Luis* [*Name von der Redaktion geändert] ist 22 Jahre alt und suchtkrank. Deshalb wird er im Reichenauer Zentrum für Psychiatrie behandelt. Bei Kaffee und Kippe erzählt er, wie es soweit kam und was die Sucht mit ihm macht.
Luis erzählt...
Als Kind habe ich die Älteren angeguckt und mich gefragt, wie es sein wird, wenn ich 18 bin. Da war mir nicht klar, dass ich mit 18 das erste Mal im Knast sein werde und voll auf Schore, also Heroin. Seit ich 16 bin, bin ich drauf. Ich habe auf Raves damit angefangen, mit älteren Freunden, die auch drauf waren. Koks zum Techno, Schore zum Runterkommen. Ich wusste nicht, was ich mir damit antue. Aber mit 18 war mir dann klar, dass ich abhängig bin.
Ich bin polytox, abhängig von mehreren Stoffen. Heroin, Fentanyl und Kokain. Jede Pore in meinem Körper ist süchtig. Und ich hatte lange nicht den Wunsch aufzuhören. Wenn ich konsumiere, dann geht‘s ja. Wenn ich Material habe, dann ist ja alles in Ordnung. Das Gefühl von Heroin ist einzigartig. Das kommt von unten wie eine Welle durch deinen Körper, es wird warm, und alles ist gut.
Ich komme aus einer Suchtfamilie, mein Vater und mein Bruder sind auch auf Schore. Ich habe bei meiner Mama gewohnt und mit 16 hat sie mich rausgeschmissen. Sie wusste, dass sie nicht viel machen kann. Ich habe noch zwei jüngere Geschwister, und mit einem Süchtigen im Haushalt, das ist schlimm.
Ich bin dann von Sofa zu Sofa und mit 17 das erste Mal in‘ Bau – wegen Einbruchs. Drauf sein ist ein Vollzeitjob. 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, gibt es nichts anderes außer Geld machen und konsumieren. Mit 19 bin ich dann auf Nadel gekommen, also ich fixe. Seit ich das erste Mal gedrückt habe, geht alles nur noch durch die Pumpe. Auch wenn ich nicht weiß, was es ist, ich habe eigentlich alles durch.
„Das ist wie, wenn ein ICE durch deinen Kopf fährt, du denkst, du stirbst gleich.“Luis* (22)
Aber es gibt nichts Geileres als Koks-Knaller. Also Koks spritzen. Das ist, wie wenn ein ICE durch deinen Kopf fährt, du denkst, du stirbst gleich. Ich muss immer kurz vorm Abkratzen sein. Bis es nicht mehr geht. Ich hatte zweimal eine Überdosis.
Ich habe mir noch in die Akutstation Koks bringen lassen und mir direkt den nächsten Knaller gesetzt. Mit der Kanüle, die noch drin war von der Infusion. Ich Vollidiot, ich war gerade fast daran verreckt. Und direkt den nächsten Schuss.
Ich habe Menschen sterben sehen. Auf Entzug habe ich wen kennengelernt, es kam Geld rein und wir haben gesagt: „Komm wir gehen.“ Bock zu Konsumieren. Ich hatte drei Pflaster Fentanyl. Ich hab den gefragt, ob er schonmal Fentanyl gefixt hat. Dann sind wir in meine Wohnung und haben die Streifen vom Pflaster geschnitten und gekocht.
Ich hab mir meinen Druck gemacht und irgendwann habe ich geguckt und gesehen, der hängt da auf dem Sofa und ist schon blau. Ich hab versucht, ihn in die stabile Seitenlage zu bringen, aber ich war selber so dicht, dass ich nur noch den Krankenwagen rufen konnte. Als ich vom Revier gehen durfte, habe ich mir den nächsten Schuss gesetzt. Ich war 19. Die Sucht macht kaputt und kalt. Wenn ich nicht aufhöre, sterbe ich. Früher oder später.
„Ein Leben ohne Konsum ist schwer vorstellbar. Ich kenne kein anderes Leben.“Luis (22)
Ich will aufhören, aber ein Leben ohne Konsum ist schwer vorstellbar. Ich kenne kein anderes Leben. Als ich die Freundinnen meiner Ex-Freundin kennengelernt habe, saßen wir im Park. Die tranken ihre Club Mate und ich saß da und dachte: „Ich hab voll Bock zu knallen, ich will Drogen nehmen.“ Ich passe da nicht rein. Es wäre geil im Park zu sitzen und einfach nur Club Mate zu trinken, aber das ist noch weit entfernt.
Ich war oft in der Psychiatrie, aber habe oft abgebrochen. Das war nur zur Haftvermeidung oder Überbrückung bis Geld kam. Aber ich hab‘s immer wieder probiert und nie in der Psychiatrie konsumiert. Wenn ich konsumieren wollte, dann bin ich gegangen. Aber jetzt fühlt es sich das erste Mal richtig an. Ich werde bald entlassen, habe mich um einen Wohnplatz gekümmert und geh einmal am Tag in die Tagesklinik. Dort bekomme ich Methadon. So weit habe ich es noch nie geschafft.
Ich habe wieder Kontakt zu meiner Jugendliebe Laura*. An der finde ich alles toll. Ich guck‘ dass ich‘s irgendwie geschaukelt krieg. Wäre scheiße, wenn das verrutscht. Aber noch bin ich voll im Sucht-Denken. Ich bin egoistisch und ich-fokussiert. Ich kann dir erzählen, was du hören willst, damit ich von dir bekomme, was ich will.
Wenn du eine Wohnung hast, weiß ich, was ich sagen muss, damit du sagst: „Hey Alter, komm zu mir.“ Und dann nehme ich deinen Fernseher mit. Die Sucht macht, dass man alles tut, um an Stoff zu kommen. Aber ich will Laura nicht verletzen. Ich will Menschen, die mir wichtig sind, nicht kaputt machen. Ich suche Liebe und Zuneigung. Aber das ist ja auch ein Grund, warum ich angefangen habe.
Chillen, Party, Sucht – die Serie
Dieser Text ist Teil von „Chillen, Party, Sucht: Vom Erwachsenwerden mit Drogen“, einem Themenschwerpunkt des SÜDKURIER. In der nächsten Folge lesen Sie auf SÜDKURIER Online ein weiteres Protokoll einer Suchtkranken: Die junge Frau war alkoholkrank, aber sie überwindet ihre Sucht – mit einigen Rückfällen.