Die Zahlen allein lassen aufhorchen: Alle drei Tage tötet in Deutschland ein Mann eine Frau, meist handelt es sich um Ehefrau, Freundin oder ehemalige Partnerin. Das sind in diesem Jahr (Stand November) 97 Morde.
Inzwischen hat sich dafür der Begriff Femizid eingebürgert, auch, um deutlich zu machen, dass es sich hier um eine besondere Form der Kriminalität handelt: Es geht um Eifersucht, Zurückweisung, Besitzgier. „Frauen werden ermordet, weil sie Frauen sind“, sagt Laura Leogrande, Leiterin einer feministischen Anwaltskanzlei in Berlin.
In der Bodenseeregion und im Schwarzwald stellt sich die Lage im Jahr 2023 nicht weniger düster dar: In unserer Region seien drei, im schlimmsten Fall vier Frauen durch die Hand ihres Partners umgekommen. Eine der Frauen wird bis heute vermisst. „Oft suchten diese Frauen zuvor Hilfe bei Institutionen, im Frauenhaus, bei der Polizei“, umreißt SÜDKURIER-Redakteurin Eva-Marie Stegmann, souveräne Moderatorin der Veranstaltung „Stoppt Femizide“ im Konstanzer Bürgersaal, die prekäre Situation. Das Frauenhaus und die Chancengleichheitsstelle der Stadt hatten die Podiumsdebatte initiiert und organisiert.
Die Morde ereigneten sich in Bonndorf, in Stockach, in Markdorf. Die Verantwortlichen des Frauenhauses entscheiden sich deshalb für einen ungewöhnlichen Schritt und gehen an die Öffentlichkeit. „Diese Morde – das war uns ein bisschen zu viel. Wir können das so nicht stehen lassen“, sagt Ute Klasen, Leiterin des Frauenhauses in Konstanz.

Im Konstanzer Bürgersaal tun fünf Diskutanten und Moderatorin Eva-Marie Stegmann, was sie können, um Bewusstsein zu schaffen: Warum nimmt die strukturelle und manifeste Gewalt gegen Frauen eher zu als ab? Und warum gelingt es nicht, bedrohte Frauen zu schützen?
- Welche Mittelgibt es, bedrohte Frauen zu schützen? Das wichtigste Instrument hierbei ist das Gewaltschutzgesetz, das sich auf Fälle von häuslicher Gewalt bezieht. Ein Mittel des Gesetzes ist etwa das Näherungsverbot, wie Uwe Stürmer, Polizeipräsident in Ravensburg, auf dem Podium erläutert. Es kann gegenüber einem Täter ausgesprochen werden, der seine Partnerin bedroht und verletzt hat.
„Das Gesetz ist nicht komplex, aber es kann nur so gut sein wie seine Anwendung“, betont Stürmer. „Das Gesetz funktioniert nur, wenn man es durchdekliniert und schnell ein Näherungsverbot erreicht.“ Hinzu komme, dass es dann auch Beamte brauche, die das Näherungsverbot überwachten, erinnert Christine Barth, Mitarbeiterin des Frauenhauses. Oft scheitere es am fehlenden Personal. - Ist es schwierig, im Frauenhaus Hilfe zu bekommen? Es könnte so einfach sein. „Eine Frau ruft bei uns an, weil sie im Internet sieht, dass bei uns ein Platz frei ist“, erläutert Christine Barth das Vorgehen. Sie brauche unbedingt Hilfe, versichert die Frau, die sich in Not befindet. Doch dann beginnen die Probleme. „Wir finanzieren uns über Tagessätze, im Prinzip funktioniert das Frauenhaus wie ein Hotel“, sagt sie. Das bedeutet: Die meisten Frauen können den Aufenthalt gar nicht finanzieren.
Das Jobcenter übernehme die Kosten für Frauen, die Arbeitslosengeld II beziehen. Bezieherinnen von Arbeitslosengeld I, also Frauen, die bis zur Gewalterfahrung gearbeitet hätten, aber fielen schon aus der Finanzierung heraus. Auch Studentinnen und Asylbewerberinnen bekämen den Aufenthalt nicht finanziert. „Im Oktober mussten wir 29 Frauen ablehnen, weil sie den Aufenthalt nicht finanzieren konnten.“
- Ist die Finanzierung überall so schwierig? Nein. Aber ein Mangel an Plätzen gibt es überall. In Berlin hätten Frauen die Möglichkeit, unabhängig von Tagessätzen in ein Frauenhaus zu kommen, berichtet Rechtsanwältin Laura Leogrande. „Es gibt eine Basisfinanzierung und es gibt Vereine, die sich um einen Teil der Finanzierung kümmern.“ Zudem würden Beamtinnen der Polizei sehr intensiv geschult, um einfühlsam mit Situationen von häuslicher Gewalt umgehen zu können. Das Grundproblem aber bleibe auch dort: Wie gelingt es, ein Kontakt- und Näherungsverbot durchzusetzen?
- Was erleben Frauen in Bezug auf ihre Kinder? Ihre Befreiung aus der Gewalt gleicht einem Teufelskreis. Zunächst sage das Jugendamt, sie müssten dringend die Situation – also den Mann – verlassen, beschreibt Christine Barth das Vorgehen. Sobald sie im Frauenhaus weilten, beantrage der Mann über das Jugendamt das Umgangsrecht mit den Kindern. Die Frau gerate so in die Gefahr, dass über die Erfüllung des Umgangsrechts ihr Aufenthaltsort bekannt werde. Der Täter benutze die Kinder, um Zugang zu der Ex-Partnerin zu bekommen, die ihn verlassen hat.
- Wie fühlt sich eine Frau, die massive Gewalt erfährt? Vor allem von vielen Seiten unverstanden. Mehrfach habe sie die Möglichkeit, sich von ihrem damaligen Mann zu trennen erwogen, berichtet Christine Finke, Stadträtin für das Junge Forum Konstanz, bei einer Therapeutin, bei einer Beratungsstelle. Ihr wurde aber abgeraten, der Mann könne so noch wütender werden, hieß es.
2009 schaffte sie dann die Trennung, nachdem sie von ihm körperlich angegriffen worden war. Von der Polizei bekam sie Hilfe. Schwierig wurde es danach. „Ich habe versucht, den Umgang meines Mannes mit den Kindern zu regeln. Und ich habe ihn nicht angezeigt, was ich später bereut habe.“ Die Erfahrungen mit den Strukturen und Behörden seien zum Teil sehr ernüchternd gewesen. - Auf welche Probleme stoßen Frauen „nach dem Frauenhaus“? Besonders in Konstanz sind sie nach ihrem Aufenthalt der Wohnraumproblematik ausgesetzt. Ohne finanzielle Ressourcen hätten sie keine Chance, eine Wohnung zu finden. Die Wobak stelle keine Wohnungen für Frauen, die Opfer von Gewalt würden, zur Verfügung. „Frauen werden einer Notunterkunft für Obdachlose zugewiesen“, sagt Christine Barth. Das sei der erste Schritt, der sie in Armut abrutschen lasse. Häufig bekomme der Täter genau in dieser Lage wieder Zugriff auf die Frau, die die Härte der Armut nicht länger ertragen will.
- Welche Forderungen stellen die Diskutanten, um Frauen besser zu schützen? Die engagierte Rechtsanwältin Laura Leogrande wünscht sich mehr Geld für präventive Täterarbeit, für Aufklärung und Bildung. „Und eine Veränderung des Jurastudiums. Das kann nicht so bleiben!“ Julika Funks dringender Appell lautet: „Nehmt die Aktionspläne, die es gibt, und setzt sie um!“ Christine Finke appelliert an die Jugendämter, dass der Schutz vor Gewalt vor dem Umgangsrecht des Vaters mit den Kindern stehen müsse.
Uwe Stürmer sieht bereits jetzt, dass das Bewusstsein zunehme, dass es sich bei Femiziden um eiskalte Morde handle. „Wir müssen zusehen, dass die Zahnräder ineinander greifen.“ Christine Barth wünscht sich, dass der Blick stärker auf die Männer gerichtet werde. „Was können wir tun, dass nicht die Hälfte der Gesellschaft ohne Schutz da steht?“