Es wird zunehmend schwieriger, genügend Menschen zu finden, die bereit sind, bei den Kommunalwahlen für eine Partei oder Wählervereinigung anzutreten. Das erleben auch die aktuellen Mitglieder des Gemeinderats von Orsingen-Nenzingen. Fünf von ihnen stehen nach teils mehreren Amtsperioden nicht mehr zur Verfügung: Nikolaus Langner (CDU), Roland Riegger (CDU), Harry Metzger (FWV), Sabine Dorothee Hins (FGL) und Christopher Schneider (SPD). Die übrigen neun Gemeinderäte würden sich gerne weitere fünf Jahre in die lokale Politik einbringen. Seit November 2023 versuchen sie, Bürger als zusätzliche Bewerber zu gewinnen – meist bekommen sie eine Absage.
Die stellvertretende Bürgermeisterin Antonie Schäuble (Freie Wähler Vereinigung) erzählt, sie hätten in den vergangenen Jahren festgestellt, dass Parteien im Gremium kaum eine Rolle spielten: „Manch einer bei uns weiß gar nicht, für welche Partei oder Vereinigung ein anderer steht.“ Eigentlich hätten alle im vergangenen Wahlkampf ähnliche Ziele gehabt, nur die Reihenfolge sei unterschiedlich gewesen. Deshalb beschlossen die Ortsvertreter, in diesem Jahr mit einer Liste anzutreten, die alle Gruppierungen, die aktuell im Gemeinderat vertreten sind, enthält.

Am 9. Juni stehen also Kandidaten der Freien Wähler, CDU, SPD und Freien Grünen Liste auf einem Stimmzettel. „Diese Gemeinschaftsliste für Orsingen-Nenzingen spiegelt unsere Arbeit viel mehr wider als Parteienlisten“, ist Schäuble überzeugt.
Persönlichkeitswahl im Vordergrund
Das bekräftigt auch Joachim Kiewel, der bisher für die SPD im Gemeinderat sitzt. „In so einer kleinen Gemeinde geht es nicht um Parteien. Es ist eine Persönlichkeitswahl. Deswegen finde ich es großartig, dass wir uns entschlossen haben, es so zu machen. Wir brauchen starke Persönlichkeiten im Rat, keine Parteimitglieder.“ Als Ältester auf der Liste will er auch ein weiteres Zeichen setzen. Die Gesellschaft werde älter und man dürfe die Senioren und ihre Anliegen nicht vernachlässigen. Eine gemischte Altersstruktur könne dabei hilfreich sein.
Mit ihrer Entscheidung liegt die Doppelgemeinde im Trend, denn die Anzahl der Gemeinden in Baden-Württemberg mit einer einzigen Liste bei der Kommunalwahl steigt: 2014 waren es 74, vor fünf Jahren schon 120 Orte. In diesem Jahr werden es vermutlich noch mehr, denn eine Wahlrechtsänderung ermöglicht jetzt, dass in Orten unter 5000 Einwohnern (bisher unter 3000) doppelt so viele Personen auf einer Einheitsliste antreten können wie Sitze zu vergeben sind.
Bei einer einzigen Wahlliste würde das Mehrheitswahlrecht gelten. „Das fänden wir gut, damit kämen die 14 Kandidaten mit den meisten Stimmen in den Gemeinderat. Das wäre auch eindeutiger und transparenter für die Wähler“, so Schäuble.
Die Suche nach Kandidaten läuft
Jetzt suchen also alle gemeinsam nach neuen Kollegen. Auch Neubürger hätten sie gerne dabei, die noch anders auf die Gemeinde blicken als die alteingesessenen Einwohner. Dies bestätigt Ralph J. Schiel (Freie Grüne Liste), der 2019 neu in den Rat gewählt wurde. „Die damals unverhoffte Chance, als Gemeinderat hier vor Ort tätig sein zu dürfen, hat mich als Zugezogenen näher mit den Menschen und lokalpolitischen Angelegenheiten in Verbindung gebracht. Diese aktiven Mitgestaltungsmöglichkeiten in unserem meinungsvielfältigen Gemeinderat habe ich außerordentlich zu schätzen gelernt“, sagt er.
Antonie Schäuble wünscht sich mindestens 18 Kandidaten, damit eine echte Wahl möglich ist. Bisher gibt es 16 Bewerber. Doch die Suche ist zäh: „Viele lehnen aus Zeitgründen ab oder sagen, dass sie unter der Woche oft beruflich unterwegs sind.“
Wie der Zeitaufwand aussieht
Die dreifache berufstätige Mutter bestätigt: „Den Faktor Zeit gibt es. Alle drei Wochen haben wir eine öffentliche und nichtöffentliche Sitzung. Danach folgt ein gemütliches Beisammensein, an dem fast immer alle teilnehmen.“ Es gebe auch projektbezogene Ausschüsse, zum Beispiel zu Bauplatzvergaben. Einmal im Jahr finde eine ganztägige Gemarkungsbegehung statt. Die zur Verfügung gestellten Tablets erleichterten die Einarbeitung in Themen sehr.
Antonie Schäuble sieht sich als Bindeglied zwischen Verwaltung und Bürgern. Wenn sie öffentliche Termine besucht, wird sie schon mal auf eine kaputte Bank oder andere Themen angesprochen. „Manchmal wird man kritisiert, aber als Gesamtgremium, nach dem Motto: Was habt ihr da entschieden?“, sagt sie. Persönlich angegriffen habe sie sich noch nie gefühlt.
14 Personen mit einer Gemeinsamkeit
Von der Arbeit im Gremium schwärmt sie regelrecht: „Die macht richtig Spaß und ist herausfordernd zugleich. Wir sind 14 Personen mit einer Gemeinsamkeit: Die Bürger trauen uns zu, dass wir das einigermaßen gut machen.“ Jeder entscheide selbst, wie intensiv er sich einbringe. Alles werde in der Sitzung mit allen besprochen.
Ratskollege Stefan Stemmer (CDU) stimmt ihr zu: „Wir haben weitestgehend ein gutes Miteinander. Dass jeder die Meinung des anderen respektiert, schätze ich sehr.“
Schäuble macht klar: „In unserer kleinen Gemeinde können wir viel bewegen. Natürlich müssen wir gewisse Rahmenbedingungen einhalten, aber es bleibt wirklich viel Spielraum.“ Ihr gefällt, dass man sich mit Dingen befasst, die man im Berufsalltag nicht hat. Sie habe viel dazu gelernt und verstehe manche Vorgänge der großen Politik jetzt besser.
Dann wirbt sie nochmal: „Alle, die sich zur Wahl aufstellen lassen, sind für mich Gewinner – allein weil sie den Mut dazu hatten.“ Bei Interesse stehen sie (gr.schaeuble@orsingen-nenzingen.de) und Stefan Stemmer (gr.stemmer@orsingen-nenzingen.de) sowie alle anderen Gemeinderäte für Auskünfte zur Verfügung.