Die Nachricht traf ganz Radolfzell ins Herz. Auch die Belegschaft des Automobilzulieferers BCS Automotive Interface Solution hatte laut Betriebsratsvorsitzendem Thomas Kummnik mit Entsetzen und großer Bedrücktheit die Nachricht aufgenommen, dass ihr Standort Ende 2024 geschlossen wird. Mehr als 600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verlieren ihren Arbeitsplatz. Das Traditionsunternehmen, seit mehr als 70 Jahren in Radolfzell fest verwurzelt, würde verschwinden.

Geplant werde eine „Neugestaltung der BCS-Standorte einschließlich Verlagerungen von Radolfzell an andere Standorte innerhalb der BCS-Gruppe“, wie es in einer Mitteilung von BCS heißt. Auch die Produktionsbereiche sollen zum 31. Dezember 2024 auf andere Standorte verteilt werden. Grund für die Schließung sind Verluste in Millionenhöhe, wie BCS mitteilt.

Schon in diesem Jahr können Entlassungen anstehen

Für die Beschäftigten können bereits in diesem Jahr Entlassungen anstehen, wie aus einer internen Mitteilung an die BCS-Belegschaft, die der Redaktion vorliegt, zu entnehmen ist. Um die Belegschaft bis zum Jahr 2024 abzubauen, würden schrittweise 2023 und 2024 Entlassungen erfolgen. Derzeit seien aber keine unmittelbaren Entlassungen geplant.

Konditionen zu Kündigungen werden erst beraten

Eine BCS-Sprecherin sagte dem SÜDKURIER, man versuche betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden. Zeitnah würden jetzt Gespräche der Geschäftsleitung mit der Arbeitnehmerseite beginnen, in denen es um die Bedingungen der geplanten Standortschließung gehen soll. Dazu gehöre beispielsweise die Frage, wann Produktionslinien aus Radolfzell abgezogen werden, aber auch, ob Abfindungen für die Beschäftigten gezahlt werden.

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In den vergangenen Jahren hatten die aktuell rund 610 BCS-Beschäftigten schon deutliche Einschnitte hinnehmen müssen. In einem im Herbst 2020 von Südwestmetall und IG Metall verhandelten Ergänzungstarifvertrag verzichteten sie beispielsweise auf Gehalt im zweistelligen Bereich. Diese Maßnahme hätte auch kurzfristige Verbesserungen erzielt, wie Mandy Schuster weiter mitteilt. Die „strukturellen Probleme“ von BCS seien damit aber nicht gelöst worden.

Betriebsrat kritisiert Missmanagement

Gefrustet äußerte sich BCS-Betriebsratsvorsitzender Thomas Kummnik. Viele Gespräche seien im Vorfeld geführt worden, wie man die Lage noch verbessern könne. „Doch das ist alles für die Katz“, so Kummnik. Für ihn ist Missmanagement verantwortlich für die Misere bei BCS.

Auch kritisiert er die fehlende Transparenz der Geschäftsführung. Es sei nicht klar, wie die Einnahmen des Standorts BCS im internationalen Konzern abgerechnet würden. „Wir wissen aus guten Quellen, dass das Umsatzvolumen in Radolfzell um mehrere Millionen gestiegen ist und doch heißt es, wir wären nicht rentabel“, sagt der Betriebsratsvorsitzende. Auch fragt er sich, was denn mit dem Geld passiert sei, welches gespart wurde, weil Mitarbeiter auf Lohn verzichtet hätten.

BCS in Radolfzell wird zum Jahresende 2024 aufgelöst. Mehr als 600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verlieren ihren Arbeitsplatz.
BCS in Radolfzell wird zum Jahresende 2024 aufgelöst. Mehr als 600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verlieren ihren Arbeitsplatz. | Bild: Jarausch, Gerald

Luftschlösser hätte das obere Management den Mitarbeitern gebaut, ihnen Aufbruch, Innovation und Investitionen versprochen. „Doch passiert ist nichts“, so Thomas Kummnik. Nun hofft er auf Schützenhilfe aus Politik und Wirtschaft. Dass Kunden den Rückzug aus Deutschland und damit das Ende von BCS-Autoteilen mit dem Gütesiegel „Made in Germany“ nicht so einfach hinnehmen werden. Und dass Vertreter der Kommunalpolitik für die BCS-Belegschaft einstehen. „Wir wollen alle Möglichkeiten beraten, um noch irgendwas zu retten“, sagt der BCS-Betriebsratsvorsitzende.

Produktion wurde in Teilen schon nach Rumänien und Mexiko verlagert

Schon im Sommer 2022 mahnte der damalige Geschäftsführer Daniel Martinez den notwendigen Transformationsprozess bei BCS in Radolfzell an. Es bräuchte neben dem Regenlichtsensor ein neues hochtechnologisches Produkt, mit dem man den Umsatz erhöhen könne. Und überhaupt müsse die manuelle Fertigung raus aus Deutschland, sie sei schlicht zu teuer.

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 Diesen Weg hatte BCS konsequent beschritten. Zwei von sieben Leiterplattenproduktionsanlagen sind nach Timisoara in Rumänien verlagert worden. In Mexiko sollte ein großer Fertigungsstandort aufgebaut werden. Derweil blieb der große Wandel in Radolfzell aus. Laut BCS-Sprecherin sei es nicht gelungen, „ein neues, signifikantes Kundenprojekt für den Standort zu gewinnen.“

Daniel Martinez, der den Standort Radolfzell von der reinen Produktion zu einem Technologiezentrum umbauen und zukunftssicher machen sollte, ging nach knapp zwei Jahren in der Funktion ins Homeoffice nach Barcelona. Betriebsrat und Belegschaft hatten viel Vertrauen in Martinez gelegt. Dies war im Sommer 2022. Seitdem ist Antoni Ferrer, stellvertretender Europachef der BCS-Gruppe, wieder für den Radolfzeller Standort zuständig.

„Die mit dem Ergänzungstarifvertrag verbundenen Maßnahmen und Beiträge haben unseren Beschäftigten viel abverlangt und tun es ...
„Die mit dem Ergänzungstarifvertrag verbundenen Maßnahmen und Beiträge haben unseren Beschäftigten viel abverlangt und tun es immer noch.“Antoni Ferrer, stellvertretender Europachef der BCS-Gruppe | Bild: Andreu Doz

Er bedankt sich bei der Belegschaft für die Loyalität und Unterstützung in den vergangenen Jahren. „Die mit dem Ergänzungstarifvertrag verbundenen Maßnahmen und Beiträge haben unseren Beschäftigten viel abverlangt und tun es immer noch. Insbesondere vor dem Hintergrund dieser Verzichte und der langjährigen Unsicherheit bedauern wir sehr, nunmehr ernsthaft in Erwägung ziehen zu müssen, diesen schwierigen Schritt zu gehen“, so Antoni Ferrer.

OB Gröger will in den Dialog mit BCS-Geschäftsführung treten

Oberbürgermeister Simon Gröger, der sich das Thema Wirtschaftsförderung auf die Fahne geschrieben hat, äußert sich bestürzt über die Nachricht der Werksschließung. „Die Nachricht von der drohenden Schließung von BCS am Freitagmittag hat mich hart getroffen“, so Gröger. Er werde nun den Dialog mit der Unternehmensführung suchen, ein Termin für ein Gespräch sei bereits für kommende Woche vereinbart worden. Für Gröger ist die Schließung des Standortes des Traditionsunternehmens ein schmerzhafter Einschnitt, sowohl auf privater, als auch auf wirtschaftlicher Ebene. „Ganze Familien waren und sind über Generationen hinweg mit dem Unternehmen verbunden“, sagt der OB.

„Die Nachricht von der drohenden Schließung von BCS am Freitagmittag hat mich hart getroffen.“Simon Gröger, Oberbürgermeister
„Die Nachricht von der drohenden Schließung von BCS am Freitagmittag hat mich hart getroffen.“Simon Gröger, Oberbürgermeister | Bild: Jarausch, Gerald

Wie groß die wirtschaftliche Bedeutung von BCS für die Stadt Radolfzell ist, dazu kann OB Gröger keine Auskunft geben, da dies dem Steuergeheimnis unterliege. Doch habe BCS den Wirtschaftsstandort über Jahrzehnte geprägt und der Wegfall des Unternehmens werde sich im städtischen Haushalt bemerkbar machen, ist sich der Oberbürgermeister sicher.

Sorgen mache er sich um die Belegschaft, die in den kommenden zwei Jahren ihren Arbeitsplatz verlieren wird. „Viele Mitarbeitende blicken nun einer ungewissen Zukunft entgegen, vor allem in finanzieller Hinsicht“, so Gröger. Er hoffe nun, dass sich Konzernleitung und der Betriebsrat auf einen fairen und umsichtigen Sozialplan einigen, der die Folgen einer Standortschließung für sie mildere.