Roger Tscheulin hat Besseres zu tun. Es geht um Millionen und ganz konkret um eine erste Rate für die Planungen zur Erneuerung der Ladenzeile am Konstanzer Bahnhof – allein dieser Vorentwurf wird mit 433.160 Euro zu Buche schlagen. Den Betrag wollen sich die Deutsche Bahn als Eigentümerin der Immobilie und die Stadt Konstanz als Nutznießerin eines hier geplanten Fahrradparkhauses mit Servicestation teilen.
Doch dabei wird es nicht bleiben. Auf die Vorplanung folgt die Ausarbeitung, was weitere Kosten verursachen wird, und dann sollte irgendwann gebaut werden. Grob geschätzt geht man von einer Investition von 10,6 bis 13,8 Millionen Euro aus, allein das Fahrradparkhaus mit der Servicestation wird bei 6,3 bis 8,2 Millionen Euro veranschlagt.
Debatte oder Schachspiel?
Bei solchen Summen darf man Aufmerksamkeit erwarten, doch während sich seine Ratskollegen im zuständigen Ausschuss die Köpfe heiß reden, nutzt Roger Tscheulin sein mobiles Endgerät für eine Partie Schach. Tief versunken ist er im Spiel.

So bekommt er nur am Rande mit, von was im Konstanzer Gemeinderat und seinen diversen Untergremien stets die Rede ist. Es geht um den Klimaschutz, um die Mobilitätswende, die Steigerung der Aufenthaltsqualität in der Stadt und die ins Unüberschaubare sich auswachsenden Baupläne sowie in zunehmender Weise die Sorge um die Finanzen.
Erwartung weicht Enttäuschung
In den Beiträgen der Stadträte fließt dies in inzwischen vielfach ineinander. So schwankt Gisela Kusche von der Freien Grünen Liste (FGL) zwischen freudiger Erwartung auf die Vorstellung der Vorplanung Mitte nächsten Jahres und tiefer Enttäuschung, dass mit der Realisierung des Vorhabens auf keinen Fall vor dem Jahr 2030 (!) zu rechnen ist.
Das allerdings hindert sie nicht daran, schon mal vorab tief in die Planung einzusteigen. Die Baumaterialien sollten den Vorgaben grüner Politik entsprechen, sagt sie, und wichtig ist ihr, dass beim Fahrradparkhaus ein Duschangebot für Radler berücksichtigt wird. Denn wer von weit her komme, wolle gewiss nicht verschwitzt durch die Innenstadt flanieren.
Die Forderung nach Duschen im Stadium der Vorplanung und in Erwartung einer Fertigstellung in acht Jahren ist allein deshalb mutig, weil die Ansetzung selbst dieses fernen Termins durchaus optimistisch ist und Heinrich Fuchs prompt zu einem ironischen Bonmot veranlasst. Der Mann von der CDU und Fraktionskollege von Roger Tscheulin glaubt sich gewappnet gegen jedwede Form des Vorwurfs, dass man das Projekt überstürzt angehe.

Was diese Einschätzung anbelangt, besteht im Ausschuss übrigens weitgehend Konsens. Schon zuvor hatte sich Gisela Kusche über die anberaumte Planungsphase von vier Jahren gewundert. Danach soll es dann bei einer eineinhalbjährigen Bauzeit flott vorwärts gehen, allein der Glaube daran fehlt der Stadträtin.
Und Holger Reile von der Linke Liste Konstanz (LLK) nutzte das Bummelzug-Tempo der Deutschen Bahn samt deren Mentalität, sich finanziell bei den Kommunen schadlos zu halten, für die Bemerkung, dass grundsätzlich „jeder arm dran ist, der die Bahn als Partner hat“.
Es gibt also viel guten Stoff für die Debatte – fürs Schmunzeln, fürs Aufregen, fürs Politisieren ganz generell. Roger Tscheulin aber kümmert das alles nicht. Aus der Distanz ist nicht so recht zu erkennen, ob er für die schwarzen oder weißen Figuren auf dem virtuellen Brett zuständig ist, aber dass er jenseits der Diskussion sein ganz eigenes Spiel spielt, zeigt sich in einer unerwarteten Aufwallung.
Der CDU-Stadtrat wirft plötzlich die linke Hand in die Höhe, und gibt ein vernehmliches Stöhnen von sich. Die Blicke im Karree des Ratssaals gehen in seine Richtung, der Mann aber fixiert weiter fest das Brett. Offensichtlich hat er einen Zug gemacht, der dem Gegner einen Vorteil verschafft.
600 Stellplätze für 100 Räder?
Weil er aber so gar nicht reagiert, lässt der Ausschuss ihn in Ruhe und vertieft sich stattdessen seinerseits weiter in Details. Jürgen Ruff (SPD) beispielsweise fragt, warum bei der Zielvorgabe für die Erarbeitung des Planentwurfs von nur 600 Stellplätzen für das Fahrradparkhaus ausgegangen wird, obwohl aufgrund einer aus dem Jahre 2017 stammenden Zählung von einem Bedarf von 1000 Plätzen ausgegangen werden könne.
Und Daniel Hölzle von den Freien Wählern erschließt sich nicht, warum das Parkhaus im ersten Stock, die Gastronomie aber im Parterre untergebracht werden soll. Wär‘s umgekehrt nicht sinnvoller? Die Radler müssten dann nicht über eine Rampe nach oben, sondern könnte ohne weitere Anstrengung ebenerdig die Räder abstellen, während die Gäste der Gastronomie einen Blick über den See genießen könnten.
Ein Stadtrat als Zaungast
Am Abstimmungsergebnis ändert das alles nichts. Nur Jochen Hartwich von der FDP enthält sich der Stimme – hauptsächlich wegen Bedenken zur Finanzierbarkeit. Roger Tscheulin beendet unterdessen ziemlich zeitgleich mit dem Beschluss seine Schachpartie und es wird klar, warum er die Debatte mit spielerischer Gelassenheit begleitete. Er ist nicht Mitglied des Ausschusses, darf somit nicht abstimmen, aber kann als Ortsvorsteher von Dettingen-Wallhausen am Ratstisch Platz nehmen und verfügt ferner prinzipiell über ein Rederecht.
An diesem Spätnachmittag und Abend allerdings nimmt er ungewollt zusätzlich die Funktion des gemeinen Bürgers wahr. Er ist Zaungast, hofft, dass beim Bahnhof in Konstanz endlich was geht, und übt sich ansonsten beim ratspolitischen Schauspiel in Geduld.