Sein Name prägt das Stadtbild, und seine Familie hat in Konstanz Wirtschaftsgeschichte mitgeschrieben. Otto Müller hat die gleichnamige Metzgerei zu einem Vorzeigebetrieb dieses Handwerks entwickelt und ist doch Zeit seines Lebens lieber im Hintergrund geblieben. Besonders wohl gefühlt, so erzählt es seine älteste Tochter, hat sich Otto Müller im eigenen Betrieb – oder bei den Landwirten im Stall, wo er ihnen die Tiere abkaufte. Jetzt ist diese gleichermaßen bekannte wie bescheidene Persönlichkeit im Alter von 92 Jahren gestorben.

Damit endet eine Lebensgeschichte, in der sich viel von den grundstürzenden Veränderungen des 20. Jahrhunderts spiegelt: Krieg und Vernichtung, Wirtschaftswunder und Konsumlust, Industrialisierung der Lebensmittelbranche, Zeitgeist. Doch es war zunächst gar nicht abzusehen, dass Otto Müller die 1923 von seinem Vater – auch er hieß Otto und ist der eigentliche Namensgeber des Betriebs – in der Konstanzer Rosgartenstraße begründete Metzgerei einmal übernehmen würde.

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Der älteste Bruder war für die Nachfolge eigentlich schon ausgewählt. Doch er starb, gerade einmal Anfang 20, in den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs. Sein 18-jähriger Bruder, der Zweitälteste von sechs Müller-Kindern, kam ebenfalls nicht aus dem Krieg zurück. Zwei Fotos, die bis heute in einem Büro des Handwerksbetriebs hängen, erinnern an die beiden. Sie zeigen zwei gutaussehende, zuversichtlich in die Kamera blickende junge Männer.

Der junge Otto Müller muss früh kräftig mit anpacken

Otto Müller Junior brachte als Jugendlicher mit Mutter und Vater den Betrieb durch die schweren, von Lebensmittelknappheit geprägten, Kriegs- und Nachkriegsjahre. Doch schon in den 50er-Jahren starb die Mutter, 1961 der Vater. Otto Müller nahm die Verantwortung an und baute das Unternehmen zielstrebig und mutig weiter aus; die Menschen konnten sich endlich wieder Fleisch leisten und holten hungrig nach, worauf sie so lange verzichten mussten.

Stammsitz des Betriebs: In der Konstanzer Rosgartenstraße hat die Metzgerei Otto Müller ihr Hauptgeschäft. Und in diesem Haus wurde Otto ...
Stammsitz des Betriebs: In der Konstanzer Rosgartenstraße hat die Metzgerei Otto Müller ihr Hauptgeschäft. Und in diesem Haus wurde Otto Müller 1931 geboren. | Bild: Schuler, Andreas

Doch die Zeiten änderten sich. Als Katharina Müllers jetzt verstorbener Vater 1961 den Betrieb übernahm, gab es noch 38 Metzgereien in Konstanz. Heute ist Otto Müller die letzte in der Kernstadt. Der Markt hat sich radikal verändert, Fleisch und Wurst werden meist im Supermarkt gekauft. Otto Müller übernahm etliche Betriebe, spannte sein Filialnetz bis in den Hegau. Der Seniorchef erlebte dann aber auch mit, wie ein Standort nach dem anderen wieder aufgegeben wurde. Zugleich kamen neue hinzu, im Kaufland im Industriegebiet zum Beispiel oder auch im Lago.

1975 errichtete der Firmeninhaber in einer weitsichtigen Entscheidung das Betriebsgebäude in der Max-Stromeyer-Straße, in dem noch heute auf handwerkliche Weise Wurst hergestellt wird. Bis 1989 schlachtete die Metzgerei im städtischen Schlachthof im Paradies, heute ist in dem wunderschön sanierten Gebäude die Bibliothek der HTWG untergebracht. Dann folgte der Umzug in die Byk-Gulden-Straße. Otto Müller wurde so ein zweites Mal zu einem Pionier bei der Entwicklung im Konstanzer Westen.

Geschlachtet wird in Konstanz schon seit Jahren nicht mehr

Doch auch hier erlebte Otto Müller mit, wie die Zeitläufe wirken: Der eigene Schlachthof ist seit Jahren stillgelegt, es fehlt an Personal und Auslastung. Heute werden die Tiere im oberschwäbischen Mengen geschlachtet, sagt Katharina Müller. Was sich auch deshalb anbiete, weil die Tiere zumeist ohnehin von Höfen auf der anderen Seeseite kommen. Zuletzt erlebte Otto Müller auch eine Zeit mit, in der sich viele für den Fleischkonsum rechtfertigen müssen. Auch das geht an Metzgern nicht einfach so spurlos vorbei.

Sie führt den Betrieb im Sinne ihres Vaters weiter: Katharina Müller.
Sie führt den Betrieb im Sinne ihres Vaters weiter: Katharina Müller. | Bild: Metzgerei Müller

So sind es vielleicht auch die vielen Veränderungen und Herausforderungen, die Otto Müller immer wieder neu antrieben. Geradlinig, klar, überzeugt von seinem Handwerk und den Menschen im Betrieb, so schuf er ein Lebenswerk, von dem seine Tochter Katharina für die ganze Familie sagt: „Wir haben davor Hochachtung“. Denn sie wissen: Der Betrieb von Otto Müller hätte auch einer der 37 anderen sein können, die längst verschwunden sind.

Noch im 90. Lebensjahr kam er regelmäßig in den Betrieb, erinnern sich Weggefährten. Für die Bauern in der Region war er ein Geschäftspartner, der auf langfristige Beziehungen setzte und viel dafür tat, dass die kleinteilige Landschaft im Südwesten eine Überlebenschance bekommt. Die Gastronomie der Stadt verliert eine Persönlichkeit, die weit mehr war als ein Lieferant. Und schließlich trauern die Segler um einen Kameraden, der 1976, belächelt als Binnensegler vom Bodensee, vor Schwedens Ostküste Vizeweltmeister in der Sechs-Meter-Rennyacht wurde.

Was er anpackte, das machte er richtig

Vielleicht zeigt sich in der Geschichte um das Boot sogar ganz gut, was diesen Otto Müller nach Aussage seiner Weggefährten ausmachte. Als es der Mutter schon sehr schlecht ging und sie viel zu früh von ihren Kindern Abschied nehmen musste, wollte sie jedem einen Wunsch erfüllen. Otto bat um ein Ruderboot. Die Mutter entschied sich für eine Jolle, damit der Junge nicht auch am Sonntag noch schaffen musste. Doch der nahm es als Herausforderung und schulte sein Gespür für Boot und Wind so lange, bis er ganz vorne mitsegeln konnte.

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Nun müssen seine Frau Brigitte, die Töchter Katharina und Sonja, aber auch eine große Belegschaft der Metzgerei Müller, Kunden und Lieferanten, Fleischkäsbrötle-Liebhaber und Gourmet-Griller von einer echten Persönlichkeit Abschied nehmen. Sein Lebenswerk, in dem sich so viel Zeitgeschichte spiegelt, wirkt weiter. Denn der Name Otto Müller – der bleibt in Konstanz in aller Munde.

Die Beisetzung mit Trauerfeier findet statt am Dienstag, 17. Oktober, auf dem Hauptfriedhof in Konstanz.