Als der zehnjährige Andreas Renz sein erstes Probetraining in der Eishalle absolviert, deutet nichts auf eine glanzvolle Karriere als Eishockeyprofi hin. Die anderen Spieler sind erfahrener als er und geschickter auf dem Eis. Er spürt die skeptischen Blicke des Trainers und seine Hände werden kalt. Beinahe verliert er das Gleichgewicht und auch die Hoffnung, dass es mit dem Eishockey besser laufen würde als mit dem Fußball, gerät ins Wanken. Dort hatte man ihn aussortiert, hatte ihm gesagt, es mache einfach keinen Sinn. Sätze, die sich einbrennen. Beim Eishockey will er durchstarten und eines Tages in jener Halle auflaufen, in der auch er als Fan seine Idole anfeuert.

Wer heute das Eisstadion am Bauchenberg in Schwenningen betritt, sieht sein Trikot unter dem Dach hängen. Nummer 31, Renz. Eine Legende des Clubs. Seine sportliche Vita? Gespickt mit Höhepunkten: Meister der höchsten deutschen Eishockey-Liga, Olympiateilnehmer, Rekordspieler. Doch all die Erfolge, sie gehen zurück auf einen Schwur, den der kleine Andreas nach jenem unscheinbaren Probetraining vor sich selbst ablegt. „Nie wieder wird man mich wegschicken, ich werde kämpfen! Härter als jeder andere.“

Leben auf der Höri war „ein Herzenswunsch“

Andreas Renz ist mittlerweile 46 Jahre alt und lebt mit seiner Partnerin und seinen Kindern in Iznang auf der Höri. Er kennt die Gegend bereits aus Kindheits-Urlauben. Hierherzuziehen war ein Herzenswunsch, wie er erzählt.

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In lockerem Outfit empfängt er zum Gespräch, die dunklen Haare sind nach hinten gebunden. Es ist kein Eis in Sicht, kein Stadion, aber zur Begrüßung klatscht er ein in Jürgen-Klopp-Manier, wie nach einem großen Spiel. Er hat eine neue Berufung gefunden: Als Lifecoach begleitet er Menschen auf ihrem Weg der Selbstfindung.

Das Gefühl, nicht zu genügen

Als vor all den Jahren für den kleinen Andreas das Probetraining endet, erlaubt ihm der Trainer wiederzukommen und abseits des Teams das Einmaleins des Eishockeys zu lernen. In den folgenden Jahren trainiert er wie ein Irrer, erzählt Andreas Renz. Schnell macht er Fortschritte, entwickelt sich zum Anführer und Jugendnationalspieler. Nach nur wenigen Jahren Training debütiert er 1994 bei seinem Heimatclub, den Schwenninger Wild Wings, als Profi.

Woher kommt dieser unbändige Wille? „In mir war schon immer das Gefühl nicht zu genügen, daraus entstand für mich ein enormer Antrieb“, sagt Renz. Heute kennt er die Wurzeln dieses Gefühls, weiß, dass es auch damit zusammenhängt, dass er mit sechs Fingern an der linken Hand zur Welt kommt. Der Finger wird abgetrennt, aber der Gedanke, irgendwie „falsch“ zu sein, bleibt.

Andreas Renz (hier oben links außen) spielt schon seit seiner Kindheit Eishockey.
Andreas Renz (hier oben links außen) spielt schon seit seiner Kindheit Eishockey. | Bild: Familie Renz

Doch da ist noch ein weiterer Motor, der ihn antreibt: Die Liebe zum Eishockey und die Lust, mit einem Team um Siege zu kämpfen. Schon früh erkennt er, welche Attribute er dafür einbringen muss: Biss, Wille, Emotionen. Er gilt als beinharter Verteidiger, als fittester Spieler der Liga. Für das Filigrane sind andere zuständig, aber er hält ihnen die Bühne frei. Die Perfektionierung dieser Rolle beschert ihm den Titel „Eisen-Renz“ und macht ihn sogar zum Kapitän der Nationalmannschaft.

Geld, Status, Applaus

Nach sieben Profijahren in Schwenningen sucht er eine neue Herausforderung und wechselt zu den Kölner Haien, wo er auf Anhieb Meister wird. Die Augen leuchten, als er erzählt, wie die ganze Stadt damals ihre Helden feiert. Auch in den nächsten Jahren läuft es sportlich rund. Er ist Stammspieler und Publikumsliebling. Da ist das Geld, da ist der Status, da ist der Applaus.

„Trotzdem war da noch dieses Gefühl der Kindheit, eben doch nicht gut genug zu sein“, blickt er zurück. „Und dennoch war ich ständig hinter der Anerkennung von außen her, fühlte aber gleichzeitig eine Leere in mir“.

Die Zweifel abseits des Eises

Hinzu kommt ein weiteres Dilemma. Dem Schwur gegenüber sich selbst, härter als jeder andere zu kämpfen, ist er treu, den Frauen eher weniger. Neben seiner damaligen Frau hat er eine Affäre, der bald ein Kind entspringt. Die Dinge werden kompliziert. Mit beiden Frauen hat er Beziehungen, von beiden kann er sich jahrelang nicht endgültig lossagen. „Die Angst vor dem Liebesentzug war so enorm, dass ich aus diesem Kreislauf einfach nicht herauskam“, erinnert er sich.

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Auf dem Eis ist seine Position klar, aber zu welcher Frau gehört er? Die Frage zerreißt ihn und die mentalen Verletzungen, die er den Frauen zufügt, ruinieren seine Selbstachtung. Halt gibt ihm in dieser Phase der Sport. „Ohne ihn wäre ich vermutlich in eine tiefe Depression gestürzt“. Das permanente Grübeln, die Hilflosigkeit sind mächtige Gegner, aber ins Stadion schaffen sie es nicht. „Hier gab es nur mich, das Eis und den Puck“, sagt Andreas Renz.

Die Realität als Albtraum

Nach neun Jahren bei den Haien wagt er die Rückkehr nach Schwenningen. Doch neben den Beziehungsdramen, die er mit in den Schwarzwald schleppt, macht ihm eine Augenverletzung zu schaffen. An seine frühere Form kommt er nicht mehr heran. Und plötzlich dringen von der Tribüne keine Anfeuerungen mehr, sondern Pfiffe, erzählt er.

Jubel nach dem Meisterschaftssieg: Andreas Renz in seiner Zeit bei den Kölner Haien mit Pokal.
Jubel nach dem Meisterschaftssieg: Andreas Renz in seiner Zeit bei den Kölner Haien mit Pokal. | Bild: CityPress

„Das war ein Albtraum, aber heute bin ich dankbar für die schmerzhaften Erfahrungen, sie helfen mir bei meiner Aufgabe als Coach. Ich kann Menschen nur deshalb so tief begleiten, weil ich selbst in Tiefen gewesen bin“, sagt Andreas Renz.

Was bleibt nach der Karriere?

Der Erfolg bleibt bei seiner Rückkehr zu den Wild Wings aus, sie verpassen den Aufstieg. Andreas Renz ist damals 35 Jahre alt, das Karriereende naht. Im Urlaub in Rio de Janeiro will er sich eigentlich mit Strandläufen für die nächste Saison in Form bringen. „Aber plötzlich merkte ich: Das war‘s.“ Karriereende.

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Ausgebrannt fällt Andreas Renz in den Sand und daheim in ein Loch. Wer ist Andreas Renz, wenn er nicht mehr der Eisen-Renz ist? In seinem Buch, in dem er seinen Lebensweg schonungslos offen nachzeichnet, beschreibt er es wie folgt: „Ich hatte das Gefühl, dass von mir selbst nicht mehr viel übrig war.“

Ein Seminar verändert sein Leben

Entkräftet sucht er nach einem neuen Weg und landet in einem Seminar mit dem Titel „Woche des Neubeginns“. Es wird sein Leben verändern. Bei einer Meditation dringen Bilder in sein Bewusstsein, berichtet er. Der kleine Andreas, wie er um seinen Vater weint, weil dieser mit Psychose in die Klinik muss, wie er Angst hat, auch seine Mutter zu verlieren.

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Er beginnt zu verstehen, warum er so ist, wie er ist, warum es stets um Anerkennung von außen ging, woher die Verlustängste stammen. Er schafft es, sich aus seinen Beziehungen zu lösen und mit den beiden Frauen Frieden zu schließen. Ein Prozess der Selbstheilung beginnt. Und ein offenerer Umgang mit Gefühlen, den er heute als Coach vorleben will.

Für seine neue Aufgabe brennt Andreas Renz mittlerweile ähnlich wie für den Sport. Als Lifecoach hält etwa Vorträge und macht mit seiner Partnerin zu Themen wie Selbstliebe und Beziehungen einen Podcast. Der Unterschied zu früher? „Ich hab nach wie vor Bock auf Erfolg, aber mein Selbstwert hängt nicht mehr davon ab, dadurch kann ich lockerer und selbstloser sein“, sagt er.