Pro: Lasst den Bäumen ihre Ruhe

Der Name sagt es schon: Lorettowald. Nicht Lorettopark. Wald bedeutet im Wortsinn, dass hier Bäume wachsen, Tiere leben und der Mensch ausnahmsweise keine Vorfahrt hat. Nun stellt der Lorettowald, zugegeben, in Sachen Wald ein spezielles Exemplar dar: Er liegt mitten in der Stadt, wird seit Jahrzehnten als Erholungs- und Spazierstrecke genutzt – und es gibt dort keine größeren Tiere. Nicht einmal verlaufen kann man sich.
Diese Besonderheit spielt aber gar keine Rolle. Der Lorettowald ist gefährdet, es ist zu trocken, der alte Baumbestand bekommt zu wenig Wasser, Kronen sterben ab. Dadurch sind etliche Bäume und Äste in jüngster Zeit auf Wege gestürzt, ein Baum zerstörte dabei eine Sitzbank. Der Klimawandel führt hier zu Folgen, die auf diesem begrenzten Areal deutlicher erkennbar sind als anderswo. Das heißt: Jeder, der sich hier aufhält, befindet sich in einem Stück Natur im Umbruch. Umstürzende Bäume gefährden Menschen. Solang sie sich des Risikos bewusst sind, ist das in Ordnung. Ob parkende Autos unter brüchige Äste gehören, ist eine andere Frage. Vielleicht sind Stellplätze am und im Lorettowald verzichtbar.
Was in der emotionalen Debatte um den Lorettowald klar gesagt werden muss: Keiner erwartet, dass künftig kein Mensch mehr diese Fläche betritt. Wenn der Lorettowald aber vorrangig als Freizeitraum genutzt wird, wird die Spitalstiftung immer wieder Bäume fällen müssen – um den Menschen zu schützen. Muss das sein?
Stattdessen könnte der Lorettowald in Zukunft auf seine Kernfunktion reduziert werden. Er leistet nämlich den Konstanzern große Dienste, die völlig jenseits der sportlichen Aktivitäten der Bürger liegen. Gemeinsam mit Stadt- und Staatswald auf dem Bodanrück prägt er das Mikroklima. Die Bäume binden CO2 und helfen in wärmer werdenden Sommern, die Stadt auf ein erträglicheres Maß zu kühlen. Es ist sinnvoll, dem Wald die Chance zu lassen, sich zu erneuern und den Menschen begrenzt „auszusperren“. Das bedeutet nicht, dass kein Kind mehr im Lorettowald spielen und niemand einen Waldspaziergang unternehmen darf. Aber wenn es nur noch eine Radwegstrecke durch den Lorettowald gibt, verliert der Konstanzer nicht viel. Auch die Beleuchtung ist verzichtbar. Wer nachts auf beleuchtetem Weg fahren möchte, wählt als Alternative die Mainaustraße.
Der Lorettowald, der Eigenschaften eines Biotops entwickelt und jüngere, dem wärmeren Klima angepasstere Bäume nachwachsen lässt, nützt letztlich allen. Er ist dann kein beleuchteter Kur- und Sportpark mehr, sondern einem Wald etwas ähnlicher. Die Konstanzer sind dort dann mehr Kurzzeit-Gäste als Dauernutzer. Das könnte sich lohnen, jedenfalls, wenn man sich wünscht, dass ihr Naherholungsort als grüne Lunge erhalten bleibt.
Contra: Lasst uns diesen naturnahen Park

Es hört sich so lieblich nach einem Stück vollkommen intakter Natur an. Lorettowald! Und tatsächlich, wer hier spazieren oder joggen geht und sich nicht verstöpselt gegen Umwelteinflüsse abschirmt, hört die Spechte klopfen, den Wind in den Buchenblättern rauschen und das Hockgraben-Bächle fließen. Doch all das sollte nicht darüber hinwegtäuschen, was diese 64 Hektar im Kern sind: Erholungs- und Vergnügungsraum für die Konstanzerinnen und Konstanzer, und eben nicht in erster Linie ein urtümlicher Naturraum. Hier führen sie ihre Hunde aus, hier trainieren sie an Sportgeräten, hier führen sie ihre guten Spaziergangsgespräche.
Und so ein unberührter Lebensraum für Pflanze und Tier kann der Lorettowald auch gar nicht mehr werden. Umzingelt von Bebauung und See, ist er eine grüne Insel im Stadtgebiet, räumlich nicht wirklich verbunden mit ähnlichen Biotopen und kaum zu vergleichen mit den großen zusammenhängenden Wäldern zum Beispiel auf dem Bodanrück. Es wäre also gut, die Realität anzuerkennen, dass wir es hier eher mit einem naturnahen Park zu tun haben, der in erster Linie Erholungsfunktion hat, als mit einem Wald im klassischen Sinne. So haben die Konstanzer ihren Lorettowald über Generationen genutzt und geformt, und nicht zuletzt haben sie genau unter dieser Prämisse immer für ihn gekämpft.
Auch wenn es manchen nicht leicht fällt, lohnt ein realistischer Blick auf die tatsächlichen Gegebenheiten. So steht im Lorettowald eben die Nachhaltigkeitsdimension Soziales im Vordergrund, während das Wirtschaftliche (also Holzerträge) und das Ökologische (Klimaschutz, biologische Vielfalt) in den Hintergrund treten müssen. In anderen Wäldern dürfen und sollten die Schwerpunkte anders verteilt sein – und dafür gibt es auch in Konstanz Raum genug. Am städtischen Waldbesitz macht der Lorettowald gerade mal 15 Prozent aus, am gesamten Waldbestand auf Konstanzer Gemarkung, immerhin 1740 Hektar laut Statistischem Landesamt, sogar nur 3,7 Prozent. Auf den restlichen 96,3 Prozent Waldflächen lassen sich ökologische Ziele mit mehr Akzeptanz der Menschen umsetzen, diese Prognose sei gewagt.
Den Bürgern den Lorettowald zu verleiden, ihnen einen beleuchteten und asphaltieren Rad- und Joggingweg wegzunehmen sowie Teile dieses Gemeinbesitzes abzusperren, mag aus forstlicher Einschätzung der richtige Weg sein. Aus sozialer Sicht wäre es ein folgenschwerer Fehler, den Menschen den Zugang zu diesem Stück Natur zu erschweren und ihre Liebe dafür zu enttäuschen: In Konstanz hat man schon oft erlebt, wie ein Problem vermeintlich gelöst und dafür zehn andere geschaffen werden. Das sollte sich ausgerechnet im Lorettowald nicht wiederholen.