Hanfpflanzen auf der Rheinbrücke, Salatköpfe auf Verkehrsinseln oder Aligatorfarmen am Bodensee: Schreckensszenarien wie diese würden eintreten, sollte Horst Frank zum Konstanzer Oberbürgermeister gewählt werden. Das spotteten seine Konkurrenten noch im Wahlkampf zur Konstanzer Oberbürgermeisterwahl 1996.
Doch am Wahlabend war Franks Konkurrenten das Lachen vergangen – da lachte nur noch der Kandidat der Freien Grünen Liste. Denn mit 35,7 Prozent der Stimmen gewann er im zweiten Wahlgang. Der 47-Jährige war damit nicht nur OB von Konstanz, sondern auch der erste grüne OB einer deutschen Stadt.
„Schulterklopfen und Händeschütteln ohne Ende. Familie und Freunde liegen sich in den Armen. Reporter kämpfen um Worte und Bilder“, berichtete der SÜDKURIER am nächsten Morgen über die Jubelszenen. „Und mitten im größten Trubel der erste deutsche Oberbürgermeister mit grünem Parteibuch: Horst Frank.“
Ehemaliger SÜDKURIER-Lokalchef: „Der Wahlsieg war eine Überraschung“
Tobias Engelsing, damaliger Chef der SÜDKURIER-Lokalredaktion in Konstanz, erinnert sich noch gut an die OB-Wahl. „Der Wahlsieg war eine Überraschung, weil Horst Frank vorher keine Verwaltungserfahrung hatte und sich das bürgerliche Konstanz nicht vorstellen konnte, dass ein Grüner mit dediziert linker Vergangenheit ins Rathaus der konservativen Stadt einziehen könnte“, sagt Engelsing, der seit 2006 Direktor der Städtischen Museen in Konstanz ist.

Bei den Konservativen und den Sozialdemokraten habe der Wahlausgang dagegen für Enttäuschung gesorgt. „Die Grünen jubelten, die Schwarzen zogen lange Gesichter und fürchteten den Weltuntergang, die SPD war tief enttäuscht“, so Engelsing.
CDU-Fraktionsvorsitzender: „Habe die Kandidatur damals etwas belächelt“
Roger Tscheulin, Jurist und CDU-Fraktionsvorsitzender im Gemeinderat, hat Franks Weg vom Anwaltskollegen zum Bürgermeister damals verfolgt. „Ich habe die Kandidatur etwas belächelt und habe das nicht für aussichtsreich gehalten“, gibt er zu. „Er war nicht als großer Kommunikator unter den Kollegen bekannt“, so Tscheulin.

Doch als Frank im zweiten Wahlgang triumphierte, sei dies für ihn eine „Riesenüberraschung“ gewesen. Vor allem Franks Herkunft sei für den Wahlsieg ausschlaggebend gewesen, meint er. „Die Verbundenheit mit der Stadt und den Menschen hat ihm in der Bevölkerung einen großen Vorteil gegeben.“
Hanfpflanzen auf der Rheinbrücke? Frank lacht heute darüber
25 Jahre später. Der einstige Oberbürgermeister sitzt beim Gespräch mit dem SÜDKURIER im Café Heinrich in der Konstanzer Altstadt. Weder Salatköpfe wurden seither auf den Verkehrsinseln der Konzilstadt gepflanzt, noch blüht Hanf auf der Rheinbrücke. Frank lacht heute über die damaligen Schreckensszenarien der Konkurrenz.

„Anfangs hieß es immer, ein Einheimischer hat keine Chance“, sagt er beim Cappuccino über seinen Wahlsieg. Die Leute hätten jemanden gewollt, der unabhängig und nicht mit dem Klüngel verknüpft sei. „Da ich damals Anwalt in Erfurt war, konnte ich das vorweisen.“ Er habe aber im Gegensatz zu seinen Konkurrenten die Stadt gekannt. „Mein vermeintlicher Nachteil war dann ein Vorteil.“
Zeitung in Kalifornien berichtete über Franks Wahlsieg
Doch die Erinnerungen an den Wahlsieg verblassten mittlerweile, sagt er. „Ich erinnere mich noch an Euphorie und Freude der Menschen auf der Markstätte“, erzählt Frank, „doch ich war sehr erschöpft.“ Um dem Trubel und der Siegesfeier zu entkommen, habe er sich später am Abend mit einem Freund ins Auto gesetzt, sagt der heute 72-Jährige. Sie seien zu seiner Anwaltskanzlei nach Erfurt gefahren. Dort warteten am nächsten Tag Termine mit Mandanten.
Doch auch in der thüringischen Landeshauptstadt konnte er dem Interesse an seiner Person nicht entkommen. Der Mitteldeutsche Rundfunk habe kurz nach dem Wahlsieg wegen eines Interviews angefragt, so Frank. Und bald berichteten auch der „Spiegel“, die „Süddeutsche Zeitung“ und der Rest der deutschen Presse über die Wahlsensation am Bodensee. „Mich hat überrascht, dass sogar meine Mandanten in Kalifornien über den Wahlsieg in der Zeitung gelesen haben“, erzählt er.
Frank als Symbolfigur für Grüne wie Kretschmann
Als erster grüner Oberbürgermeister avancierte Frank bald zur Symbolfigur der Grünen. „Das hat mich aber nicht unter Druck gesetzt“, meint Frank. „Es war wichtig zu zeigen, dass die Grünen eine Verwaltung führen und etwas auf den Weg bringen können.“
Für die Akzeptanz der Partei seien kommunale Erfolge ein Baustein für spätere Wahlerfolge in Baden-Württemberg auf kommunaler und Landesebene gewesen, sagt Frank, so auch die Wahl von Ministerpräsident Winfried Kretschmann im Jahr 2011. Er würdigte Frank ein Jahr später bei seiner Verabschiedung aus dem Amt mit den Worten: „Ich stehe als erster grüner Ministerpräsident auf den Schultern solcher Pioniere.“
Wie grün war Frank als OB wirklich?
Doch wie grün im Sinne der Partei-Programmatik Horst Frank als OB wirklich war, war bereits während seiner Amtszeit umstritten. Zwar fuhr er vorzugsweise mit dem Fahrrad oder dem Bus ins Rathaus und zu Terminen. Andererseits setzte er sich gegen seine eigene Partei für den vierspurigen Ausbau der B33 ein. Auch die Zahl der Parkplätze stieg während seiner Amtszeit, in der auch das Einkaufszentrum Lago errichtet wurde.
Roger Tscheulin, der mit Frank von 2009 bis 2011 im Gemeinderat saß, sagt: „Er war nicht der Obergrüne oder ein Prinzipienreiter.“ Vielmehr sei Frank ein Pragmatiker gewesen, der nicht vor Konflikten mit seiner eigenen Fraktion zurückschreckte und gern auch Mehrheiten über die Grenzen der eigenen Partei hinweg organisierte.
Tscheulin ist sich aber sicher, dass der Wollmatinger Anwalt die größte Stadt am See insgesamt grüner gemacht habe. „Frank hat die Entwicklung zur Fahrradstadt eingeleitet und das grüne Denken offensiv vertreten“, so der CDU-Fraktionsvorsitzende. „Ob das immer gut war oder nicht, sei dahingestellt.“
„Weit davon entfernt, grün zu leben“
Tobias Engelsing, der damalige Chef der SÜDKURIER-Lokalredaktion in Konstanz, bewertet das anders. „Horst Frank, der zu Unrecht vergessene Bürgermeister Ralf Fischer, die Eigenbetriebe und der Gemeinderat haben Konstanz gemeinsam etwas grüner gemacht“, sagt er.

Zugleich sei seither der Energieverbrauch in der Stadt gestiegen, die Müllmengen und die Versiegelung der Stadt hätten zugenommen, der Individualverkehr habe beängstigende Formen angenommen, und auch die Konstanzer hinterlassen als Konsumenten riesige CO2-Fußabdrücke. „Wir sind als Gesellschaft also weit davon entfernt, grün zu leben“, so Engelsing.
Zeit für Ruhe und Reflexion nach der Amtszeit
Mit geringem CO2-Abdruck startete Horst Frank im September 2012 in die Zeit nach der Amtsausübung. Am Ende der Abschiedsfeier setzte er sich aufs Fahrrad und fuhr bis nach Hamburg. Die Radtour habe damals gut getan, meint Frank. „Einmal wegen der körperlichen Aktivität und auch wegen des Abstands.“ Wenn man in so einem Amt sei, habe man keine Zeit für Reflexion. „Da gab es immer etwas zu tun.“
In den anschließenden Jahren bereiste er unter anderem den Regenwald Südamerikas, war auf Safari in Afrika oder bestaunte die Tempelanlagen von Angkor Wat in Kambodscha. „Natürlich kenne ich den Widerspruch“, sagt er. „Einerseits bin ich für Umweltschutz, andererseits nehme ich den Flieger“, so Frank. Doch da sei er katholisch geprägt. Er kaufe sich den Ablass bei Atmosfair, einer Plattform, die Reisenden Ausgleichszahlungen für CO2-Emissionen durch Flugreisen anbietet.
Keine Einmischung in lokalpolitische Themen
Seitdem er keine politischen Ämter mehr bekleidet, äußert sich Frank kaum mehr zu lokalpolitischen Themen wie der Konstanzer OB-Wahl im vergangenen Herbst. Von außen sei es aber immer sehr einfach, zu kritisieren, sagt er. „Nichts ist blöder, als ein Besserwisser zu sein.“ Natürlich habe er viel Erfahrung, doch nun stehe er nicht mehr in der Verantwortung. „Jede Generation hat ihr Recht auf ihre eigenen Fehler.“ Dass Konstanz nach 16 Jahren unter Horst Frank immer noch ein Wohnraumproblem hatte und überdies kaum städtische Grundstücke zur Bebauung bereitstanden, sieht er nicht als Versäumnis.

Die OB-Wahl im September 2020 habe er daher „mit Abstand“ verfolgt, wie er sagt. Ob er sich Luigi Pantisano als Oberbürgermeister gewünscht hätte? Dazu möchte er nichts sagen. „Der Pantisano war ein sympathischer Mensch“, sagt er. Doch Frank hätte es gerne gesehen, dass die Freie Grüne Liste nicht nur Pantisano unterstützt, sondern auch einen eigenen Kandidaten aufgestellt hätte.
Was traut Frank den Grünen bei der Bundestagswahl zu?
Worte der Unterstützung findet Frank für Annalena Baerbock, die Bundeskanzlerkandidatin der Grünen. Trotz einiger Fehler traut er den Grünen bei der Bundestagswahl zu, die Rückschläge der vergangenen Wochen aufzuholen.
„Sich beim Lebenslauf selbst zu optimieren, war von Frau Baerbock fahrlässig. Es war klar, dass die Gegenseite alles versuchen wird.“ Es wäre aber gut, wenn es einen Fortschritt im Land gäbe, so der 72-Jährige. „Ich denke, Deutschland ist bereit für eine grüne Bundesregierung und eine grüne Kanzlerin.“