Öhningen – Geballte Kultur erwartet die Besucher der Höri Musiktage derzeit in Öhningen. Rund zwei Wochen lang bringen verschiedene Künstler klassische Musik an den See – so auch am vergangenen Wochenende, als unter anderem ein Barockkonzert mit Maskenspiel in den Klosterhof in Öhningen lockte. Es sollte ein Konzertspektakel in Wort, Ton und Maskenspiel werden, und diese Ankündigung zog so viele Besucher an, dass der lauschige Klosterhof des Chorherrenstifts mit der mächtigen Linde voll besetzt war. Zunächst aber regierte das Wort in Form von kurzen Redebeiträgen, wie sie zu einem Festakt gehören. Hilde von Massow vom Vorstand der Musiktage betrat die Bühne, nachdem Barockmusik aus den Fenstern des Gebäudes erklungen war: „Ich bin noch nie so klangvoll auf die Bühne gebeten worden“, sagte sie in ihrer Begrüßung und lobte den Charme des Ortes mit der schrägen Ebene, auf der die Stuhlreihen standen.
„Zur Bühne hin gehen sie aufwärts, und das nehme ich als positives Zeichen für die Höri Musiktage“, gestand sie. Denn in jedem Jahr sei die Realisation fraglich gewesen, immer bangte man um ausreichende Finanzierung. Bürgermeister Andreas Schmidt verwies darauf, dass vielleicht schon im nächsten Jahr Übernachtungen im Chorherrenstift möglich seien. Pfarrer Heinz Vogel, ganz neu im Amt in Öhningen, verwies darauf, dass sich Kunst und Musik nicht allein über Finanzen definieren lassen sollten, und Andreas Jung (MdB) lobte die Musik, die nichts Radikales und Hartes habe, aber Gemeinschaft und Werte fördere.
Erst dann betrat der Maskierte mit dem Kerzenlicht die Bühne. Mit dem verhaltenen Largo aus den fünf Sätzen für Streichquartett von Anton Webern war ein spannungsreicher Beginn geschaffen. Das Barockensemble der Musiktage unter der Leitung von Rebecca Raimondi und Simon Wallinger hatte den Ausflug in die Klassische Moderne gewagt. Aber die sinnenfrohe Barockmusik kam nicht zu kurz – gepaart mit dem szenischen Spiel der Mimen Fabio Mangolini und Michael Schneider. Im Stil der Commedia dell‘Arte führten sie wie im Stegreiftheater durch die Musik, erläuterten und unterstrichen ihren Gehalt und zeigten, wie wirkungsvoll Musik Geschichten erzählen kann.
Ein ganzer Koffer voller Masken wartete auf Träger, und Georg Philipp Telemanns „Ouverture burlesque“ war wie geschaffen dafür, Charaktere der Commedia instrumental vorzustellen – freilich unterstützt von verbalen Beschreibungen von Michael Schneider und dem köstlich skurrilen Spiel von Fabio Mangolini. Der schlüpfte in die Masken und Verkleidungen, etwa von Colombine (der schlichten, verführerischen Magd, die die Männer verrückt macht) oder von Pierrot, der spielerisch-verträumt, aber auch giftig und rachsüchtig sein kann. Wer befürchtet hatte, dass das Spiel die Musik in den Hintergrund treten lassen würde, wurde eines Besseren belehrt: Immer blieb sie Träger der Handlung und bestimmte sie. Und das mit ausgefeiltem und stilsicherem Spiel des Ensembles auf den Barockinstrumenten. Das gelang in Carl Philipp Emanuel Bachs c-Moll-Trio-Sonate mit dem Disput von Sanguineus und Melancholicus – aufbrausend und nachdenklich im Maskenspiel nachempfunden – ebenso gut wie in Joseph Haydns G-Dur-Streichquartett No. 4 aus dem Opus 1. Immer standen Texte von Molière, Goldoni, Gryphius und Dante Alighieri für das szenische Maskenspiel Pate, und zu Hadyns leichtfüßiger Musik tanzten gar die Musiker und jauchzten vor Freude. Endlich spielten sie sogar mit Masken verkleidet „La Pellegrina“, die heitere Hochzeitsmusik für die Medici, die Cristofano Malvezzi schrieb. Mit ihren eingängigen Melodien, schrägen Akkorden und schrillen Glissandi und dem ständigen Wechsel von langsamen und schnellen Sätzen riss sie das Publikum mit. Das erklatschte sich mit begeistertem Applaus natürlich Zugaben. Begeisterung lösten einen Tag später auch das Chaos String Quartet und der Saxophonist István Grencsó mit dem Programm „Free the Franz“ aus. Zugrunde lag Franz Schuberts Streichquartett d-Moll, D 810, mit dem Beinamen „Der Tod und das Mädchen“. Ein Lied mit diesem Titel nach einem Gedicht von Matthias Claudius hatte Schubert ebenfalls geschrieben. Im Quartett bezieht er sich vor allem im zweiten Satz mit dem Variationenthema direkt auf die Liedvorlage, wo ebenso schmerzliche wie erlösende Todessehnsucht beschrieben ist: „Sei guten Muts, ich bin nicht wild, sollst sanft in meinen Armen schlafen“, flüstert der Tod dem Mädchen zu. Quartett und Saxophonist aber spielten das Werk ohne direkte Unterbrechungen zwischen den Sätzen. Vielmehr leitete der Bläser Themen mit kristallklarem Ton und in tragender Akustik der Öhninger Stiftskirche ein, spielte über Streicher-Bordunen und -Begleitungen eigene Skalen und Improvisationen oder schloss musikalische Gedanken mit ganz eigenem Spiel ab. Aber das Chaos String Quartet war mit der originalen Partitur des Werks gefordert – mit einer ungewöhnlichen Interpretation. Denn die Anregungen vom aus dem Jazz kommenden Saxophonisten griffen die Violinen (Susanne Schäfer, Eszter Kruchió), die Viola (Sara Marzadori) und das Violoncello (Bas Jongen) gekonnt auf und wechselten zwischen romantisch-schwellendem Spiel und harschem Zugriff auf die Saiten. Sie spielten mit abrupten Tempo- und Dynamikwechseln und eigenwilliger Betonung und Phrasierung. So jazzig hat man Schubert noch nicht gehört. Und István Grencsó ließ viele besondere Spielweisen seines Instruments erklingen, die Töne schnarren, klacken und brummen, und steigerte dies im letzten Satz gar zu Free-Jazz-Skalen mit heftigen Sprüngen und wilden Clustern – ganz im Stil des Jazz-Avantgardisten Peter Brötzmann. Auch die ausgesprochen förderliche Akustik des Kirchenraums nutzten die Instrumentalisten, indem das Saxophon und auch das Cello im Umhergehen gespielt wurden und so ein Multi-Surround-Klang entstand. Ein freier und befreiter Schubert wurde zelebriert. Ungern und erst nach einer frei improvisierten Zugabe wollten die Besucher im voll besetzten Kirchenraum die Musikerinnen und Musiker gehen lassen.
Die Patenschaft
Um die Kosten für das Festivalorchester, das in diesem Jahr aus 45 Musikerinnen und Musikern aus 14 Nationen besteht, in Zukunft tragen zu können, bitten die Veranstalter um Übernahme einer Patenschaft für ein Mitglied des Orchesters in Höhe von 1600 Euro. Damit sollen die Kosten für Honorar, Unterkunft und Verpflegung für die achttägige Arbeits- und Konzertwoche gedeckt werden. Die Patenschaft kann steuerlich geltend gemacht werden und beinhaltet den freien Eintritt für zwei Personen zu den Konzerten des Orchesters.Bei Fragen: info@hoeri-musiktage.de oder 0174 2443633.