Sechs Jahre lang brachte der Zweite Weltkrieg Leid, Verlust und Zerstörung für zahlreiche Gemeinden und Menschen – bis er im Mai 1945 in Europa durch die vollständige Kapitulation der deutschen Wehrmacht schließlich endete. Auch die Zukunft der Stadt Radolfzell war bis dahin noch ungewiss und die Bewohner hielten den Atem an, als am Morgen des 25. April 1945 die französische Armee anrückte und mit dem Beschuss begann. Gleichzeitig sorgte man sich um unberechenbare, versprengte SS-Leute.

Wie Historiker Christof Stadler erst kürzlich im Rahmen eines Vortrags erzählte, konnten schließlich Personen wie Pfarrer Josef Zuber und der Vikar Ruby die Stadt retten – indem sie die weiße Fahne auf dem Münsterturm hissten.

Wie die Menschen die letzten Stunden und die Wirren des Zweiten Weltkrieges damals erlebten, das wird heutzutage allerdings für viele zunehmend schwer greifbar – zumal das Kriegsende nun 80 Jahre zurückliegt. Umso wichtiger ist es, die Erinnerungen und Erlebnisse derjenigen festzuhalten, die diese Zeit noch selbst miterlebt haben, damit das Leid und die Opfer von damals nicht in Vergessenheit geraten.

Im Mai kamen die Franzosen

Einer der Menschen, die hautnah den Krieg und sein Ende erlebten, ist Klaus Uhl, der im Mai 1945 gerade einmal acht Jahre alt war und mit einem älteren Bruder, zwei jüngeren Schwestern, seiner Mutter und einer Haushälterin in Radolfzell lebte – in dem heute noch bestehenden Haus in der Schützenstraße, in dem heute der Spielwarenladen Swars untergebracht ist. Der Vater war dem Krieg noch direkter ausgesetzt: Er sei als Soldat im Einsatz gewesen.

Die meiste Zeit des Krieges habe Klaus Uhl mit mehreren Nachbarn und seinen Geschwistern im Keller verbracht – besonders gegen Ende, als fast jede Nacht Fliegeralarm gewesen sei. Ihr Haus sei eines der wenigen mit Keller gewesen, weshalb die Nachbarn bei ihnen Zuflucht gesucht hätten. Gemeinsam hätten sie dort gesessen und Suppe gegessen.

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Wie Klaus Uhl heute berichtet, sei zum Kriegsende hin die Nachricht verbreitet worden, dass die Stadt Radolfzell gegen die Franzosen verteidigt werden würde. In der Innenstadt seien mithilfe riesiger Balken Panzersperren errichtet und die Stadteingänge geschlossen worden.

Flucht auf die Höri

Die meisten Menschen seien früher oder später aus Radolfzell geflohen – auf die Höri oder über den Schienerberg in die Schweiz. So auch Klaus Uhl. Seine Mutter habe Bekannte in Bankholzen gehabt, zu welchen sie die Kinder mit der Haushälterin geschickt habe, damit sie dort auf dem Speicher wohnen könnten.

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An die Flucht auf die Höri kann sich Uhl genau erinnern: Mit einem Leiterwagen seien sie nach Bankholzen unterwegs gewesen. Die Schwestern hätten auf dem Wagen gesessen, während er hinten geschoben und sein Bruder vorne gezogen habe. Als sie an der Mooser Brücke angekommen seien, hätten Männer der SS mit Gewehren vor ihnen gestanden und ihnen den Übergang verweigern wollen.

Plötzlich fehlt die kleine Schwester

Er höre heute noch, wie die Haushälterin dann sagte: „Ihr könnt jetzt auf uns schießen, wir müssen da rüber.“ Daraufhin habe er den Leiterwagen einfach über die Brücke geschoben, ohne auf die Soldaten zu achten. Klaus Uhl erzählt, wie sie in den Himmel geguckt haben und er zu der Haushälterin meinte: „Schau mal, da oben kommen Flugzeuge – die schmeißen lauter Kartoffeln runter.“ Allerdings sei in dieser Nacht Fliegeralarm gewesen sei – die vermeintlichen Kartoffeln waren eigentlich die fallenden Bomben. Und die führten zu Zerstörung: Er habe ganze Wagenräder durch die Luft fliegen sehen, außerdem habe es geknallt und gekracht. Rückblickend sagt er, sie hätten wirklich großes Glück gehabt, heil davongekommen zu sein.

Doch das schlimmste Erlebnis habe nach dem Beginn der Flucht erst noch bevor gestanden: Als sie in Bankholzen angekommen seien, sei seine jüngste Schwester, die gerade erst habe laufen können, verschwunden gewesen. Es folgten schwere Stunden der Ungewissheit. Doch die Geschichte ging glücklich aus: Uhl berichtet, wie sie damals ganze Ströme von Menschen und Soldaten am Haus vorbeiziehen sahen und auf einmal Soldaten mit seiner Schwester vorbeigekommen seien – sie hätten das kleine Mädchen im Wald aufgelesen, nachdem sie zuvor unbemerkt umgedreht sei, um ihre Puppe aus Radolfzell zu holen.

Wohnung beschlagt – aber zum Teil gibt es Hilfe

Als die Familie gegen Kriegsende wieder in ihr Elternhaus nach Radolfzell zurückgekehrt sei, habe sie auf den Speicher ziehen müssen, da französische Offiziere die Wohnung der Familie beschlagnahmt und selbst bewohnt hätten. Das habe aber auch etwas Gutes gehabt, erzählt Klaus Uhl: Sie hätten von ihnen vieles zu essen bekommen, was sie noch nicht kannten – er habe seine erste Banane gegessen und etwas französisches Brot.

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Außerdem habe ihnen ein Offizier jedes Wochenende einen laissez-passer, also eine Zulassung, mitgebracht. Diese wurde von der Familie benötigt, um die Stadt zu verlassen zu können und sich um ihren Garten in Markelfingen zu kümmern. Und er werde auch nie vergessen, wie sich die Kinder regelmäßig um die Feldküche der französischen Soldaten versammelt hätten und dort mit Essen versorgt worden seien.

Dabei hatten die Radolfzeller auch nach April 1945 den Krieg so wirklich noch nicht hinter sich gelassen: Erst nach langer Zeit seien die Soldaten, darunter auch Klaus Uhls Vater, zu ihren Familien zurückgekehrt, erzählt er.