Ob es in diesem Jahr an Weihnachten besondere Überraschungen unter dem Baum geben wird? „Das schönste Geschenk haben wir ja schon erhalten“, antwortet Sabrina Laux und blickt mit feuchten Augen auf ihren achtjährigen Sohn Tobias, der im Wohnzimmer auf einem Rollstuhl sitzt und ein ferngesteuertes Autos über den Teppich flitzen lässt. „Wir sind einfach nur froh und überglücklich, dass er bei uns ist.“ Vater Daniel nickt zustimmend und sagt: „Manchmal fragen wir uns, ob wir das Maß an Schutzengeln nicht schon ausgeschöpft haben.“
Es ist der frühe Abend des 31. Oktober, als Sabrina und Daniel Laux nur um ein paar Zentimeter am schlimmsten vorstellbaren Ereignis für Eltern vorbeischrammen. Die Söhne sind mit Freunden auf den Straßen ihres Wohnortes Litzelstetten unterwegs. Halloween, der ursprünglich irisch geprägter Brauch, an dem Kinder verkleidet von Haus zu Haus ziehen, klingeln und um Süßigkeiten bitten. Der achtjährige Tobias ist im Harry-Potter-Kostüm unterwegs, er soll um 19 Uhr wieder daheim sein.
Kurz nach der vereinbarten Zeit macht sich Vater Daniel Laux auf den Weg Richtung Ortsmitte, wo er die Clique des Jüngeren vermutet. Er will seinen Sohn auf dem Heimweg an der Schule überraschen. Doch der kommt und kommt nicht. Nach einigen Minuten geht Daniel Laux die Großherzog-Friedrich-Straße weiter hinauf – in der Vermutung, so seinem Sohn zu begegnen. „Plötzlich hörte ich seinen besten Freund ‚Mein Tobi, mein Tobi‘ rufen“, erinnert er sich.
Menschen versuchen gemeinsam, das Auto anzuheben, unter dem Tobi liegt
Mit jedem Schritt beschleicht ihn zunehmend ein ungutes Gefühl. Er erblickt schließlich auf der Hauptstraße ein Auto, dessen aktivierte Warnblinkanlage den zähen Herbstnebel durchleuchtet. Der Albtraum nimmt düstere Gestalt an. Menschen liegen neben dem Auto und blicken darunter, andere versuchen, es anzuheben.

Tobias ist von dem Auto überfahren worden, klemmt nun schwer verletzt darunter fest. „Als ich ihn dort sah und ansprach, schrie er ‚Papa, Papa‘“, blickt Daniel Laux zurück. „Diese Hilflosigkeit in diesem Moment ist nur schwer zu ertragen.“ Er sprintet nach Hause, will dort einen Wagenheber holen, da sich auf die Schnelle am Unfallort keiner findet.
Für Ehefrau Sabrina bricht eine Welt zusammen, als der Ehemann ihr die Schnellversion des Unfalls zwischen Tür und Angel schildert. „Ich hatte Panik, habe nur noch geschrien“, erinnert sie sich an diese schlimmen Momente. „Es war wie im Film. Ich rannte hoch zur Hauptstraße, habe Tobis Rufe gehört. Dieses Gefühl kann man nicht beschreiben.“

Die Rettungsdienste sind bereits vor Ort – Polizei, Feuerwehr, Sanitäter, Notärzte. So schlimm die Situation auch ist – im Rückblick hat die Familie zutiefst menschliche und bewegende Erfahrungen gemacht. „Wir können gar nicht in Worte fassen, wie sehr uns die Hilfsbereitschaft berührt hat“, erzählen die Eltern unisono. „Jeder hat sich rührend um uns gekümmert. Es war alles perfekt organisiert. Wir können allen Helfern nur danke sagen. Auch Mitbürger kamen auf die Straße und haben uns unterstützt.“
Beängstigende Situation im Schockraum; auch die Ärzte atmen durch
Tobias wird von der Feuerwehr professionell mit einem Luftkissen aus seiner Lage befreit, bevor ihn die Notärzte übernehmen. Mutter Sabrina fährt im Rettungswagen mit ins Krankenhaus, wird hier mental auf die nun folgende, beängstigende Situation im Schockraum vorbereitet.
„Da warteten viele Menschen und Maschinen auf Tobi. Ich war tief beeindruckt, wie ruhig und top organisiert es dort trotzdem zugeht. Da ist ein perfekt eingespieltes Team“, sagt sie. „Tobis gesamter Körper wurde im MRT durchleuchtet. Schließlich schnauften die Ärzte tief durch: Er hatte keine lebensgefährdenden Verletzungen. Ich habe die Erleichterung bei allen Beteiligten gespürt.“
Das rechte Schienbein ist gebrochen und muss noch in der Nacht operiert werden, Drähte werden zur Stabilisierung eingesetzt. Die Schmerzen in den Tagen danach sind kaum auszuhalten, wie der Junge erzählt. Der Bruch des Schlüsselbeines soll von alleine verheilen.

„Wir dürfen gar nicht daran denken, was hätte passieren können“, erzählt Vater Daniel erleichtert, „Tobi hatte großes Glück im Unglück. Dafür sind wir unendlich dankbar.“ Noch im Krankenhaus wird die Familie psychologisch betreut.
Der Achtjährige hat keine Erinnerungen mehr an den Unfall und die unmittelbare Zeit danach. Warum er über die Straße rannte, obwohl die Eltern seit Jahren immer wieder deutlich darauf hinweisen, dies bitte auf keinen Fall zu tun, weiß er auch nicht. Eltern hingegen wissen nur zu gut, dass der Nachwuchs hier und da gerne seine eigenen Wege geht. Wer will hier irgendjemandem einen Vorwurf stricken?
Und die Autofahrerin? „Sie tut mir auch leid“, sagt die Mutter
Auch für die Fahrerin des Wagens haben die Eltern aufmunternde Worte parat – obwohl es bisher keinen Kontakt gab. „Die arme Frau hat garantiert auch schlaflose Nächte“, so Mutter Sabrina. „Sie wollte das ja nicht; ist offenbar, so haben wir gehört, auch nur 30 gefahren – wobei das noch nicht sicher feststeht. Sie wollte irgendwo hin fahren und dann ist ihr das passiert. Sie tut mir auch leid.“ Beeindruckende Sätze.
Vater Daniel drückt es mit diesen drastischen, aber passenden Worten aus: „Wer will schon gerne ein Kind überfahren?“ Da die Ermittlungen laufen, gibt es noch keine offiziellen weiteren detaillierten Informationen.
In den Tagen nach dem Unfall erlebt die Familie erneut, wie schön eine funktionierende Dorfgemeinschaft sein kann. Nachbarn kochen für den Vater und den elfjährigen Sohn Fabian, während Mutter und Tobias noch im Krankenhaus weilten.
Jugendteams des SV Litzelstetten, beide Söhne sind begeisterte Fußballer, signieren und beschriften einen Fußball sowie ein Trikot für Tobias; die D-Jugend verspricht, als Tabellenführer im Ligaspiel gegen den Zweiten aus Rielasingen für den Bruder des Torhüters zu spielen – und gewinnt prompt 3:1; Mitschüler bringen dem Patienten Unterrichtsstoff zum Nacharbeiten nach Hause.

„Trotz dieses Albtraumes machen wir so schöne Erfahrungen“, wiederholen die Eltern mehrmals in dem gut 90-minütigen Gespräch. Dafür und auch dafür, dass wir unseren Tobi hier bei uns haben dürfen, sind wir unendlich dankbar.“ Schöner können die Überraschungen unterm Weihnachtsbaum gar nicht sein.