Seine Akte spricht deutlich gegen ihn: Der 57-jährige Angeklagte ist einschlägig und mehrfach vorbestraft, war früher hochgradig drogenabhängig und ist polizeibekannt. Einen Job hat er schon lange nicht mehr. Doch eigentlich scheint der Mann, der Ende November wegen gefährlicher Körperverletzung mit Bedrohung in Tateinheit mit Beleidigung vor dem Konstanzer Amtsgericht steht, geläutert. Acht Jahre lang hat er sich nichts zu schulden kommen lassen, Drogen nimmt er laut eigener Aussage keine mehr. Er scheint sauber.
Doch die Vorwürfe, die gegen ihn erhoben werden, sprechen eine andere Sprache. So soll der 57-jährige Konstanzer in einer psychiatrischen Einrichtung auf einen anderen Mann mit einem Hammer losgegangen sein, das mutmaßliche Opfer dabei verletzt und währenddessen laut bedroht sowie beleidigt haben. Am Ende der Verhandlung stellt sich die Geschichte für das Gericht allerdings ziemlich anders dar; hier ist der 57-Jährige eher ein Opfer, der zu Unrecht wochenlang hinter schwedischen Gardinen saß.
Doch von vorn: Dem Angeklagten wird laut der Anklageschrift vorgeworfen, am 9. September dieses Jahres im Zentrum für Psychiatrie Reichenau (ZfP) auf einen heute 52-Jährigen losgegangen zu sein. Der Konstanzer soll den Geschädigten dabei in einem Wartebereich der Einrichtung mehrfach – und auf übelste Art und Weise – beleidigt und bedroht haben.
Darüber hinaus soll er mit einem Hammer mehrfach auf den Bauch und den Rücken des mutmaßlichen Opfers eingeschlagen haben. Angeklagt ist er deshalb wegen gefährlicher Körperverletzung mit Bedrohung in Tateinheit mit Beleidigung. Aufgrund der Schwere der mutmaßlichen Taten sitzt der Angeklagte seit jenem vermeintlichen Tattag in Untersuchungshaft.
Eine Geschichte, unterschiedliche Darstellungen
Der 57-Jährige, der beim ZfP jede Woche Schmerzmittel für seinen Rücken bekommt, schildert die Sache vor Gericht allerdings anders. So gibt er an, dass die Streitigkeiten und Sticheleien zwischen ihm und dem mutmaßlichen Opfer schon mehrere Monate im Gange gewesen seien. Er gibt zu, das mutmaßliche Opfer heftig beleidigt zu haben und auch, dass es an jenem Tag zu einer kleineren, körperlichen Auseinandersetzung gekommen sei.
Den Mann bedroht oder ihn gar mit einem Hammer geschlagen zu haben, bestreitet er aber entschieden. Die beiden hätten sich lediglich gegen Wände geschoben und beleidigt. „Ich habe keinen Hammer dabei gehabt“, so der 57-Jährige. Woher die Hämatome und Prellungen auf dem Körper des mutmaßlichen Opfers rühren, könne er sich nicht erklären.
Der Geschädigte im Zeugenstand tischt dem Gericht wiederum eine andere Version auf: Er sei wüst bedroht und beschimpft worden, spricht gar von Verleumdung und Rufmord. Später sei er mit einem Hammer angegriffen worden, wobei er Verletzungen davon getragen habe, die er am selben Tag noch im Klinikum Konstanz behandeln ließ.
Zeuge erscheint alkoholisiert vor Gericht
Das Gericht hat allerdings Zweifel an seiner Darstellung; nicht zuletzt deshalb, weil sich seine gesamte Vernehmung schwierig gestaltet. Die zuständige Richterin kann dem 52-Jährigen oft nicht folgen, sie spricht von einem „Verständigungsproblem“ und „schwieriger Kommunikation“.
Seine Aussagen seien auch laut der Staatsanwaltschaft lückenhaft, ungenau oder widersprüchlich. Bereits zu Beginn stellt die Richterin fest, dass der Geschädigte augenscheinlich deutlich alkoholisiert ist. Auch die beiden Frauen, die ihn begleiten und auf den Zuschauerplätzen Platz nehmen, scheinen alkoholisiert zu sein. Eine stört mehrmals die Verhandlung, wird verwarnt und schließlich von der Richterin des Saales verwiesen.
Weitere Aussagen, beispielsweise von einem Polizeibeamten, Mitarbeitern der Einrichtung und Augenzeugen, erhärten ebenfalls nicht den Verdacht, dass sich der Vorfall wie in der Anklageschrift und vom Geschädigten ausgesagt zugetragen hat. Ein Hammer kommt hier nie vor, nicht einmal von einer richtigen körperlichen Auseinandersetzung ist immer die Rede. Lediglich einen verbal geführten Streit mit entsprechenden Beleidigungen können mehrere Personen bezeugen.
57-Jähriger muss nicht zurück in Haft
Am Ende sieht nicht einmal die Staatsanwaltschaft die Schuld des 57-Jährigen als erfüllt an. Lediglich der Beleidigung habe er sich schuldig gemacht, das habe er auch selbst zugegeben. Aufgrund seiner Geständigkeit und seiner aufrichtigen Reue fordert die Staatsanwaltschaft lediglich eine Geldstrafe und beantragt, den Haftbefehl aufzuheben. Die Verteidigung schließt sich den Ausführungen an und merkt noch an, wie schwierig die drei Monate in U-Haft für den Angeklagten gewesen sind.
Der 57-Jährige wird zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen in Höhe von 15 Euro verurteilt, er trägt die Kosten des Verfahrens. Es ergeht außerdem der Beschluss, dass der Haftbefehl gegen den Angeklagten aufgehoben wird. Er ist nach wochenlanger Haft wieder ein freier Mann.