Bis heute birgt der tiefe Grund des Bodensees einige Geheimnisse – die zuweilen an die Wasseroberfläche gespült werden. So wie beispielsweise mehrere Granaten, die im vergangenen Sommer unabhängig voneinander im Wasser gefunden und daraufhin geborgen wurden. Doch die kleinen Kampfmittel sind bei Weitem nicht das Einzige, was in der Vergangenheit aus dem Wasser geholt wurde.
Was kaum einer weiß: Im Jahr 1974 wurde in der Nähe der alten Rheinbrücke ein mehrere Meter langer Torpedo aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges geborgen – von zwei Schweizer Tauchern, und das auf eigene Faust. So steht es in der Historie des Kreuzlinger Tauchvereins. Doch das ist nicht alles. Denn die Spurensuche des SÜDKURIER hat zu weiteren Informationen geführt, die den Fund in ein neues Licht rücken könnten.
Der Torpedo steckte im Schlamm
Der SÜDKURIER berichtete bereits im Jahr 1969 mehrmals der gedruckten Tageszeitung über den Fund eines Torpedos vor Konstanz. So war in der Ausgabe vom Dienstag, 4. März 1969, folgendes zu lesen: „Im Rhein liegt ein Luft- oder Versuchstorpedo: Von zwei Schweizern Sporttauchern entdeckt.“

Der Torpedo, der eine Länge von 260 Zentimeter und einen Durchmesser von einem halben Meter besaß, sei sieben Meter unter dem Spiegel des Rheins etwa 100 Meter westlich der Rheinbrücke entdeckt worden. Ein Teil steckte tief im Grund, drei von vier Blättern eines Propellers schauten noch aus dem Schlamm heraus. Zwei Schweizer Sporttaucher aus Kreuzlingen hätten das Kampfmittel an einem Sonntagnachmittag bei Tauchübungen entdeckt, hieß es damals.
Ursprünglich ging die Wasserschutzpolizei wohl davon aus, dass der Torpedo aus einem Werk in Immenstaad bei Friedrichshafen stammen könnte, in dem Kampfmittel für die Kriegsmarine hergestellt und erprobt wurden. Wenig später kam jedoch noch eine andere Vermutung auf: Zwei Konstanzer erklärten übereinstimmend, dass kurz vor der Kapitulation von Konstanz Ende April 1945 ein Lastwagen voll Waffen von der Rheinbrücke in den Bodensee geworfen worden war. Darunter habe sich auch ein Teil eines Torpedos befunden, bei dem jedoch höchstwahrscheinlich der Sprengkopf fehlte.
Vermutlich gab es nur einen Torpedo
Doch was hat nun der Torpedo, der laut dem SÜDKURIER 1969 gefunden wurde, mit dem zu tun, der 1974 von den Schweizer Tauchern gehoben wurde? Handelt es sich hier um zwei verschiedene Kampfmittel? Jürgen Klöckler, Stadtarchivar von Konstanz, sagt: „Ich vermute, dass es sich bei den Torpedos von 1969 und 1974 um ein und denselben handelt.“
Doch wie kam dieser denn nun in den Seerhein? Auch hierzu kennt Jürgen Köckler eine mögliche Erklärung. So geht der Archivar davon aus, dass das Kampfmittel von der Firma Schwarzwald Flugzeugbau gefertigt worden war. „Die Firma Schwarzwald Flugzeugbau wurde aus Luftschutzgründen im Herbst 1941 von Donaueschingen nach Konstanz verlegt und produzierte nunmehr kriegswichtiges Gerät am Bodensee (Sperrholzteile für verschiedene Flugzeugtypen, Lastensegler und Flugzeugattrappen für Scheinflugplätze, später auch Kabinendächer aus Plexiglas)“, so Jürgen Klöckler. „Das Firmengelände befand sich östlich des damaligen Konstanzer Flugplatzes, nahe dem bis heute bestehenden Stromeyerschen Neuwerks.“
Prototyp am Bodensee gefertigt?
Doch der Fund wird noch spektakulärer. So könnte es sich bei dem Kampfmittel möglicherweise um den Prototypen des Lufttorpedos L 50 gehandelt haben. An der geheimen Entwicklung dieser neuartigen Waffe war Schwarzwald Flugzeugbau laut dem Stadtarchivar seit dem Herbst 1944 beteiligt. Es handelte sich dabei um einen Torpedo, der – von Flugzeugen abgeworfen – aus großer Entfernung ferngesteuert werden sollte. Das Kampfmittel verfügte über Stummelflügel in Holzbauweise, die von Schwarzwald Flugzeugbau entwickelt wurden.
Ein weiteres Indiz: Die Fernsteuerung soll vom Berliner Betrieb Askania entwickelt worden sein. Und wie es der Zufall so will, beantragte der dortige Projektleiter angesichts der Luftangriffe auf die Reichshauptstadt eine Verlegung der Firma Askania an den Bodensee, ins unmittelbare Umfeld von Schwarzwald Flugzeugbau nach Konstanz. Diese sei auch kurz vor dem Ende des Krieges, genauer im Februar 1945, genehmigt und vollzogen worden sein.
„Die Entwicklung des Lufttorpedos konnte freilich nicht mehr abgeschlossen werden und so wurde der Prototyp unmittelbar vor dem Einmarsch der französischen Besatzungstruppen Ende April 1945 unter Polizeiaufsicht im Seerhein versenkt“, so Klöckler. „Der Torpedo selbst verfügte über keinen mit Sprengstoff gefüllten Gefechtskopf und war daher ungefährlich.“ Im März 1969 wurde er dann von den beiden Schweizer Tauchern entdeckt und fünf Jahre später, im März 1974, auf eigenes Risiko geborgen.
Diese Herleitung scheint laut Klöckler die plausibelste Erklärung des spektakulären Fundes zu sein – abschließend gesichert ist dies jedoch nicht. Die beiden findigen Schweizer Taucher, Hans Ulmann und Heinz Pflug, sind laut Angaben des Tauchclub Kreuzlingen leider schon vor längerer Zeit verstorben. Sie hätten wohl noch von weiteren Hintergründen berichten und abschließend Klarheit über die genauen Vorkommnisse bringen können.
Warum werden nicht alle Funde gehoben?
Warum barg der Kampfmittelbeseitigungsdienst den Torpedo damals nicht? Eine mögliche Erklärung: Da der Torpedo ohnehin ungefährlich war, entschied man sich dazu, ihn an Ort und Stelle zu belassen. Denn: Wasserbergungen sind laut dem Kampfmittelbeseitigungsdienst im Vergleich zu Bergungen an Land viel aufwendiger. Die meisten der Funde liegen auch nicht offen auf dem Seegrund herum, sondern sind tief im Untergrund versandet.
Bei einem Torpedofund im See vor Friedrichshafen-Seemoos im Jahr 2017 steckte beispielsweise das fünf Meter lange und fast eine Tonne schwere Kampfmittel zum größten Teil im Sand, lediglich das Heck war noch zu sehen. Ihn freizulegen war damals nur unter größtem Aufwand möglich. Funde, die sehr tief im See begraben liegen, müssten deshalb laut Kampfmittelbeseitigungsdienst auch nicht zwingend herausgeholt werden – zumindest wenn von ihnen keine Gefahr ausgehe, sie als nicht „scharf“ sind. Wie viele Granaten, Torpedos und andere Waffen sich noch am Grund des Bodensees befinden, ist bis heute ungeklärt.