Es frischt auf beim Automobilzulieferer „BCS Automotive Interface Solutions“ am Standort Radolfzell. Nachdem vor einem Jahr die Nachricht von Plänen über einen massiven Personalabbau die Runde machte und die Gewerkschaft IG Metall sogar den Fortbestand des ganzen Standorts Radolfzell befürchtete, wartet die neue Geschäftsführung im April 2021 mit positiven Nachrichten auf. Mit Betriebsrat und Gewerkschaften ist ein Verhandlungsergebnis zu einer Umwandlung des Unternehmens erzielt worden. Die Eckpunkte lauten:

  • Es gibt eine Standortsicherung für Radolfzell bis mindestens 31. Dezember 2024.
  • BCS hat eine Beschäftigungsgarantie für mindestens 450 Mitarbeiter und 30 Auszubildende ausgesprochen. Dies sei eine Untergrenze, die wirkliche Zahl der Beschäftigten in Radolfzell unterliege der aktuellen Markt- und Auftragslage.
  • Der Luxshare-Konzern als Eigentümer von BCS hat für das Werk in Radolfzell eine Investitionsgarantie in Höhe von zwölf Millionen Euro abgegeben.
  • Aktuell zählt BCS in Radolfzell 720 Beschäftigte. Der Abbau von Arbeitsplätzen soll über ein Freiwilligenprogramm mit Hilfe einer Transfergesellschaft und Abfindungen erreicht werden.

Lothar Bottlang, Leiter der Personalabteilung in Radolfzell und Personalverantwortlicher für BCS europaweit, macht keinen Hehl daraus, dass sich die Firma in einer schwierigen Ausgangssituation befunden habe: „Der Automobilmarkt verändert sich massiv, wir müssen uns anpassen, damit der Standort gehalten werden kann und fit für die Zukunft ist.“ Was fit für die Zukunft bedeutet, erläutert Wolfram Speck, Leiter der Arbeitsvorbereitung: „Wir müssen weg vom herkömmlichen Schalterbau, hin zu einer geschlossenen Oberflächenmontage.“ Diese neuen Bedienungselemente geben über eine Kontaktfolie die Tastsignale des Benutzers weiter. „Das ist komplexe Elektronik“, sagt Speck.

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Für die Entwicklung solcher neuer Komponenten für das Automobil braucht es vor allem Ingenieure. 150 arbeiten bereits in diesem Bereich im Werk Radolfzell. Für die Herstellung der Leiterplatten braucht es Fachkräfte an den Robotern. Die Zeiten, in denen ungelernte Kräfte die Schalter in Radolfzell „zusammenstecken“ oder von Hand Produktionslinien bestücken neigen sich dem Ende zu. Wo früher 17 Mitarbeiter an einer Fertigungslinie standen, stehen an einer modernen SMT (Surface-Mounting-Technologie)-Einheit noch zwei. Zu dieser Veränderung habe die Firma keine andere Wahl, sagt Ingenieur Speck. Er war als Betriebsrat an den Gesprächen zum Interessensausgleich und Sozialplan beteiligt: „Wir haben lange und intensiv verhandelt.“ Herausgekommen sei ein bunter Blumenstrauß mit vielen Möglichkeiten für individuelle Vereinbarungen. „Als Betriebsrat muss ich sagen, wir haben eine gute Lösung gefunden.“

Ingenieur Daniel Martinez treibt die technische Entwicklung voran

Bottlang und Speck referieren die Lage und den Prozess des Wandels ruhig, ja mit einer gewissen Erleichterung. Und einem spürbaren Mut und Vertrauen in die Zukunftsfähigkeit ihrer Firma. Ein Grund dafür dürfte auch in der Person des neuen Geschäftsführers liegen. Der promovierte Ingenieur Daniel Martinez (49) arbeitet seit einem Jahr für BCS. Der Spanier fliegt nicht für ein paar Tage ein, wie es die BCS-Belegschaft schon von anderen Managern erlebt hat, Martinez fährt jeden Tag vom Wohnsitz seiner Familie in Überlingen nach Radolfzell. Der leidenschaftliche Segler mag das Revier am Bodensee: „Eine wunderschöne Gegend.“

Der Blick auf die Landschaft verklärt den Blick des Ingenieurs nicht: „Die manuelle Produktion ist in Deutschland nicht mehr stemmbar“, sagt Martinez, der fließend Deutsch spricht. 23 Jahre war er bei der Kostal-Gruppe, einem Familienunternehmen und Automobilzulieferer mit Sitz in Lüdenscheid, beschäftigt. Für Kostal war er 17 Jahre in China, zuletzt war er technischer Leiter in Shanghai für alle asiatischen Unternehmen der Gruppe. Martinez spricht Mandarin, die Muttersprache von 70 Prozent der Chinesen. Das hilft, wenn der Eigentümer ein chinesischer Konzern ist. Die BCS-Vorstandsvorsitzende Lingling KK Yuan hat Martinez beim Automobilhersteller Marquardt in Rietheim abgeworben, da war er noch kein halbes Jahr zurück in Deutschland. „Das Projekt hier bei BCS hat mich begeistert, ich soll in einer schwierigen Situation den Turnaround schaffen.“

Audi bestellt jetzt bei BCS

Die Trendwende hat BCS in Teilen schon erreicht. Mit der Entwicklung der berührungssensitiven Schalter im Lenkrad des Elektroautos VW ID.3. Die Komponenten werden in Teilen in Radolfzell gefertigt, die Endmontage erfolgt im Werk in Benesov in Tschechien. Auch ist in Radolfzell in diesem Jahr die vollautomatische Produktion von Regenlichtsensoren für drei neue Kunden angelaufen: Audi, PSA (Peugeot, Citroen, Opel) und Renault. In die Anlage hat das Unternehmen 5,8 Millionen investiert, „wir können damit bis zu drei Millionen Sensoren im Jahr produzieren“, sagt Ingenieur Speck. Und beim Regenlichtsensor ist der Leiter der Produktion ausgesprochen selbstbewusst: „Der BCS-Sensor ist der beste am Markt.“

In der Werkshalle: Moderne Leiterplattenbestückung auf antistatischem Industrieboden. Bild: Georg Becker
In der Werkshalle: Moderne Leiterplattenbestückung auf antistatischem Industrieboden. Bild: Georg Becker | Bild: Becker, Georg

Chef Martinez hört das beim Betriebsrundgang gerne. Wo BCS beim Regenlichtsensor ist, da möchte er mit dem Unternehmen in anderen Bereichen und mit anderen Produkten hin. Bei diesem Produkt sei BCS „jetzt modularer unterwegs“. Er forciert Radolfzell als Technologie- und Innovationsstandort. Das heißt: in Radolfzell entwickeln und an einem anderen Standort die Endmontage übernehmen. Komplexe Produktionsprozesse wie die Leiterplattenbestückung bleiben in Radolfzell und werden ausgebaut – so wie es beim Bedienelement (Lenkradschalter) für den Elektro-VW geschieht. Martinez sieht Potentiale für BCS durch die Konzernmutter Luxshare, die auf Konsumelektronik spezialisiert sei. „Wir müssen die Verbindung schaffen und Einsatzmöglichkeiten dieser Technologien im Auto entwickeln.“

Zwölf Millionen Euro werden in Radolfzell investiert

Luxshare hat für BCS in Radolfzell über zwölf Millionen Euro an Investitionen genehmigt. Dafür sind zwei neue Linien für die Oberflächenfertigung, Equipment für den Prototypenbau mit Drei-D-Druckern und Werkzeugmaschinen sowie ein antistatischer Industrieboden angeschafft worden. Dazu komme die Aufrüstung der Informationstechnik und die Sanierung der Gebäude. Mit dieser Zweigleisigkeit will man die Zukunft sichern: Umbau des Standorts zu einem Technologie- und Forschungszentrum mit der Produktion anspruchsvoller Produkte und hohem Automatisierungsgrad.

Dennoch, vorerst geht es auch darum, Personal in Radolfzell abzubauen. Das gestalte sich nach den ersten Gesprächen und den Angeboten des Freiwilligenprogramms überwiegend konfliktfrei. Personalleiter Lothar Bottlang berichtet von 70 Mitarbeitern, „die das Unternehmen einvernehmlich verlassen wollen“. Man wolle betriebsbedingte Kündigungen vermeiden: „Die Transfergesellschaft ist ein sehr gefragtes Modell und die angebotenen Abfindungen sind je nach individueller Lebenssituation attraktiv.“ Hinzu käme, dass der Arbeitsmarkt für qualifizierte Mitarbeiter „nicht so schlecht ist“.

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Geschäftsführer Daniel Martinez mag den „Transformationsprozess“ für die Mitarbeiter nicht schöner reden, als er ist: „Eine Restrukturierung ist immer sehr schmerzhaft. Egal, was man macht, es tut weh.“ Doch das Firmensegel von BCS habe wieder Wind aufgenommen. Die Auftragslage sei gut und neue Projekte und Produkte würden in Radolfzell entwickelt. Da gibt es auch eine gute Nachricht vom Stellenmarkt. Von den 30 Ausbildungsplätzen sind immer noch drei offen. „Gute Leute brauchen wir immer, das wird auch in Zukunft so sein“, glaubt Personalleiter Bottlang.