Nach 25 Jahren ist Schluss: Für Helga und Manfred Ress endete am letzten Maiwochenende ein lange dauerndes Kapitel ihres Lebens. Bis Ende Juni richten die beiden Gastwirte noch Frühstück für die Hausgäste im Gasthaus Hecht in Orsingen-Nenzingen, dann hören sie auf. Die Pacht wurde von Seiten des Verpächters nicht mehr verlängert. Den Grund dafür möchten die Eigentümer des Gasthauses auf Nachfrage des SÜDKURIER nicht kommentieren.
„Das ist schlimm für uns“
Das Ehepaar geht voller Wehmut. „Wir haben hier sehr viele schöne Stunden verbracht“, erzählt Manfred Ress. Im Hecht fanden alle Arten von Veranstaltungen statt: Hochzeiten mit bis zu 200 Gästen, Tauf- und Kommunionfeiern, aber auch die Zusammenkünfte nach Beerdigungen. Imker, Schnapsbrenner und das Amt für Landwirtschaft hielten ihre Versammlungen im großen Saal ab, Fasnachtsveranstaltungen waren ebenfalls feste Termine im Gasthaus Hecht.
Manfred Ress zählt auch die Montags- und Mittwochsradler, die Gymnastikgruppe und die Kegelbahnfreunde auf. Die Kegelbahn sei im festen Rhythmus belegt und sehr beliebt gewesen. Seine Frau ergänzt: „Das Vereinsleben war immer toll hier, sehr persönlich. Deshalb ist es ja so schlimm für uns.“
Kirchenfest, Geburtstage, Ferienlager, Verbandsmusikfest
Auch außerhalb des Gasthauses waren die Eheleute präsent. Zwar gab es in den vergangenen zwei Jahren wegen der Pandemie kein Kirchenfest, wo sie sonst für 300 Personen gekocht hatten, doch sie belieferten Außer-Haus-Veranstaltungen und fertigten belegte Platten für die Gemeinde, beispielsweise für die Verabschiedung und den sechzigsten Geburtstag von Alt-Bürgermeister Bernhard Volk oder zuletzt für die Gewerbeschau in Orsingen. Beim Ferienlager der Kinder stifteten sie stets die Salatsoßen und beim Verbandsmusikfest versorgten sie auf Wunsch des Musikvereins Orsingen die Musiker und Gäste mit Getränken.
Mit Blick zurück sagt Manfred Ress: „Die Corona-Zeit war nicht einfach, wir hatten ein halbes Jahr ganz zu. Jetzt müssen wir die Soforthilfe wieder zurückzahlen. Auch Personal zu finden war schwierig. Wer weg war, kam nicht zurück.“ Dennoch hatten sie drei Angestellte und hätten gerne noch ein paar Jahre weitergemacht. „Wir sind ein halbes Leben hier gewesen. Es gibt nicht viele Gaststätten, wo ein Pächter so lange drauf ist“, betont er.
Zum Abschied sang der Kirchenchor
Kürzlich war die Nachbarschaftshilfe Hand in Hand zum letzten Mal zum Mittagstisch da, der bis zur Pandemie monatlich im Wechsel mit dem Schönenberger Hof in Nenzingen vom Hecht ausgerichtet wurde und nun wieder anläuft. Auch der Kirchenchor verabschiedete sie und sang für sie – für den Chor war der Gasthof das Vereinslokal.
„Am letzten Abend sind viele Stammgäste gekommen“, erinnert sich Helga Ress und schluckt. Sie berichtet von laufenden Anfragen für Silberne oder Goldene Hochzeiten. Radfahrer aus Sindelfingen und Motorradfahrer aus dem Schwarzwald, die jedes Jahr für vier Tage an den Bodensee kämen, seien über ihre Absage schockiert gewesen. Auch ein Busunternehmen, das immer Bustouristen brachte, und die Gäste vom Camping und Ferienpark Orsingen, die in der Saison gerne im Gasthaus Hecht einkehrten, müssen sich künftig Alternativen suchen.
Jetzt räumen die Gastwirt das Inventar aus Küche und Gästezimmern aus. Vereine und Privatpersonen wollen Teile des Geschirrs oder der Schränke übernehmen.