Es ist ein Spiel der Elemente: Aus Wind und Wasser wird Wasserstoff, aus Biomasse wird Gas. Bisher setzen Energieversorger insbesondere auf die Erde in Form des Öls oder Gases, das sie enthält. Im Rahmen der Energiewende sollen diese fossilen und damit endlichen Energiequellen durch erneuerbare ersetzt werden. Ein wichtiger Schritt, um, wie von der Bundesregierung geplant, in Deutschland bis 2045 CO2-neutral zu sein.
Um in Singen auf die Energiewende Einfluss nehmen zu können, entstand eine Gesellschaft zwischen den Stadtwerken und der Thüga Energienetze, erläutert Axel Blüthgen, Geschäftsführer der Stadtwerke Singen, im Gespräch mit dem SÜDKURIER. Ihm zur Seite steht Markus Kittl, Mitglied der Geschäftsführung und Prokurist der Thüga Energienetze. Gemeinsam skizzieren sie, wie Investitionen für die Energiewende vor Ort aussehen könnten.

Vom Stau in die Zukunft
Der Stau, der bis vor Kurzem noch auf der B34 herrschte, könnte stellvertretend dafür stehen, dass vor dem Aufbruch in die Zukunft mit ungeplanten Hindernissen zu rechnen ist. Dort, an der Ortseinfahrt Singen, entstand das neue Schalthaus der Thüga. Die armdicken Kabel leiten bis zu 60 Megawatt. Laut Kittl wären das ungefähr zwanzig Megawatt Reserve für zukünftige Anschlüsse. Daneben wolle man auch die Digitalisierung nutzen, und startete ein digitales Kundenportal zur automatisierten Abwicklung der Einspeisung erneuerbarer Energien aus privaten Quellen ins Netz.
Interesse an Photovoltaik nimmt zu
Das Interesse an einer eigenen Photovoltaik-Anlage nehme im Raum Singen bereits zu, vermeldet Kittel. Rund 120 Anfragen erreichten ihn jede Woche. Derzeit stünden rund 1000 Photovoltaik-Anlagen im Stadtgebiet bereit, verteilt auf Industrie und private Gebäude. Seit 2010 habe sich die Anzahl angeschlossener Photovoltaik in Singen von 360 bis heute mehr als verdoppelt, so die Pressereferentin der Thüga Energienetze, Laura Ferentz, auf Anfrage.
Zudem sollen die Solarstromanlagen aus den ländlichen Räumen besser ans Stromnetz angeschlossen werden, ergänzt Blüthgen. Denn die großen Solarparks lägen nicht dort, wo sie gebraucht würden, fährt Kittl fort. Die seien dort, wo freie Fläche ist, also in ländlichen Gebieten. Der meiste Strom werde aber in der Stadt verbraucht. Und weil sowohl Kittl als auch Blüthgen davon ausgehen, dass der Strombedarf über die Jahre steigen wird, sei für sie schon jetzt jedes Solar-Panel eine Entlastung.

„Gaskrise bedeutet Energiekrise“
Energie müsse man etwa fünf Jahre im Voraus planen, um die Infrastruktur zur Verfügung zu stellen, sagt Markus Kittl. Das bedeute in der Planung immer eine Gleichung mit unvorhersehbaren Entwicklungen. „Unsere Herausforderung ist, Wärmemarkt, Industrie- und Verkehrsbedarf auf regenerative Energien umzustellen“, skizziert Kittl die Ausgangslage von Seiten der Energieversorger.
Das birgt jedoch noch ein Problem: Bisher könne der Bedarf nicht ausschließlich aus erneuerbaren Energien gedeckt werden. Axel Blüthgen ergänzt dazu: „Im Sommer können wir beispielsweise aus Photovoltaik überschüssigen Strom erzeugen. Aber solange wir ihn nicht speichern können, bleibt das Problem der Verfügbarkeit bestehen.“ Damit auch an windstillen und regnerischen Tagen Strom bereitstehe, brauche es Speicher oder schnell verfügbare Kraftwerke.
An dieser Stelle spielen Gaskraftwerke ihren Trumpf aus: Kein anderes Kraftwerk könne so schnell Strom liefern wie ein Gaskraftwerk, sagt Kittl. Das hat Konsequenzen in der Gegenwart und in der Zukunft: „Weil Strom unter anderem aus Gas gewonnen wird und sich Gas durch den gesamten Energiemarkt durchschlängelt, bedeutet die Gaskrise letztlich eben auch eine Energiekrise“, erklärt der Thüga-Prokurist.
Aus Wind und Wasser wird Wasserstoff
Diese Verbindung von Strom- und Gasnetz sei entscheidend und werde in Zukunft an Bedeutung gewinnen. Folgt man den Ausführungen beider Männer, soll Wasserstoff das Speicherproblem lösen. Das Zauberwort der Zukunft lautet Elektrolyse. Das bedeutet, aus Sonnen- und Windenergie Wasserstoff herzustellen.
Kittl erklärt den Vorgang so: „Oft steht Strom aus regenerativer Erzeugung nicht zu den Zeitpunkten zur Verfügung, zu denen er gebraucht wird. Deshalb wird er zur Erzeugung von Wasserstoff per Elektrolyseverfahren eingesetzt. Bei der Elektrolyse wird mithilfe von regenerativ erzeugtem Strom Wasser in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff umgewandelt. Der so erzeugte grüne Wasserstoff ist speicherbar, per Tankschiff transportierbar und in den Gasnetzen verteilbar.“ Somit stünde regenerative Energie dann zur Verfügung, wenn man sie brauche.
„Je mehr regenerativen Strom wir verwenden, umso wichtiger wird es, eine speicherfähige Lösung zu schaffen“, so Kittl. Deshalb setze man jetzt auf Flüssiggas, Biogas und vor allem Wasserstoff. Doch bis der einsatzbereit wäre, könnten gut und gerne noch 15 Jahre ins Land ziehen. Warum das so ist, beschreibt Thüga-Pressereferentin Ferentz: Die zentrale Herausforderung sei eine eindeutige Definition von grünem Wasserstoff. Die werde derzeit im Europaparlament in Brüssel diskutiert. Zudem bremsten aktuell noch hohe Produktionskosten. Darüber hinaus müsse auch das bundesweite Gasnetz noch entsprechend ausgebaut werden.
Weltweite Investitionen
„Wir gehen davon aus, dass es zwei Wege geben wird. Zum einen, wie an der Nord- und Ostsee, Wasserstoff über Elektrolyse an Solarkraft und Windenergie zu erzeugen. Zum zweiten der Import nach Deutschland“, prognostiziert Kittl. Weil nicht aller Wasserstoff in Deutschland hergestellt würde, könnte sich auch ein milliardenschwerer Import-Markt entwickeln. Große Ölkonzerne wie Shell und BP investierten bereits in Wasserstoff.
Derweil auf Photovoltaik zu setzen, mache insbesondere dort Sinn, wo man aus viel Sonne viel Wasserstoff bekomme wie etwa in Nordafrika, Chile, Indien, Ägypten oder auch Nordamerika, sagt Markus Kittl. Geopolitisch könnte das einiges verändern. Etwa insofern, dass durch die neuen Abhängigkeiten der globale Süden ökonomisch aufsteigen könnte.
Energetische Unabhängigkeit könnte man indes erweitern, wenn man auf regionale Ressourcen wie Holzhackschnitzelanlagen und Biogas setze, wie es etwa im Nahwärmenetz des Bioenergiedorfs Möggingen umgesetzt wird.