Ein Pullover mit Blumenmuster liegt auf dem Boden des Hofs der Grundschule Dettingen. Annette Rathgeb hebt ihn auf, legt diesen sorgsam zusammen und platziert ihn auf einer Tischtennisplatte. „Wahrscheinlich vermisst das Kind, das den Pullover verloren hat, ihn nicht mal“, sagt Rathgeb.
Die Dettingerin Annette Rathgeb ist oft auf dem Gelände der Grundschule. Zum einen ist sie Einsatzleiterin der Nachbarschaftshilfe „Miteinander leben“, die dort ein paar Räume nutzen können. Zum anderen betreut sie Schüler vor und nach der Kernschulzeit. Obwohl sie nicht gebürtig aus Dettingen kommt, fühlt sie sich dem Ort extrem verbunden. „In den 90er-Jahren ist meine Familie hier her gezogen“, erzählt sie. Seither lebt sie nicht nur in Dettingen, sie ist zur Dettingerin geworden.
Ist sie daher auch eine durchschnittliche Einwohnerin? Laut den Daten der Konstanzer Stadtteilprofile 2022 ist der Dettinger Bürger 44,4 Jahre alt. 1592 der 3399 Dettinger sind verheiratet. Damit ist es sehr wahrscheinlich, dass auch Max und Erika Mustermann von Dettingen sich das Ja-Wort gegeben haben.
Wenn das Ehepaar Mustermann Nachwuchs hat, dann dürfte dieser wohl schon volljährig sein. Nur rund 13 Prozent der Einwohner sind unter 18 Jahren (475 Dettinger). Vermutlich ist dieser Vorstadtbewohner auch eher besser gestellt. Zumindest wenn man sich die Kaufkraft ansieht. Diese liegt bei 108,2 Punkten.

Viele Paare haben in Dettingen ihr zu Hause
Annette Rathgeb erfüllt nur einige der Kriterien. Sie ist 66 Jahre alt, aktiv im Ort und im Vereinsleben eingebunden. Sie hat zwei erwachsene Kinder und drei Enkelkinder. „Wir sind mit unserer Tochter hier hergezogen, als sie zwei Jahre alt war“, erzählt sie. Nun lebt Rathgeb zusammen mit ihrem Mann, der mittlerweile Rentner ist, in einem Zwei-Personen-Haushalt – ein Drittel aller Haushalte in Dettingen sind Zwei-Personen-Haushalte.

Wenn Rathgeb über ihre Bekannten und Nachbarn in Dettingen nachdenkt, leben einige wie sie. Zu zweit und die Kinder sind schon lange aus dem Haus. Aber es gebe auch viele Einzelpersonen. „Das ist natürlich eine subjektive Wahrnehmung“, sagt sie.
So subjektiv ist es allerdings gar nicht. Die Daten der Stadt geben ihr Recht. Ein Großteil der Dettinger (immerhin 42 Prozent, in absoluten Zahlen 702) wohnt in einem Singlehaushalt. Wie kommt das zu Stande? Ein Grund kann in der Altersverteilung, aber auch der Infrastruktur des Ortes liegen.
732 Einwohner sind zwischen 65 und 85 Jahren, 32 sogar älter als 85. Damit sind 23 Prozent der Dettinger im Rentenalter. Da Annette Rathgeb durch ihre Vereinsarbeit mit Senioren viel in Kontakt steht, weiß sie, dass einige von ihnen zur ihren erwachsenen Kindern gezogen sind. Oft wohnen sie in Einliegerwohnungen – zählen also zu den Singlehaushalten.
Ein weiterer Punkt, der sicherlich auf die hohe Quote der Singlehaushalte einzahlt: Es gibt einige Ferienwohnungen in Dettingen. Nach offiziellen Angaben der Stadt sind es 34 – dazu kommen sicherlich noch ein paar nicht angemeldete. Oft würden in diesen Wohnungen Studenten oder Kinder der Besitzer wohnen. „Mir fallen spontan drei Familien ein, bei denen das Kind in einer Einliegerwohnung lebt“, sagt Rathgeb.
Dettingen wächst seit Jahren
Gibt es viele junge Familien in Dettingen? Rathgeb arbeitet in der Betreuung der Grundschulkinder und versucht das einzuschätzen. „Es sind meiner Meinung nach mehr geworden. Wir haben jetzt stabil immer zweizügige Klassen“, sagt sie. Der Trend der vergangenen zwei Jahre zeigt: Die Geburtenrate ist stabil. 2021 sind 32 Kinder geboren worden, 2022 waren es 30.
Dass Dettingen insgesamt Zuwachs bekommen hat, ist deutlich. 2015 lebten in dem Vorort 3141 Menschen, acht Jahre später sind es bereits 3399. Als Rathgeb diese Steigerung in der Anzahl der Dettinger sieht, glaubt sie sofort den Grund dafür zu kennen. „Das ist der Schmidtenbühl“, sagt sie. In dem Wohngebiet im Nordosten des Ortes konnten 2018 die ersten Bewohner ihre neue Heimat einrichten. 161 Wohneinheiten sind dort neu entstanden. Aber komplett erschlossen wurde das Gebiet erst im Mai 2023.

Dass in Dettingen die Mühlen etwas langsamer mahlen, sieht man auch an einem anderen Umstand. Eigentlich sollte der Ortskern schon längst mehr zum Dorfleben beitragen. Das Projekt Dettingen Mitte steht seit 2017 auf dem Plan der Stadt. Doch wirklich passiert ist nichts. Dabei sei das durchaus nötig, findet Annette Rathgeb. Warum? Das kann man ganz gut an einer anderen Zahl der städtischen Daten herauslesen: der Sterberate.
Pflegemöglichkeiten gibt es im Dorf keine
Diese ist in Dettingen verhältnismäßig niedrig. Sie ist unter dem Durchschnitt für ganz Konstanz. Im Vorort liegt sie bei 5,6; in Konstanz bei 9,4. Wie kommt das? Immerhin leben dort viele Senioren. Hier schließt sich der Kreis wieder zum Bauprojekt Dettingen Ortsmitte. „Seit Jahren schon soll das Projekt Dettingen Mitte entstehen“, sagt die Bewohnerin. Genau wo sie nun stehe. Auf dem Gelände der alten Grundschule und auf der Brunnenhalde.

Dort soll neben einem Bürgerhaus und einer Tiefgarage unter dem Schulhof auch ein Seniorenzentrum, ein betreutes Wohnen und eine Pflegeeinrichtung erbaut werden. Doch es geht nicht voran. Der Grund: Seit 2020 gibt es eine Haushaltssperre. Richtig Bewegung ist seither in das Projekt nicht mehr reingekommen. Vor allem nicht, seit sich die Wobak aus dem Projekt zurückgezogen hat, die Seniorenwohnungen nun nicht mehr bauen wird. Das ärgert Rathgeb ziemlich. „Wer in eine Pflegeeinrichtung umziehen muss, muss aus Dettingen weg“, sagt Rathgeb.
Einen Platz einer Seniorenanlage könnten sich aber wahrscheinlich einige leisten. Denn wenn man sich den Index der Kaufkraft für den Ort ansieht, wird schnell klar: Die Dettinger haben wahrscheinlich gut bezahlte Jobs. Der Indexwert hat sich bei 108,2 eingependelt. Zum Vergleich: Konstanz liegt bei 100.
Annette Rathgeb überlegt kurz. Ja, sie denkt, dass es den meisten in Dettingen ganz gut geht. Auch sie und ihr Mann können nicht klagen. Erfüllung findet sie aber ohnehin nicht in Wohlstand sondern in ihrer Arbeit an der Schule und im Verein „Miteinander leben“.