Noch wirkt Yannis Fischer ganz gelassen. Der junge Athlet ist zum Gespräch mit dem SÜDKURIER im Münchriedstadion im Trikot der Nationalmannschaft erschienen. So wird er Deutschland im fernen Japan vertreten. Denn Yannis Fischer tritt als Kugelstoßer in der Kategorie F 40 bei den Paralympics in Tokio an. F 40 ist eine international gültige Maßeinheit für kleinwüchsige Sportler. „Das geht bis zu einer Körpergröße von 1,30 Meter und einer Armlänge von 59 Zentimetern“, erklärt Yannis Fischer. „Körpergröße und Armlänge dürfen zusammen nicht mehr als 1,80 Meter betragen.“

In der Hand trägt er lässig eine kleine blaue Tasche, die aussieht wie eine verkleinerte Einkaufstasche. Doch das Gebinde hat es in sich. Was der 19-jährige Mühlhauser da so unbeschwert in der Hand hält, wiegt vier Kilogramm und trotzt der überraschten Journalistin erstmal Respekt ab.

Vor dem Wettkampf werden alle Kugeln geeicht

Vier Kilo wiegt auch die Kugel, mit der Yannis Fischer in Tokio bei den Paralympics gegen die Weltelite im Behindertensport antritt. Ab 18 Jahren müssen die kleinwüchsigen Athleten vier Kilogramm stoßen; davor waren es drei Kilo. Die normal gewachsenen Männer mussten bei den gerade zu Ende gegangenen olympischen Spielen sieben Kilo schwere Kugeln stoßen. „Wir dürfen unsere eigene Kugel mitbringen“, erklärt er. „Vor dem Wettkampf werden alle Kugeln geeicht.“

Ruhig beantwortet Yannis Fischer alle Fragen. Termindruck oder etwa Nervosität sind ihm nicht anzumerken. Dabei geht es schon in wenigen Tagen nach Japan, ins Vorbereitungscamp der deutschen paralympischen Werfer bei Nagasaki. Etwa acht Tage bereiten sich die Sportler hier auf die Wettkämpfe vor. „Es ist mein größter Wettkampf, den ich je hatte“, sagt Yannis Fischer. „Es geht um Medaillen.“ Sechs Stöße hat er im Kampf um einen Platz auf dem Siegerpodest.

Paralympics 2021 ohne Publikum

Die Konkurrenz ist sehr stark. Da macht sich der junge Mann aus dem Hegau nichts vor. „Zwei Russen, ein Kroate, die stoßen alle über zehn Meter“, weiß er. „Meine Bestleistung war bisher 10,21 Meter.“ Der Weltrekord liegt in seiner Kategorie bei 11,01 Meter.

2021 ist für den 19-Jährigen das Jahr der Herausforderungen. Neben der Qualifizierung für die olympischen Spiele der Behindertensportler hat er gerade auch noch sein Abitur gemeistert. Im März hat er sich beim Grand Prix in Tunesien mit Gold für die Paralympics qualifziert. Im Juni hat er Bronze bei den Europameisterschaften in Polen geholt. Seine Familie ist stolz auf die Erfolge und kann es manchmal gar nicht richtig glauben. Ein bisschen traurig sind die Eltern und der Bruder allerdings, dass sie Yannis nicht nach Tokio begleiten können. Denn die Paralympics 2021 finden wie die olympischen Spiele ohne Publikum statt.

Wettkampf findet zu nachtschlafender Zeit statt

Es braucht also noch mehr mentale Stärke, um sich ohne die anfeuernden Rufe des Publikums von den hohen Erwartungen nicht zu stark unter Druck setzen zu lassen. Da hilft es zu wissen, dass die Freunde während des Wettkampfs auch zu nachtschlafender Zeit an den Bildschirmen mitfiebern. Am 29. August tritt Yannis Fischer um 10.57 Uhr Ortszeit in Tokio an. Das heißt für deutsche Fans, dass sie um 3.57 Uhr vor dem Fernseher sitzen müssen.

Einer, der vermutlich zuschauen wird, ist Oswald Ammon. Der ehemalige Lehrer und Behindertenbeauftragte im Landkreis Konstanz gerät immer ins Schwärmen, wenn er von Yannis Fischer erzählt. Ammon, selbst nach einem Schlaganfall Behindertensportler, ist in seiner Altersklasse deutscher Meister im Kugelstoßen und Diskuswerfen vom Rollstuhl aus. „Ich war Yannis erster Trainer“, sagt er stolz. Dieser war erst 2017 von der Diskusscheibe auf die Kugel umgestiegen. „Das kam durch Ossi“, bestätigt auch Yannis Fischer den Impuls, der von Ammon ausging. Fortan steigerte er bei den Leichtathleten des Singener Stadtturnvereins im Münchriedstadion seine Leistung im Kugelstoßen rasant.

Ein Beruf mit Sport wäre sein Traum, sagt Yannis Fischer

Heute trainiert Yannis Fischer fünfmal die Woche, davon an zwei Tagen in Stuttgart bei Peter Salzer. Der arbeitet mit ihm an der Technik. Fischer hat sich für den Drehstoß entschieden. In der Zeitlupe wirken die Schritte wie ein Tanz. Die Kugel wird zunächst mit angewinkeltem Arm zwischen Schulter und Hals gehalten, bevor sie abgestoßen wird. Dazu braucht es viel Kraft. Yannis Fischer liebt sein Krafttraining, das er zu Hause in Mühlhausen täglich absolviert. „Ein Beruf mit Sport wäre mein Traum“, sagt der 19-Jährige. „Aber ob ich davon leben kann?“

Im November will er jedenfalls in einem Olympia-Stützpunkt ein freiwilliges soziales Jahr absolvieren, bevor er sich für ein Studium entscheidet. Doch das liegt alles in weiter Ferne. Jetzt konzentriert er sich ganz auf die XVI. Paralympischen Sommerspiele.