Das Konstanzer Seerheinufer am 20. August 2020, kurz vor 23.30 Uhr: Wie viele andere sitzt Johanna Engelhardt mit Freunden auf einer der großen Steinstufen vor der Bischofsvilla und genießt die milde Sommernacht. Neben der 25-jährigen Wirtschaftswissenschaftsstudentin steht eine kleine Musikbox.
„Wir haben leise Hintergrundmusik gehört. Wir waren nicht in Partystimmung, sondern haben uns unterhalten“, erzählt Johanna Engelhardt dem SÜDKURIER ein gutes dreiviertel Jahr später. Sie betont das nicht grundlos: Denn der gemütliche Abend im Sommer 2020 ging für die Studentin und ihre Freunde abrupt zu Ende.
Zwei Mitarbeiter des Kommunalen Ordnungsdienstes (KOD) kamen auf die Studentin zu und machten sie auf das Musikverbot aufmerksam, das damals in Konstanz jeweils zwischen 23 und 6 Uhr innerhalb eines Radius von 50 Metern um bewohnte Gebäude galt.
War das Musikverbot rechtens?
Von so einem Verbot hatte Johanna Engelhardt bis dahin nichts gehört, wie sie im Gespräch versichert. Und es habe auch nirgendwo Schilder gegeben, die darauf aufmerksam gemacht hätten. „Ich wurde dann aber nicht einfach verwarnt, sondern habe direkt eine Anzeige gekriegt: Ich sollte 80 Euro Bußgeld, 25 Euro Bearbeitungsgebühr und 3,50 Euro Porto zahlen.“

Viel Geld für die junge Studentin. Sie legte Einspruch gegen den Bußgeldbescheid ein und zog, als dieser abgelehnt wurde, vor Gericht. Unterstützung erhielt sie dabei von „Law and Lake“, der studentischen Rechtsberatung der Universität Konstanz. Die drei Jurastudenten Florian Reiners, Jannis Bantele und Lea Loosen setzten sich mit Johanna Engelhardts Fall auseinander – und mit dem Musikverbot der Stadt. Da in dem Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen Johanna Engelhardt kein Anwaltszwang bestand und es das Gericht zuließ, durfte Jannis Bantele als ihr Wahlverteidiger auftreten.
Die drei Jurastudenten hofften, dass das Gericht während der Verhandlung auf die Rechtmäßigkeit der Polizeiverordnung eingehen würde, die das zeitlich begrenzte Musikverbot regelte. Denn je mehr sie sich mit der Verordnung auseinandersetzten, desto unklarer war für sie, warum diese überhaupt erlassen worden war. „Es gibt ja bereits die Umweltschutz- und Polizeiverordnung, die Ruhestörung verbietet“, sagt Florian Reiners dem SÜDKURIER zwei Wochen nach der Verhandlung.
Das Verfahren wurde schließlich eingestellt
Der Verdacht der drei Jurastudenten: Stadt und Gemeinderat haben es sich möglichst einfach machen wollen. „In der Begründung zur Verordnung hieß es sinngemäß, dass die Polizei besseres zu tun habe, als ständig am Seerhein zu kontrollieren, und der KOD zu wenig Personal habe“, sagt Reiners. Aber deshalb ein Verbot zu erlassen, ist aus Sicht des Jurastudenten kein probates Mittel.
„Man muss immer das mildeste, geeignete Mittel nehmen“, erklärt Jannis Bantele einen entscheidenden Rechtsgrundsatz. Und Florian Reiners wird noch deutlicher: Es könne nicht angehen, einfach mehr zu verbieten, wenn zu wenig Personal vorhanden sei, um bestehendes Recht durchzusetzen.
Doch die erhoffte Klärung, ob das Musikverbot rechtmäßig war, blieb aus. Denn das Verfahren gegen Johanna Engelhardt wurde eingestellt. Sie konnte glaubhaft machen, dass sie zum damaligen Zeitpunkt nichts vom Verbot wusste, wie das Gericht auf SÜDKURIER-Nachfrage bestätigt. Zudem sei die Musik weder besonders laut gewesen, noch in direkter Nähe zu Wohnhäusern abgespielt worden.
„Der Richter hat zwar in einer ersten vorläufigen Einschätzung gesagt, dass die Verordnung rechtmäßig sei. Aber er sagte auch, dass man dies durchaus mal überprüfen könnte. Dafür sei jedoch ein Verwaltungsgericht zuständig“, erklärt Jannis Bantele. „Für uns war das ein kleiner Erfolg, weil es zeigte, dass unsere Überlegungen nicht ganz abwegig waren“, ergänzt seine Mitstudentin Lea Loosen.
Und was ist mit dem neuen Verbot?
Das Musikverbot von 2020 ist Geschichte, es war bis Anfang Oktober befristet. Aber eine neue Polizeiverordnung steht bereits in den Startlöchern. Das „Musik- und Trinkspielverbot 2021“ hätte nach einem Beschluss des Gemeinderats eigentlich am 1. April in Kraft treten sollen. Doch das Regierungspräsidium Freiburg hatte Nachbesserungen gefordert.
Dem kam die Verwaltung nun nach und der Gemeinderat wird kommende Woche über den entsprechenden Entwurf abstimmen. Das neue Verbot würde dann ab 30. April bis 4. Oktober im Herosé-Park und im gesamten Stadtgebiet im Umkreis von 50 Metern zu bewohnten Gebäude zwischen 22 und 6 Uhr gelten.
Unter anderem wurde aus dem Trinkspielverbot nun ein Spielverbot. „Das Problem ist: Was ist damit im juristischen Sinn gemeint?“, sagt Florian Reiners. Bei seinen Recherchen sei er nur auf Spielverbote im Zusammenhang mit Glücksspielen oder mit Kindern im Straßenverkehr gestoßen. Und so wie es jetzt in der Verordnung stehe, sei das Verbot auch sehr weit gefasst. Grundsätzlich würde jegliches Spielen – auch von Kindern – nach 22 Uhr abends darunter fallen, „außer man ist dabei mucksmäuschenstill“, so Reiners.
Und während im ersten Entwurf des Verbots noch stand, dass Musikspielen und Musikhören über Verstärker nachts generell verboten sei, gibt es nun den Zusatz: „es sei denn dies geschieht so leise, dass die Nachtruhe anderer Personen (...) nicht gestört wird“. „Was ist da noch der Unterschied zur normalen Ruhestörung?“, fragt Reiners.
Er und die anderen aus der Dreiergruppe von „Law and Lake“ würden sich wünschen, dass das Musik- und Spielverbot vom Verwaltungsgerichtshof in Mannheim geprüft wird. Aber um dort ein entsprechendes Verfahren anzustoßen, braucht man einen Anwalt, Zeit und genügend Geld. Also alles, was die drei Jurastudenten nicht haben. „Aber man darf ja träumen“, sagt Reiners und lacht.
Was geschieht, wenn niemand klagt?
Wichtig wäre eine solche rechtliche Prüfung auf jeden Fall, sind die Jurastudenten überzeugt. Denn Stadtverwaltung und Gemeinderat gingen offensichtlich davon aus, dass niemand etwas gegen diese Verbote habe, da ja bisher niemand dagegen geklagt habe, sagt Reiners. Das sei aber auch kein Wunder, denn die wenigsten würden wie Johanna Engelhardt vor Gericht ziehen, wenn sie ein Bußgeld erhalten.
Und der Jurastudent befürchtet, dass dies Folgen haben wird. Bereits jetzt sei es ja so, dass das neue Verbot ab 22 Uhr abends gelten solle – eine Stunde früher als das alte Verbot. „Beschwert sich wieder niemand, wenn die neue Verordnung ausläuft, dann macht es vielleicht Schwupps und das Verbot ist nicht mehr zeitlich befristet.“ Und, so Reiners weiter, „dann kommt das eine zum anderen, wenn man nicht aufpasst, wird der Seerhein bald zu einer Gated Community.“