Es regnet in Strömen, die wenigen Passanten eilen am Infostand des Wohnprojekts Konstanz vorbei. „Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.“ Rilkes herbstliche Endzeitstimmung lastet heute über der Marktstätte, auf der sich an Sonnentagen Hunderte von Menschen tummeln.
Auch Annabel Holtkamp und ihre Genossin Ines Isselstein haben sich unter ihr Zeltdach zurückgezogen – aber sie trotzen der Tristesse. Sie und die anderen Mitglieder des Wohnprojekts Konstanz eG haben keinen sehnlicheren Wunsch als möglichst rasch ein eigenes Dach über dem Kopf zu haben, dass endlich Bewegung in die verschiedenen Wohnprojekte kommt und die Stadt sie nicht länger im Regen stehen lässt.
Nachhaltiges Wohnen für alle Generationen
Alle Hoffnungen ruhen nun auf den Christiani-Wiesen und dass hier bald gebaut wird. Immerhin hat der Bund schon 770.000 Euro an Fördergeld für dieses Modellquartier bewilligt. 140 Wohneinheiten sollen entstehen, und Holtkamp ist sicher, dass ihre Genossenschaft den Vergabekatalog der Stadt erfüllt.
Hier soll nämlich nachhaltiges Wohnen umgesetzt werden in einer generationsübergreifenden Nachbarschaft. „Der Fokus unserer Genossenschaft liegt auf dem gemeinnützigen, zukunftsorientierten Wohnen – und das ganze spekulationsfrei“, so das Credo des Wohnprojektes. „Und wir werden auf den Christani-Wiesen mehr an Nachhaltigkeit erschaffen als die bisher zyklische Gladiolenbepflanzung.“
Auch Car-Sharing gehört zum Konzept
Zum Konzept zählen auch alternative Mobilitätsangebote wie Car-Sharing, kurze Wege für den täglichen Bedarf, die das soziale Miteinander fördern und den Abschied vom eigenen Auto erleichtern sollen. Die zum Wohnen erforderliche Energie soll im Quartier selbst erzeugt werden.
Bei der demographischen Durchmischung orientiert man sich im Wohnprojekt an der Altersstruktur der Bevölkerung in Deutschland. Hier sollen also Menschen „von Windel zu Windel“ ihr dauerhaftes Zuhause finden, wie Andrea Sproll-Wallisch, ebenfalls eine Genossin des Projektes, bildhaft formuliert.
Nach dem Motto der Konstanzer Zukunftsstadt „Qualität statt Quadratmeter“ soll der Privatraum zugunsten von Gemeinschaftsflächen reduziert werden. So können beispielsweise Gästezimmer und Arbeitsplätze gemeinsam genutzt oder Begegnungszonen für das soziale Miteinander geschaffen werden. Wer am liebsten abgeschottet von seinen Nachbarn lebt, wird sich also kaum diesem Wohnprojekt anschließen.
Spekulationsfreien Wohnraum zu fairen Preisen schaffen
Jedes Mitglied bezahlt ein einmaliges Eintrittsgeld von 1200 Euro und zeichnet zwei Pflichtanteile von je 500 Euro. Für eine Wohneinheit sind pro Mitglied 25 bis 30 Prozent Eigenkapital erforderlich, den Rest trägt die Genossenschaft. Deren Zuschuss wird dann im Lauf der Jahre durch ein so genanntes Nutzungsentgelt, entsprechend einer Miete, abbezahlt.
Darin enthalten sind die Finanzierung der eigenen vier Wände, aller Gemeinschaftsflächen und Einrichtungen sowie die Verwaltungskosten und Rücklagen. Zudem genießt man auch einen wesentlich besseren Mieterschutz durch lebenslanges Wohnrecht und stabile Mieten.
Derzeit gibt es 50 Mitstreiter
Das gemeinschaftliche Miteinander wird im Sinne einer Soziokratie geregelt. Alle Entscheidungen werden in Redekreisrunden erörtert und dann in einem möglichst breiten so genannten Konsent beschlossen – Konsens ist, wenn alle dafür sind, Konsent, wenn keiner dagegen ist.
Annabel Holtkamp hofft wie ihre rund 50 Mitstreiter darauf, dass wenigstens für das Projekt auf den Christiani-Wiesen möglichst rasch die Baufreigabe erteilt wird und der Traum vom nachhaltigen Wohnen in Erfüllung geht. „Die Christiani-Wiesen sollen das Pilotprojekt sein für das Döbele und den Hafner, wo sich hoffentlich auch bald etwas bewegt“, sagt sie.