Alle Welt schaut auf Großbritannien und wartet gespannt darauf, ob Boris Johnson den Brexit etwas weicher mit einem Vertrag hinbekommt, oder ob er es getreu seiner Frisur lieber auf die harte Tour macht. Auf Radolfzell schaut – von außen – in Sachen Seetorquerung kaum einer mehr. Weil das Projekt in den vergangenen 15 Jahren von der Stadtverwaltung, dem Gemeinderat und der Bevölkerung derart durchgenudelt worden ist, dass keiner mehr sagen kann: Ist da noch was oder kommt da noch was?
Die Tücke der Vertagung
Nun macht der neue Gemeinderat auf strategische Projektsteuerung. Er hat den geplanten Auftrag an die Verwaltung vertagt, mit der Bahn über Abbruch und Neubau des Empfangsgebäudes am Bahnhof zu verhandeln. Soll heißen: Die neue Mehrheit im neuen Gemeinderat will ohnehin die Seetorquerung nicht und plant den Seexit, den Ausstieg aus dem Projekt. Mit der Tücke der Vertagung, mit der Spekulation auf immer höhere Kosten.
Nach den jahrelangen Verzögerungen müssen die Gegner jetzt nur noch auf die Entwurfsplanung warten. Ihr folgt eine Kostenberechnung, die annähernd den tatsächlichen Aufwand beschreiben soll. Kommen Kosten über 30 Millionen heraus – was zu erwarten ist – wird kaum einer mehr dafür stimmen wollen. Selbst diejenigen, die noch tapfer aber immer einsamer für einen breiten, lichtdurchfluteten Zugang zum See eintreten, haben mit Abnutzungserscheinungen zu kämpfen.
Die Bahn soll‘s richten
Ist da noch was oder kommt da noch was? Ja, der Seexit. Ob er hart oder weich ausfällt, das liegt im Auge des Betrachters. Und des Bahnbenutzers. Für den wird es hart. Dass ausgerechnet die Deutsche Bahn die gesetzlich geforderte Barrierefreiheit in Radolfzell mit einer schick sanierten Unterführung herstellt, das scheint so utopisch wie der Verbleib von Großbritannien in der EU.