Trompete, Horn, Fagott, Klarinette. Wenn es etwas Typisches für Radolfzell neben dem Münster, den Hausherren und dem See gibt, dann ist es das Jugendblasorchester. Als Bürgermeister Hermann Albrecht 1964 auszog, um den Dirigenten Heinrich Braun den Lindauern abzuluchsen und an den Untersee zu lotsen, hat er damit auf Jahrzehnte den Takt von vielen Kindern und Jugendlichen bestimmt. Einige haben die Musik zu ihrem Beruf gemacht, viele haben sie als Hobby behalten und sind der Stadtkapelle treu geblieben.

Ralf Springmann gehörte zur zweiten Generation der Jugendmusikschüler. Zur ersten Generation, die bei einer Reihenprüfung in den Radolfzeller Schulen ausgesucht worden war, gehörten etwa Dietmar Baumgartner, Jürgen Kupferschmid oder Bernd Rihm. Als Ralf Springmann bei Heinrich Braun 1970 vorsprach, musste er den gleichen Eignungstest wie die Generation vor ihm machen: „Ich musste einen Rhythmus klatschen und ein Lied singen.“ Der Stadtmusikdirektor schien zufrieden, er sprach: „Dich würde ich nehmen.“

Eigentlich wollte er Trompete spielen

Nur der gerade elf Jahre alte Ralf bekam – wie viele – nicht das Instrument, das er gerne gehabt hätte: „Trompete!“ Braun habe behauptet, er habe keine Trompete mehr. Dem widerspricht Springmann heute lachend: „Was ihn dazu brachte, mir ein Horn anzudrehen, war, dass er im Jugendblasorchester nur drei Hornisten hatte.“ Für ein Horn-Quartett fehlte der vierte Mann. „Ich kam nach Hause mit einem zerfledderten Instrumentenkoffer, einem verbeulten und ungeputzten Horn, das auch noch ein bisschen roch.“ Die Reaktion seiner Eltern Maria und Werner haben sich bei Ralf Springmann ins Gedächtnis eingebrannt: „Die haben die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, das war für meine Eltern die erste Begegnung mit dem Horn.“

Stadtmusikdirektor Heinrich Braun in der mitte seiner Zöglinge. Ganz links Ralf Springmann.
Stadtmusikdirektor Heinrich Braun in der mitte seiner Zöglinge. Ganz links Ralf Springmann. | Bild: Musikschule Radolfzell

Für den Buben Ralf passte das ziemlich schnell, ziemlich gut mit dem Horn. Heinrich Braun, von Hause aus Klarinettist, schulte ihn und steckte ihn nach einem halben Jahr ins Blechbläserquartett. „Ich hatte Glück, dass er noch einen Hornisten brauchte.“ Mit Trompete wäre das nicht passiert. Die spielten schon Suso Stoffel und Klaus Schuhwerk, die Posaune Karl-Heinz Kromer.

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Erste Preise in Wettbewerben

Sie fuhren zum Regionalwettbewerb nach Konstanz, spielten und gewannen einen ersten Preis. Sie fuhren zum Landeswettbewerb nach Sindelfingen, spielten und gewannen einen ersten Preis. Sie fuhren zum Bundeswettbewerb nach Bielefeld und spielten in der Oetker-Halle. „Wir kleinen Buben aus Radolfzell haben da einen dritten Preis auf Bundesebene bekommen, das ist alles in gut einem Jahr passiert“, lacht Ralf Springmann noch heute über das Erfolgserlebnis.

Das Blechbläserquartett aus Radolfzell holt beim Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ in Trossingen 1973 den ersten Preis ...
Das Blechbläserquartett aus Radolfzell holt beim Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ in Trossingen 1973 den ersten Preis (von links): Suso Stoffel, Klaus Schuhwerk (beide Trompete), Reiner Gabele (Posaune) und Ralf Springmann (Horn). | Bild: Musikschule Radolfzell

Zwei Jahre später wird es der erste Preis im Bundeswettbewerb, dieses Mal mit Reiner Gabele an der Posaune. Ralf übt in dieser Zeit mal eine halbe Stunde am Tag, mal eine ganze, mal anderthalb Stunden. „Es hing immer davon ab, welcher Wettbewerb anstand.“ 1975 übte er noch mehr. Da ging es ums Ganze, besser um ein ganzes Horn. In der Solowertung auf Bundesebene war der erste Preis ein Alexander-Doppelhorn. „Das wollte ich haben, ich hatte bis dahin noch kein eigenes Instrument, das war für mich ein großer Anreiz.“

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Berufung ins Landesjugendorchester

Gute Nerven, Lust auf Wettbewerb, sich ganz auf ein Ziel ausrichten und die Zeit gut einteilen, das sind Eigenschaften, die Ralf Springmann helfen. Die Leidenschaft für Musik macht bei ihm zu einem großen Teil die Begeisterung für das Orchester aus. Das begann im Jugendblasorchester in Radolfzell. „Wenn du im JBO gespielt hast, das war was. Da wollte man spielen, das war soziale Anerkennung, da war man richtig stolz.“ Wer dort spielte, den kannte man in der Schule, den kannte man in der Stadt. Und auch im Orchester passierte etwas: „Wenn du als Zwölfjähriger in so einem Ensemble spielst, da ist gemeinsamer Puls, gemeinsamer Rhythmus, da ist Lautstärke, das macht glücklich.“ Talent gehört dazu.

Nach den Erfolgen mit dem Quartett ist Ralf Springmann in die Landesförderung gekommen und in das Landesjugendorchester berufen worden. Ein neuer Lehrer, Karl Arnold, Solohornist im Symphonieorchester des Südwestfunks, kümmerte sich um den weiteren Feinschliff. Alle vier Wochen hieß es: „Morgens um 6.53 fuhr der Zug nach Offenburg, dann umsteigen nach Baden-Baden.“ Für eine Strecke war er dreieinhalb Stunden unterwegs. Es gab eine Stunde Unterricht vor und eine nach dem Mittagessen, „zu dem ich immer eingeladen war.“ Die Fahrkarte zahlten die Eltern.

Brasilienreise als Ausschlag, Berufsmusiker zu werden

Der Lohn für das Üben waren die Auftritte im Landesjugendorchester und die Berufung ins Bundesjugendorchester. „Da sind lauter Gleichgesinnte. Da ist man mal eine, mal zwei Wochen weg. Spielt ein Konzert, die Leute klatschen, spielt wieder ein Konzert, die Leute klatschen noch mehr. Wenn du davon unberührt bleibst, dann legst du das Instrument wieder weg.“ Ralf Springmann behielt es in der Hand.

Eine Brasilienreise mit dem Bundesjugendorchester 1974 hat für Springmann den Ausschlag gegeben, Berufsmusiker zu werden. „Da sind deine Freunde, mit denen du die Tage, die Nächte verbringst. Du spielst eine Bruckner-Sinfonie vor begeistertem Publikum. So stellte ich mir damals das Musikerdasein vor.“ Springmann grinst: „Weit gefehlt!“ Zum Weg dahin brauche es Talent, außerordentlichen Fleiß, Glück – und stabile Nerven. „Die Zahl der Orchester ist begrenzt. Die Zahl der Musiker darin ist limitiert, nicht alle, die studieren, kommen dort hin.“

Die Abgründe der Verzweiflung

Zuerst ging alles gut. Ralf Springmann wechselte vom Gymnasium als Jungstudent auf das Richard-Strauss-Konservatorium nach München. In Jack Meredith fand er den Wunsch-Lehrer am Horn. „Auch er spielte im Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks.“ Allein in München, habe er zu Beginn des Studiums auf einmal Probleme bekommen. Springmann: „Ich hatte eine spieltechnische Krise. Ich konnte den Ton nicht mehr so artikulieren, wie er in meiner Vorstellung eigentlich perfekt klingen sollte.“

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Er habe kurz überlegt, die Musik und das Horn bleiben zu lassen. Das könne von Außen kaum einer verstehen, dieses Ringen um einen Ton, welche Abgründe von Verzweiflung dazu gehörten, um diesen Ton zu erreichen. Das beschäftige einen Musiker früh: „Das Wissen, dass morgen alles weg sein kann, was du gestern noch konntest, ist furchtbar.“ Springmann kämpfte mit sich und dem Horn: „Dann kam bei mir wieder dieser Dickkopf durch, komm, du schaffst es.“ Meredith habe ihn mit kleinen Hilfen korrigiert. „Das war sehr klug, danach bin ich Gott sei Dank ohne größere Unfälle durch inzwischen 40 Berufsjahre gekommen.“

Arbeit bei der Deutschen Oper Berlin

Ein Malheur technischer Art passierte ihm beim Vorspiel an der Deutschen Oper Berlin 1981. Vor der dritten Runde merkte Springmann, dass eine Klappe an seinem Horn lose war. Ricardo Almeida, Hornist im Gürzenich-Orchester in Köln, war in diesem Probespiel für die freie Stelle in der Deutschen Oper dabei. Sie kannten sich aus dem Bundesstudentenorchester. Konkurrent Almeida lieh ihm sein Horn, Springmann bekam die Anstellung: „Hornisten wissen, dass ihr Spiel gefährlich ist. Einen missglückten Hornton hört jeder. Wir spielen pärchenweise oder im Quartett. Deshalb haben wir ein sehr gutes und kollegiales Verhältnis.“

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Drei Jahre blieb Ralf Springmann an der Deutschen Oper Berlin. 1985 gelang der Wechsel in das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, das zu den zehn besten Orchestern der Welt zählt. Dort traf er wieder seinen Lehrer Jack Meredith. Seither ist München Wohnsitz von Ralf Springmann. Die großen Dirigenten kennt er aus nächster Nähe: Lorin Maazel, Mariss Jansons, Sir Simon Rattle.

Für Springmann ist der Weg dahin eng mit Radolfzell verbunden. Dort fing alles mit dem Klatschen und einem Lied an. Wie oft seien die Eltern mit ihm zu Konzerten gefahren, für die Brasilienreise musste erst noch ein großer Koffer gekauft werden. Der Vater steckte ihm für München monatlich 500 Mark zu, damit er Zimmer und Essen bezahlen konnte. „Als Vater von drei Kindern kann ich heute ermessen, welche Leistung das war.“