Das Wollmatinger Ortsbild verändert sich weiter: Mit dem Gasthaus Löwen steht wieder ein gut bürgerliches Lokal möglicherweise vor dem Ende. An der Wirtschaftlichkeit liegt es nicht, Wirtin Nicole Buchholz würde gern weitermachen. Doch die Eigentümer haben das Gasthaus samt Grundstück, Biergarten und zwei Nachbarhäusern zur Versteigerung angeboten.

„Das passiert nicht zum ersten Mal“, sagt Wirtin Nicole Buchholz, die hier nur als Nicole bekannt ist und mit vielen ihrer Gäste per Du ist. „Im Sommer wurde das Haus schon einmal zur Versteigerung angeboten, aber dann nahmen die Eigentümer das wieder zurück.“ Es gehe um Geld und um Familienangelegenheiten, sagen einige alteingesessene Wollmatinger unabhängig voneinander.

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Ein Mitglied der Eigentümerfamilie möchte auf Nachfrage nichts dazu sagen, doch Erika Trummer gibt Auskunft. Sie hat das Gasthaus mit ihren Eltern lange selbst bewirtschaftet. „Ich möchte mein Drittel des Erbes gern geordnet abgeben“, sagt sie. Ihre Söhne sollen sich das Erbe dann untereinander aufteilen. Durch die Versteigerung werde die Gemeinschaft aufgelöst, damit beide Söhne unabhängig voneinander wirtschaften können.

Nicole Buchholz ist nicht überrascht vom erneuten Inserat in der gedruckten Ausgabe des SÜDKURIER. Sie nimmt die Nachricht auch recht unerschrocken zur Kenntnis. „Ich habe deshalb keine schlaflosen Nächte“, sagt die 51-Jährige bei einem Besuch im Löwen. Die Sonne scheint, der Biergarten füllt sich mit Mittagsgästen. „Das Geschäft läuft, aber wenn es zu Ende ist, kommt was Neues“, sagt die Pächterin und zuckt mit den Schultern. „Was soll ich machen?“

Dies ist der Biergarten, der zum Wollmatinger Gasthaus Löwen gehört. Die Bäume müssten bei einem Eigentümerwechsel erhalten werden.
Dies ist der Biergarten, der zum Wollmatinger Gasthaus Löwen gehört. Die Bäume müssten bei einem Eigentümerwechsel erhalten werden. | Bild: Kirsten Astor

Das Wirtshaus als zweite Heimat

Der Löwen ist ihre zweite Heimat. Seit 2010 ist sie Pächterin und war davor schon 15 Jahre lang dort angestellt. „Ich könnte auch nochmal was Neues übernehmen, aber als Selbstständige hast du kein Privatleben“, sagt die gebürtige Konstanzerin. Sie aber möchte Zeit mit ihren beiden Enkeln genießen. Aber noch gibt sie den Löwen nicht auf: „Bei der Linde dauert es ja auch nochmal ungefähr zwei Jahre, bis das Haus und das Nachbargebäude abgerissen werden. Da habe ich vielleicht auch noch ein bisschen Zeit.“

„Da habe ich vielleicht auch noch ein bisschen Zeit,“ sagt Nicole Bucholz. Sie arbeitet seit 27 Jahren im Gasthaus Löwen. Er ...
„Da habe ich vielleicht auch noch ein bisschen Zeit,“ sagt Nicole Bucholz. Sie arbeitet seit 27 Jahren im Gasthaus Löwen. Er ist für sie zur zweiten Heimat geworden. | Bild: Kirsten Astor

Das Gasthaus Linde schräg gegenüber vom Gasthaus Löwen wird abgerissen, genau wie die benachbarte Bäckerei im Fachwerkhaus. Beide Gebäude sind nicht denkmalgeschützt. Die Pläne für eine Überbauung des Geländes mit Wohn- und Geschäftshäusern steht. Schon damals beklagten Bürger, Wollmatingen verliere sein Gesicht – und Stadträte fürchteten, dass hier ein Präzedenzfall geschaffen werde, da weitere Investoren in den Startlöchern stünden. Stadträte der Freien Grünen Liste (FGL) und der Linken Liste (LL) forderten die Aufstellung eines Bebauungsplans. Mit nur einer Stimme Mehrheit im Gemeinderat wurde dem Antrag tatsächlich zugestimmt.

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Stadtrat Peter Müller-Neff (FGL) ist froh, dass es so kam. „Für die Linde war das zwar zu spät, doch wenn das Gasthaus Löwen samt Nebengebäude abgerissen werden sollte, muss sich ein Bauherr zumindest an den Bebauungsplan für Wollmatingen Mitte halten“, sagt er auf Nachfrage. Dieser sei noch in Arbeit, doch die öffentliche Anhörung sei schon erfolgt. Der Bebauungsplan sorgt dafür, dass potenzielle neue Gebäude sich in Sachen Baufenster, Höhe und Dachform an den Bestandshäusern orientieren müssen. Die Bäume im Biergarten müssen erhalten bleiben.

Durch den Anruf des SÜDKURIER erfuhr Peter Müller-Neff zum ersten Mal davon, dass der Löwen versteigert werden soll. Nun hofft er, dass das Verfahren dieses Mal anders läuft, als bei der Linde. Damals sagte er: „Es ist extrem kritikwürdig, dass bei einem so zentralen Projekt mitten in Wollmatingen keine öffentliche Bürgerinformation stattfindet, wo sich die Bürger an der Diskussion beteiligen und zu Wort melden können.“ Der Stadtrat hält das Gasthaus für „ein sehr schönes Gebäude mit Gartenwirtschaft, das den Dorfkern prägt. Gemeinsam mit der Kirche und dem alten Rathaus ist dies ein entscheidendes Ensemble, mit dem ein neuer Besitzer sensibel umgehen muss“. Doch ein Investor rieche mit Sicherheit ein gutes Geschäft. „Das ist der Wollmatinger Städtebau-Entwicklungsgau“, sagt Müller-Neff.

Keine Dorfkneipe mehr

Auch Bernfried Streibert, Ehrenpräsident der Narrengesellschaft Giraffen AG, findet das mögliche Aus des Gasthauses schade. „Wir hätten dann keine richtige Dorfkneipe mehr“, sagt er. „Vor 20 Jahren hatten wir sieben, acht Wirtshäuser mehr. So verliert Wollmatingen seinen Charme.“ Der Ur-Wollmatinger Daniel Groß spricht ebenfalls von „einer der letzten Traditionswirtschaften, die wir hier haben und die gut bürgerliche Küche anbietet“. Er erinnert sich, dass die Großeltern der heutigen Besitzer sehr sparsame Leute waren.

„In meiner Kindheit haben sie nicht ganze Schokoladentafeln, sondern einzelne Ripple verkauft“, erzählt Groß. „Und statt Zigarettenpackungen einzelne Zigaretten.“ Als Konstanzer Stadtführer und Geschichtsinteressierter weiß er, dass es das Gasthaus Löwen seit 1847 gab. Seit 1881 besteht das aktuelle Wirtsgebäude, da der Vorgängerbau abgebrannt war. Auch das direkte Nachbarhaus an der Litzelstetter Straße 2 stamme von 1881/82; das Haus Nummer 4 dagegen sei denkmalgeschützt.

Was mit dem Gasthaus und den Nachbargebäuden, die teilweise bewohnt sind, geschehen soll, weiß auch Wirtin Nicole Buchholz nicht. „Um das direkte Nachbarhaus ist es nicht schade“, sagt sie. Hier sei lange nichts investiert worden, auch nicht im Löwen. Über den beiden Gasträumen befinde sich ein großer Tanzsaal, der jedoch schon lange geschlossen ist. „Da stehen noch Betten aus der Zeit der Franzosen“, sagt Buchholz. Auch Stadtführer Daniel Groß weiß um den Saal, den er selbst noch nie sah. „Der hat sich wohl nicht rentiert, da auch das Gasthaus Rössle und die Linde einen großen Saal hatten.“

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So bleibt Nicole Buchholz, ihrem angestellten Koch und den vier Aushilfen nichts anderes übrig, als abzuwarten. Noch tragen sie Essen aus der Küche, noch versammeln sich hier Stammgäste – ob im Nichtraucherbereich oder zum Dart- oder Automatenspiel im Raucherzimmer. Einer, der regelmäßig im Löwen ist, heißt Bernhard Sommer. Der 68-Jährige radelt ein bis zweimal pro Woche von Litzelstetten nach Wollmatingen. „Leute treffen, sich austauschen, was trinken“, sagt er und fragt sich, wo er das künftig tun soll, falls der Löwen geschlossen werden sollte. „Es ist total schade, wie Wollmatingen sich verändert. Aber klar, wenn ich die ganze Hütte abreiße, kann ich hier Wohnblocks hinstellen“, sagt er.