und Elternrundbrief versandt, denn: „Mir sind Ehrlichkeit und Transparenz wichtig.“ Zumal sie froh ist über die Schüler und Eltern, „die uns die ganze Zeit die Treue halten.“
Zeitweise haben Czerners auf Kursgebühren verzichtet. Sie wollten kein Geld für nicht erbrachte Leistung. Aber jetzt? „Wir haben also keine andere Wahl, als im April die Kursgebühren wieder einzuziehen. Dafür bieten wir Euch einen verlässlichen Zoomunterricht an. Uns ist bewusst, dass nicht nur wir unter finanziellem Druck stehen, sondern auch unsere Mitglieder. Bitte sucht in diesem Fall den direkten Kontakt mit uns“, schreibt Andrea Czerner in dem Elternbrief.
Auch wenn es schwerfällt, rufen Czerners zu einer „Weitertanzen-Spende“ auf. „Dieser Spendenaufruf ist die Stimme der Verzweiflung, um das angelaufene Defizit eventuell ausgleichen zu können und die nächsten Monate zu sichern“, schreibt Andrea Czerner.
Die „völlige Perspektivlosigkeit“ nagt auch an Judith Geibel, denn der Lockdown komme einem kompletten Berufsverbot gleich. Mit jedem Lockdown hat sie das Gefühl, „ich darf noch weniger, bis der Tanz buchstäblich massakriert ist“. Sie beschreibt die Situation, in der sich Kulturschaffende und insbesondere jene, die im Tanzbereich aktiv sind, so: „Es ist ein langsames, fieses Sterben auf Raten und nicht mal ein Gnadenschuss.“
- Das Video der Czerner Dance Academy ist in voller Länge auf YouTube zu sehen. Auf ihrer Homepage schreiben Andrea und Peter Czerner dazu: „Hier eine Erinnerung an bessere Zeiten. Ein Hoch auf die Bretter, die uns die Welt bedeuten.“