„Loslassen ist eine schwierige Sache“, sagt Wolfgang Maier. Er muss es wissen: Der bald 92-Jährige lebt erst seit fünf Monaten im Parkstift Rosenau, einer Seniorenresidenz. Vorher bewohnte er verschiedene Wohnungen des Spar- und Bauvereins in Konstanz. Jetzt sitzt er in seinem Zimmer im dritten Stock und sagt wehmütig: „Wenn ich nur daran denke, wie viele Bücher ich verschenken musste.“

Dennoch hat Wolfgang Maier diesen Schritt nie bereut. „Ich hätte schon viel früher hierher umziehen sollen“, sagt der ehemalige Personalbeamte im gehobenen Dienst bei der Konstanzer Post. Denn der Alltag war für den Witwer in seiner ehemaligen Wohnung zuletzt schwer zu bewältigen. „Ich hatte eine tolle Hausgemeinschaft und alle waren traurig, dass ich wegziehe“, sagt der Rentner. „Aber hier in der Rosenau fühle ich mich auch sehr wohl.“

Das hat viele Gründe: „Mir wird hier so viel Haushalt abgenommen“, sagt der 91-Jährige. „Außerdem sagen Altersmediziner, dass die Kommunikation sehr wichtig ist.“ Wolfgang Maier schwärmt von seiner Tischgemeinschaft mit drei Herren: „Wir haben es beim Essen so lustig, dass wir immer die Letzten sind, die aufstehen.“

Nun spielt sich sein Leben auf weniger Quadratmetern ab, doch das findet Wolfgang Maier nicht schlimm. „Weniger ist oft mehr. Man muss sich im Alter darauf reduzieren, was der Mensch wirklich braucht“, findet er. Und wenn er aus dem Flurfenster blickt, kann er sogar seinen Geburtsort Münsterlingen in der Schweiz sehen.
„Aufgewachsen bin ich in der Von-Emmich-Straße in eher ärmeren Verhältnissen“, sagt der Senior und schmunzelt. „Damals hätte ich nicht gedacht, dass ich mal im Musikerviertel leben würde.“
Das Universum im Kleinen
Vom ehemaligen Bergmann unter Tage bis zum früheren Oberregierungsrat: „Wir haben hier eine große Buntheit der Bewohner, ein Universum im Kleinen“, sagt Corina Gold. Sie ist eine von rund 200 Mitarbeitern der Rosenau und seit über sechs Jahren im Sekretariat und der Kundenbetreuung tätig. Corina Gold schätzt die Offenheit des Hauses sehr: „Wir sind keine Insel, auch wenn Rosenau so ähnlich klingt wie Reichenau oder Mainau“, sagt sie und lacht. „Wir leben den Kontakt zur Stadt und zur Uni Konstanz.“
Frei sind die 264 Bewohner des Wohnstifts auch in ihrer Tagesgestaltung. „Ihnen kann auf Wunsch vieles abgenommen werden, aber niemand muss sich hier langweilen“, sagt die 60-Jähige. Viele bringen sich mit ihren Talenten ein, ob beim Musizieren, Boulespielen oder beim Gärtnern.

„Ich schätze die Art und Weise, wie wir hier mit den Bewohnern umgehen können“, sagt Corina Gold – und die fröhliche Gemeinsamkeit mit vielen Festen. Doch dieses gemeinsame Leben sollte aus ihrer Sicht noch früher beginnen: „Wir raten dazu, nicht zu spät umzuziehen“, sagt Gold.
Der Älteste ist 101 Jahre, die Jüngste 72
Diesen Tipp beherzigte das Ehepaar Scheithauer. Ursula Scheithauer ist mit 72 Jahren die derzeit jüngste Bewohnerin der Rosenau. „Wir sind kinderlos und haben altersbedingt überlegt, was auf uns zukommen könnte“, begründet sie. „Der Grundgedanke war: Wenn einer von uns allein bleibt, hat er hier Ansprache, anstatt allein im großen Haus zu sitzen.“
Ursula Scheithauer recherchierte und stieß auf die Rosenau. Ihr Mann Hans-Jürgen, 77 Jahre, ergänzt: „Wir waren über 40 Jahre lang zum Urlaub am Bodensee, hier gefällt es uns.“ Das Ehepaar zog im Oktober 2022 vom Schwarzwald nach Konstanz. Zuvor lebten die Scheithauers 25 Jahre lang in einer kleinen Stadt bei Nagold. Sie war dort die Sekretärin des Bürgermeisters, er arbeitete im Einkauf einer Firma für Rundstrickmaschinen.

„Wir hatten ein schönes Einfamilienhaus mit Hanglage und unverbaubarem Blick“, sagt Hans-Jürgen Scheithauer. „Doch die Pflege von Haus und Garten wurde uns zu viel.“ Sie verkauften ihre 110 Quadratmeter Eigenheim und zogen in eine Zwei-Zimmer-Wohnung in der Rosenau. „Unseren wunderschönen Kaminofen haben wir anfangs vermisst, aber jetzt müssen wir endlich kein Holz mehr schleppen“, sagt Hans-Jürgen Scheithauer pragmatisch. „Wir sind so gut angekommen, es ist toll hier!“

Heimweh? „Haben wir nicht!“, sagt Ursula Scheithauer. „In dem Moment, in dem wir mit dem Umzugswagen nach Konstanz losfuhren, habe ich von unserem Haus Abschied genommen. Hier genießen wir das Schöne.“ Dazu zählt auch eine überraschende Erfahrung: „An Fasnacht ging hier im Haus die Post ab“, sagt die 72-Jährige und lacht.

40 Jahre tätig für die Rosenau
Eine, die jahrelang auch für die Organisation der kulturellen Veranstaltungen im Wohnstift zuständig war, ist Sieglinde Wurst. Die 73-Jährige arbeitete 40 Jahre lang in der Rosenau, von 1975 bis 2015. „Ich war im Sekretariat tätig, aber auch für den Bereich Vermietung, für kulturelle Veranstaltungen und Hausführungen zuständig“, erzählt die Rentnerin aus Mühlingen bei Stockach.

Sieben Chefs hat sie in dieser Zeit erlebt und jede Menge Bewohner kennen gelernt. „Als ich mit 24 Jahren in der Rosenau anfing, gab es auch schon heiße Sommer. Aber kein Herr lief hier ohne Anzug, weißes Hemd und Krawatte herum“, erinnert sie sich. So manches änderte sich im Lauf der Zeit, doch eines blieb gleich: „Die Gemeinschaft war all die Jahre sehr schön“, sagt Sieglinde Wurst.
Ihr Beruf habe Sonnen- und Schattenseiten gehabt: „Die Sonne waren die Einzüge neuer Bewohner, die Schatten die Sterbefälle“, sagt sie. „Da ich die Menschen alle ins Haus gebracht habe, habe ich mir zur Auflage gemacht, sie auch alle zu verabschieden“, so Sieglinde Wurst. Deshalb nahm sie an jeder Trauerfeier teil.

„Als ich jung war, schien das Alter ganz weit weg“, so die 73-Jährige. Inzwischen kann sie sich gut vorstellen, selbst einmal an ihrem ehemaligen Arbeitsplatz einzuziehen. „Ich habe keine eigenen Kinder“, sagt Sieglinde Wurst. „Die Rosenau war meine Familie.“