Sebastian Faller trägt nie Socken. „Die engen mich zu sehr ein“, sagt der Mann, der immer barfuß in seine Schuhe schlüpft. Denn der 40-Jährige braucht seine Füße nicht nur zum Laufen. Er verwendet sie so wie andere ihre Hände. Wenn er ein Sektglas hebt, dann greift er es mit seinen Zehen, wenn er auf der Tastatur seines Computers tippt, dann mit den Füßen.

Faller ist ohne Arme auf die Welt gekommen. Trotzdem arbeitet er als freier Softwareentwickler in Konstanz, hat den schwarzen Gürtel in Karate und jetzt seine erste Kunstausstellung. Sein Entdecker und Förderer Türel Süt ist sich sicher: „Er hat das Potenzial für einen erfolgreichen Künstler.“ Sebastian Faller zeichnete schon als Kind gern.
Türel Süt, der in Konstanz in seinem Art-Center Kurse anbietet, entdeckte sein Talent. Seit drei Jahren zeichnet Faller bei ihm, und die Werke, die dabei entstanden sind, beeindrucken. Feine Bleistiftstudien zum Thema Tiere. Ein Tiger im Wasser, eine Libelle in der Luft, eine Echse auf der Lauer. Die Posen, die Schatten, das Fell. Alles ist perfekt gesetzt, kommt so leicht daher.
Süt ist beeindruckt vom Talent des Konstanzers
Wie viel Arbeit in den Bildern steckt, erschließt sich erst, wenn man die Begleittexte liest. Zum Tiger heißt es zum Beispiel: „Das asymmetrische Gesicht und die Reflexionen im Wasser haben mich beim Zeichnen fast wahnsinnig gemacht.“ Dennoch habe er Spaß daran, mit Liebe zum Detail zu arbeiten, sagt Faller.
Faller und Süt kennen sich vom Karate. Dort kamen sie ins Gespräch. Im Atelier des Künstlers machte Süt einige Koordinationstests, zeigte Sebastian Faller Maltechniken. „Jede einzelne Aufgabe, die ich ihm gab, hat er positiv umgesetzt und gut reagiert.“ Er kommt nun regelmäßig in den Kunstkurs. „Die Leute mochten ihn sofort – und er mochte die Gruppe.“

„Ich war selbst überrascht, wie gut ich das kann“, sagt sein Zögling. Faller freut sich schon darauf, sich malerisch weiter zu entwickeln. „Man ist nicht an die Realität gebunden. Man kann alles zum Leben erwecken.“
In seiner Freizeit liest der 40-Jährige gern Romane, die in eine Fantasiewelt führen. Dennoch habe er im Augenblick den Eindruck, noch am Anfang zu stehen. Das sieht auch sein Förderer so. Faller sollte beim Malen noch nicht mit Farbe beginnen. „Man muss erst das Laufen lernen, bevor man rennen kann.“
Trotz seines Handicaps spricht der Mann ohne Arme häufig vom Glück, das er in seinem Leben hatte. Dabei hat sich Faller, der viel Ruhe ausstrahlt, eine Menge selbst erarbeitet. „Ich bin zu Hause nie verwöhnt, aber gefordert und gefördert worden.“ Vom ersten Tag an habe er gelernt, seine Beine wie Hände zu benutzen, manchmal auch auf die harte Tour.
Wenn er zum Beispiel klagte, er könne die Schuhe mit den Klettverschlüssen nicht eigenständig schließen, hätten Mutter und Vater gesagt, dies sei kein Problem. Dann müsse er eben zu Hause bleiben. Klar, dass er auch den Umgang mit den Schuhen schnell lernte.

Er habe, damals noch in Aach im Hegau, einen ganz normalen Kindergarten besucht, später die üblichen Schulen und das Technische Gymnasium in Singen. In Konstanz hat er studiert – und ist in die Stadt nach einer beruflichen Zeit in Tettnang vor vier Jahren zurückgekehrt.
Über seine beruflichen Erfolge sagt er: „Ich kann halt quatschen. Das hilft bei Bewerbungsgesprächen.“ Seine freundliche Art hilft vermutlich auch: „Mir wird immer gesagt, ich komme sympathisch rüber.“
Kunst, Karate und Kochen – Faller hat viele Hobbys
Das Karate-Dojo war wie eine Heimat für Sebastian Faller. Seit dem achten Lebensjahr hält er sich mit dem Sport beweglich. Er hat den schwarzen Gürtel. Mit seinen Beinen kommt der 40-Jährige deutlich höher als der durchschnittliche Mensch.
Dennoch ist es für ihn leichter, bodennahe Schubladen und Regalfächer zu erreichen. In den oberen Etagen liegen nur Sachen, die auch auf den Boden fallen dürfen. Tüten mit Chips oder Packungen mit Nudeln. Die Kristallgläser würde er nicht gerade ganz nach oben stellen.
Die Tastatur und die Maus vor dem Computer liegen auf dem Boden. Wenn er tippen und etwas anklicken will, benutzt er seine Füße. Der Spezialstuhl in der Küche bietet auch die Möglichkeit, die Beine abzulegen. Faller schnibbelt Gemüse mit den Füßen – es dürfe nur nicht zu weich sein.
Er kocht in Töpfen und Pfannen, die eher breit als hoch sind. Er geht in seiner Freizeit gern in Restaurants, fährt Bus und läuft viel. Er kauft gern in kleineren Läden ein, in dem sie ihn kennen und gerne mal helfen, wenn er eine Sache nicht erreichen kann.
Zum Waschen, auch des Rückens, und zum Putzen der Wohnung hat er Hilfen von der Sozialstation. Eine Schwierigkeit in seinem Leben kann aber auch sie nicht lösen. Mit einer Beziehung hat es bisher noch nicht geklappt. Sebastian Faller vermutet, dass viel über Äußerlichkeiten läuft. „Da habe ich Unsicherheiten.“
Manchmal müssen sich andere an seine Lage gewöhnen, so wie die kleine Nichte: Sie habe ihm an den Zehen gepackt und fortziehen wollen. Es dauerte eine Weile, bis sie verstand, dass der Onkel mit seinen Beinen nicht zwei Sachen auf einmal machen kann. Entweder er läuft oder er gibt ihr den Fuß.