Elli Lauterbach ist eine von ihnen – den Glücklichen, die bereits gegen Corona geimpft werden. Vergangene Woche war es so weit: Ihre Erstimpfung. Doch sie saß weder in einem Impfzentrum, noch bei ihrem Hausarzt – sondern in der Praxis des Radolfzeller Orthopäden Holger Vetter.
Er impft seine Patienten seit wenigen Tagen gegen das Virus. Denn was nur wenige wissen: Seit April dürfen nicht nur die Hausärzte den begehrten Schutz anbieten – auch die Fachärzte sind dazu berechtigt.
Alle Vertragsärzte dürfen impfen
Sogar einige Apotheken seien überrascht gewesen, als er bei ihnen anrief, berichtet Holger Vetter dem SÜDKURIER. Der 51-Jährige betreibt zusammen mit seinem Kollegen Andreas Pischel eine Gemeinschaftspraxis für Orthopädie und Unfallchirurgie in Radolfzell.
„Impfungen gegen COVID-19 können aktuell von allen an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Arztpraxen angeboten werden“, erklärt er. Das betreffe die Fachärzte genauso wie die Hausärzte – egal ob Orthopäde, Augenarzt oder Gynäkologe.
Zunächst seien die Fachärzte gebeten worden, sich in den ersten drei Aprilwochen mit Bestellungen zurückzuhalten. Die Hausärzte sollten erst einmal priorisiert werden, berichtet Vetter.
Doch jetzt könnte auch er bei den Apotheken die gleichen Kontingente einkaufen. Zum Start seien es 84 Dosen des Biontech-Impfstoffs gewesen – die momentan übliche Menge für eine Gemeinschaftspraxis mit zwei Ärzten. Denn jedem Arzt stehen 42 Impfdosen pro Woche zu.
Menge der Impfdosen wird wöchentlich angepasst
Ebenso wie alle anderen Praxen könne er dienstags bei den Apotheken Impfstoff bestellen. „Am Donnerstag bekommen wir dann die Info, wie viele Dosen wir für die kommende Woche kriegen.“ Die Menge werde von Woche zu Woche angepasst, berichtet der 51-Jährige.
Doch noch gibt es den Impfstoff auch bei den Fachärzten nicht für jedermann. „Wir müssen die Priorisierung genauso wie alle anderen auch einhalten“, erklärt Holger Vetter. Für Hausärzte sei das etwas einfacher, weil sie die Patienten besser kennen würden. „Aber wir Orthopäden haben eine Klientel mit vielen älteren Patienten, von denen viele impfberechtigt sind.“
So kommt man an Termine
In regulären Sprechstunden informiere er diese darüber, berichtet er. Interessierte könnten sich dann in Listen eintragen lassen und er rufe sie an, sobald sie dran seien. Auf Verdacht würde Vetter seine Patienten aber nicht anrufen – dafür würde die Zeit seiner Mitarbeiterinnen auch nicht reichen.
Und auch wer gerade keinen Termin bei ihm hat, könne einfach anrufen, wenn er impfberechtigt ist. So würden es die Hausärzte auch machen. Doch bei denen seien schon hunderte Interessenten auf den Listen, die nach und nach abgearbeitet werden müssten.
Er habe sogar gehört, dass ein Hausarzt über tausend Anfragen bekommen habe – bei gerade einmal rund vierzig verfügbaren Impfdosen pro Woche.
Kooperation mit Hausärzten
Deshalb hat Holger Vetter Kontakt mit Radolfzeller Hausärzten aufgenommen, um zu kooperieren und Patienten von deren Listen abzunehmen – natürlich nur, wenn die Patienten auch damit einverstanden sind. Denn Vetter findet, jeder soll mithelfen: Impfzentren, Hausärzte und Fachärzte. „Diesen Weg gehen wir alle gemeinsam.“
Zudem impfen neben den Hausärzten folgende der vom SÜDKURIER kontaktierten Fachärzte in Radolfzell, es besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit:
- Die Orthopädie und Unfallchirurgie von Holger Vetter und Andreas Pischel: (07732) 950750
- Die Frauenarztpraxis von Julia Minner, Annette Felbrich und Simone Baudot: (07732) 820459
- Die Frauenarztpraxis von Matthias Groß und Kirsten Groß: (07732) 8237345
Neu ist die Arbeit für Holger Vetter und sein Team nicht. „Als Orthopäden und Unfallchirurgen führen wir regelmäßig Impfungen gegen Tetanus durch.“ Ausbildung und Logistik seien daher vorhanden.
Patientin Elli Lauterbach wurde von der Kranken- und Gesundheitspflegerin Angela Castucci geimpft – und die habe auch schon im Impfzentrum in Singen mitgeholfen.
Impfungen eine logistische Herausforderung
Dennoch gebe es Herausforderungen: Der Biontech-Impfstoff hält sich nach Ende der Kühlung nur sechs Stunden. „Wenn jemand nicht zum Termin erscheint, ist das ein Problem“, sagt Vetter. Dann sei er gefordert und müsse schnell einen Ersatz organisieren. „Dann telefonieren wir unsere Liste ab auf der Suche nach Patienten, die kurzfristig einspringen können.“
Zudem müsse er für alle Patienten, die jetzt geimpft werden, Zweittermine in fünf bis sechs Wochen einplanen – zusätzlich zu neuen Terminen. „Vorausplanen ist kompliziert, weil sich die Kontingente von Woche zu Woche ändern werden.“
Vetter: „Hauptsache der Impfstoff kommt an den Mann“
Finanziell sei das Impfen nicht lukrativ – mit normalen orthopädischen Behandlungen würde er mehr verdienen. Dennoch sei zum Start am Mittwoch den halben und am Donnerstag den ganzen Tag geimpft worden.
Denn Vetter freut sich, an der Corona-Bekämpfung mithelfen zu können, und sagt: „Unsere Priorität und die der Kassenärztlichen Vereinigung ist, dass kein Impfstoff verloren geht.“
Deshalb rät Holger Vetter allen Bürgern, einfach bei ihren Fachärzten nachzufragen, ob sie Corona-Impfungen anbieten. Er wünscht sich eine große Nachfrage: „Hauptsache der Impfstoff kommt an den Mann.“
Orthopäde will Zuversicht verbreiten
Seine Mitarbeiterinnen seien besonders stark beansprucht von der neuen Aufgabe. „Die leisten gerade sehr viel Extra-Arbeit, organisieren, impfen und telefonieren die Listen ab.“ Vetter hofft, dass sich die Mühe lohnen wird.
Nachdem es so lange zu wenig Impfstoff gegeben hat, glaubt der Radolfzeller Orthopäde an ein positives Signal durch die neuen Angebote. „Jetzt passiert, was angekündigt wurde: Es steht mehr Impfstoff zur Verfügung, sodass neben den Hausärzten nun auch die Fachärzte ihren Beitrag zum Impfen leisten können.“
Damit wolle er auch gegen die oft negative Stimmung rund um das Thema Impfen ankämpfen. „Ich hoffe, dass diese Entwicklung etwas Zuversicht verbreitet in der Bevölkerung.“