Wir befinden uns im Jahre 2023. Ganz Deutschland ist von der Energiekrise betroffen... Ganz Deutschland? Nein! 173 Dörfer trotzen dem Eindringling. Es sind Bioenergiedörfer. Sie versorgen sich selbst mit Strom und Wärme. Die Radolfzeller Gemeinde Möggingen ist ein solches Bioenergiedorf. Laut der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe sind das Ortschaften, die den Großteil ihres Stroms und Wärmebedarfs aus regionaler Biomasse selbst decken. In Möggingen geschieht das auf dem Ziegelhof von Marc Rehm.

Hier wird Strom sogar günstiger

„Wir haben seit dem Beginn der Turbulenzen auf den Energiemärkten eine stark erhöhte Anfrage nach Anschlüssen an unser Nahwärmenetz“, resümiert Joachim Kania, Vertriebsleiter der Stadtwerke Radolfzell, auf Anfrage. Dabei sei Möggingen von den Preisschwankungen weitgehend verschont geblieben. Und rechne man die Mehrwertsteuersenkung von 19 auf sieben Prozent im Energiesektor dazu, hätte der Ort dieses Jahr sogar geringere Kosten als 2022, so Kania. Ob das für alle zutrifft, zeigt ein Hofrundgang beim Bio-Gas-Landwirt Rehm.

Marco Rehm macht mit seiner Biogas-Anlage das Nahwärmenetzwerk des „Bioenergiedorfs“ Möggingen möglich.
Marco Rehm macht mit seiner Biogas-Anlage das Nahwärmenetzwerk des „Bioenergiedorfs“ Möggingen möglich. | Bild: Rasmus Peters

„Biogas ist eine Beton-Kuh“

Als er den Ziegelhof in Möggingen von seinen Schwiegereltern übernahm, hielt Marc Rehm noch Milchvieh. 30 Kühe etwa. Als Quereinsteiger bewirtschaftet der gelernte Energieelektroniker nun den Hof der Eltern seiner Frau. 2008 kam es zu einem ersten Kontakt mit den Stadtwerken Radolfzell: Ob sich der damals noch Teilzeitlandwirt vorstellen könne, die Kommune mit Biogas zu versorgen. 2011 ging er dann ans Netz und das Milchvieh wurde verkauft.

Im übertragenen Sinn blieb es jedoch erhalten: „Biogas ist eine Beton-Kuh“, erklärt Rehm. „Wir simulieren eine Kuh“. Um Biogas zu erhalten, verfüttere der Landwirt Mais, Getreide und Gras in seine Tanks. Wie bei einer Kuh entstehe daraus am Ende Methan, schildert er die Gasgewinnung.

Über diesen Motor wird das Gas in Strom umgewandelt.
Über diesen Motor wird das Gas in Strom umgewandelt. | Bild: Rasmus Peters

Eine Anlage kann 500 Haushalte versorgen

Aus den Beton-Mägen von Rehms Hof laufen stündlich 350 Kilowattstunden Strom ins Netz. Übers Jahr gerechnet, erzeugt die Anlage 2,8 Millionen Kilowattstunden. Das entspricht grob dem Fünfhundertfachen eines durchschnittlichen Vier-Personen-Haushalts. Der liegt laut Statista zwischen 4000 und 5000 Kilowattstunden in einem Einfamilienhaus, je nachdem, ob die Warmwasserbereitung elektrisch geschieht oder nicht. Der Strom-Eigenbedarf seines Betriebes liege laut Rehm bei 120.000 Kilowattstunden. Den bezieht der Landwirt selbst aus dem Netz. Dieser Anteil entspricht vier Prozent seiner Produktion.

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Von den 350 Kilowattstunden verstromt Rehm über einen Generator 100 selbst und speist sie wiederum ins örtliche Netz ein. Die verbleibenden 250 Kilowattstunden gehen an die Heizzentrale des Nahwärmenetzwerkes. Bei der Stromproduktion falle sowieso Wärme an. Statt sie als Abfall verpuffen zu lassen, werde sie ins Nahwärmenetz abgeführt. Das erhöhe letztlich den Wirkungsgrad des Konzepts, erklärt Rehm. Das

Zahl der Abnehmer hat sich deutlich erhöht

Nahwärmenetzwerk erreiche ungefähr 150 Haushalte. Um das Projekt zu starten, waren 90 potenzielle Anschlüsse angedacht, berichtet Ortsvorsteher Ralf Meyer auf Anfrage. Und jedes Jahr werden es zwei bis drei mehr. Das am weitesten entfernte angeschlossene Haus sei kaum mehr als einen Kilometer entfernt.

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Zäher Umstieg aber warmes Fiddele

Den Umstieg der Gemeinde auf ein Nahwärmenetz beschreibt Rehm als eher zäh: Es habe einige Sitzung gebraucht, die Bürger von Nahwärme und Biogas zu überzeugen. Die Vorstellung vom altbekannten Öl auf eine unbekannte Energiequelle zu wechseln, stand manchen Bürgern im Weg, schildert es Ortsvorsteher Meyer. Außerdem gab es Bedenken, dass das ganze Dorf zur Baustelle werde.

Meyer habe versucht, die Einwohner damit zu überzeugen, dass es sie unabhängiger von Energiekonzernen mache, die kurzen Lieferwege und langfristig die Umwelt schone. Anfangs sei auch Rehm selbst noch skeptisch gewesen, erinnert sich der Ortsvorsteher. Rehm identifiziere sich als Landwirt, der Lebensmittel herstelle und nicht sie verbrenne. Doch seit der Umstellung genieße Rehm nun einen besonderen Status: „Ich bin der, der ihnen ein warmes Fiddele macht“, sagt er und grinst.

Der Kreislauf einer Biogas-Anlage: Vom Silo links, über den Fermenter, zum Nachgärer bis zum „Endlager“ rechts. Die ...
Der Kreislauf einer Biogas-Anlage: Vom Silo links, über den Fermenter, zum Nachgärer bis zum „Endlager“ rechts. Die aufbereitete Gülle kann wieder auf den Feldern verteilt werden. | Bild: Rasmus Peters

Ob es sich rechnet, zeigt sich erst nach 20 Jahren

Finanziell laufe der Wechsel von Öl auf Biogas noch auf eine Patt-Situation heraus, bilanziert Meyer: „Zwischenzeitlich zahlten wir sogar zehn bis 30 Prozent mehr gegenüber Heizöl. Dafür sparen wir aber etliche Tonnen CO2, und die CO2-Steuer betrifft uns nicht.“ Ob es sich am Ende noch rechne, zeige sich erst nach 20 Jahren, wenn die Verträge auslaufen. Außerdem mache sich Unabhängigkeit durch ein Nahwärmenetz immer bezahlt, schließt Meyer.

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Die Energieeffizienz der Biogasproduktion in Verbindung mit dem Nahwärmnetz überzeugten letztlich auch Rehm. Indes bleibe dennoch ein Problem bestehen: „Wir verbrennen Lebensmittel“, klingt der ehemalige Vieh-Landwirt Rehm durch.

Was er damit meint, verdeutlichen die drei großen rechteckigen Silo-Lager neben den Tanks. Dass die immer gefüllt sind, ist das Wichtigste für Rehm: „Es gibt nicht Schlimmeres als leere Silos: Kein Substrat kein Gas, kein Gas kein Strom, kein Strom kein Geld“, beschreibt er seinen Verdienstweg.

Auch diese Produktion braucht viel Diesel

Der Kornausfall aus der Ukraine, die Strompreiserhöhungen und die Inflation gingen auch an Rehm nicht spurlos vorüber: Für Mais habe er das Eineinhalbfache bezahlen müssen, berichtet er. Hinzu kämen auch die erhöhten Produktionskosten durch die höheren Kraftstoffpreise. Denn um seine regenerative Energie herzustellen, ist er auch auf fossile Energien angewiesen: „Im Januar 2021 war der Preis 1,20 Euro. Der teuerste Dieselpreis im Sommer 2022 lag bei 2,30 Euro. Mein Verbrauch liegt bei 33.000 bis 35.000 Liter Diesel pro Jahr für die Traktoren. Da kann man sich ausrechnen, was mich der Diesel mehr kostet.“ Unterm Strich stiegen also durch die Energiekrise seine Produktionskosten.

Das finanzielle Risiko ist ohnehin immens: 1,5 Millionen Euro investierte Rehm für die Anlage. Gebunden an einen Kredit über 20 Jahre. Aufgrund der Kosten sei es keine einfache Entscheidung. „Man muss schon wissen, worauf man sich einlässt“. Doch trotz des finanziellen Risikos und des Arbeitsaufwandes konstatiert der Landwirt, er würde sich jederzeit wieder so entscheiden.

Korrektur zu Fermenter und Mais

In einer früheren Fassung des Textes hieß es, der Fermenter sei zu 85 Prozent mit Gülle gefüllt. Die Zusammensetzung der Gärmasse im Behälter besteht jedoch zu etwa 70 Prozent aus Pflanzen und Substrat und zu 30 Prozent aus Gülle, wie Marc Rehm nach erneuter Rücksprache erklärt. Diese Gärmasse füllt 85 Prozent des Fermenter-Volumens.

Die Angabe von zwei Kilowattstunden je Hektar Mais enthielt in der früheren Fassung leider auch eine Ungenauigkeit. Die Rechnung der Zwei-Kilowattstunden-Faustformel bezieht sich auf einen Stundenwert. Bei 8760 Stunden im Jahr wären das 17.250 Kilowattstunden.

Außerdem wurden die Begriffe Kilowatt und Kilowattstunden vertauscht. Das wurde nun entsprechend korrigiert. Wir bitten diese Fehler zu entschuldigen.