Der Brief an die Radolfzeller Narrenvereine und Zünfte lässt wenig Auslegungspielraum für die Fasnacht 2021: Es gibt so gut wie keine närrischen Freiheiten rund um den Schmutzige Dunschtig in Radolfzell. Bürgermeisterin Monika Laule, die auch den Corona-Krisenstab der Stadt leitet, hat den Brief unterschrieben. Darin heißt es: „Die aktuelle Situation lässt eine Fasnet, wie wir sie kennen, aufgrund der Infektionsgefahr leider nicht zu.“ Auf das sonst übliche Brauchtum müsse man in diesem Jahr „zum Schutze unserer Mitmenschen“ verzichten.
In diesem Brief schiebt die Stadt vielleicht schon geplanten närrischen Aktionen wie einem heimlichen Narrenbaumstellen einen Riegel vor. Bürgermeisterin Laule weist ausdrücklich auf die bestehenden Ausgangsbeschränkungen hin, die einen Aufenthalt im öffentlichen Raum nur aus triftigen Gründen zulassen. Fasnacht zähle nicht zu diesen Ausnahmen: „Närrisches Treiben stellt keinen triftigen Grund im Sinne dieser Vorschriften dar. Damit sind in diesem Jahr leider keine der gewohnten Fasnetsveranstaltungen zulässig.“ Im Schreiben an die Narren wird aufgezählt, was überhaupt nicht geht: Umzüge, Saalveranstaltungen, Schüler- und Kinderbefreiungen, Narrenbaumstellen, Bändelaufhängen im öffentlichen Raum sowie andere ortsübliche Formen närrischer Dekoration. Auch unter Einhaltung der Maskenpflicht und Abstandsregelungen sei diese verboten.
Falls jemand ein Schlupfloch in dieser Aufzählung zu erkennen vermag, auch diese Narren ermahnt die Stadt zum Bleibenlassen: „Die aufgeführten Beispiele dienen zur Verdeutlichung der Rechtslage. Aktivitäten, die hier nicht aufgeführt sind, sind nicht im Umkehrschluss als zulässig anzusehen.“
Die Mahnung zum Verzicht
Auch zum Rückzug in den privaten Bereich erhebt das Schreiben den mahnenden Finger: „Die aktuell geltende Corona-Verordnung verbietet neben öffentlichen Veranstaltungen auch solche im privaten Bereich, wenn diese mit mehr als einer Person aus einem anderen Haushalt stattfinden.“ Bürgermeisterin Laule wendet sich deshalb an die Präsidenten und Vorsitzenden der Narrenvereine: „Es wäre uns daher ein großes Anliegen, wenn Sie Ihre Mitglieder bitten würden, auf private Feste und Ansammlungen zu verzichten.“ Die Bitte wird gleichzeitig mit einer Mahnung versehen: „Denken Sie bitte aber auch daran, dass ein Nichtbeachten auch nur weniger Mitglieder das Ansehen Ihres Vereins nachhaltig schädigen kann.“ Nach der Mahnung folgt die Warnung: „Die Polizei wird die traditionellen närrischen Tage besonders im Blick haben und bei Verstößen gegen die geltenden Vorschriften konsequent einschreiten müssen.“
Die Angesprochenen haben diesen Brief erst einmal verdauen müssen. Die Präsidentin der Froschenzunft, Annette Wrzeszcz, und der Präsident der Narrizella Ratoldi, Martin Schäuble, haben in einer Videokonferenz mit dieser Zeitung erläutert, dass nach diesem Schreiben alle coronakonform angedachten Aktionen aus ihren Reihen abgesagt worden sind. „Ich sehe keine Möglichkeit, dass wir irgendetwas machen können“, sagt Froschenpräsidentin Wrzeszcz. Martin Schäuble räumt für die Narrizella ein: „Wir hatten einiges vor, am Donnerstag war ein Narrenbaumstellen in klein geplant, das geht nun nicht mehr.“ Die Narren verzichten nun auch auf die Machtübernahme im Rathaus. Schäuble ist froh, dass wenigstens der Narrenwunschbaum auf dem Marktplatz steht.
Lasst das Häs im Schrank
Die Konsequenz aus dem Brief der Stadtverwaltung an die Zünfte geht noch weiter. Sowohl Froschenpräsidentin Wrzeszcz als auch Narrizella-Präsident Schäuble geben eine eindeutige Empfehlung an ihre Mitglieder: „Lasst das Häs im Schrank hängen!“ Zu schnell käme der Verdacht auf, wenn zufällig zwei Hänsele, zwei Holzhauer und zwei Gardisten auf dem Marktplatz stehen, „das sei ein kleines Narrentreffen“, sagt Schäuble. Hut und Halstuch seien ok, glaubt Schäuble: „Das ziehe ich auch an.“ Annette Wrzeszcz wie Martin Schäuble erklären für ihre Zunft: „Wir wollen von offizieller Seite das Signal setzen, dass wir uns unserer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst sind.“ Das Ziel sei, im nächsten Jahr wieder „richtig Fasnacht“ zu feiern.
Das Schreiben der Stadt hat bei den Narren nicht nur Verständnis ausgelöst. „Es kam reichlich spät, erst eine Woche bevor die Fasnacht richtig los geht“, sagt Martin Schäuble. Annette Wrzeszcz nimmt zur Kenntnis, dass die Stadt davon ausgehe, „dass wir das Schreiben an die Mitglieder weitergeben“. Gestört hat beide das Verbot, die Stadt im öffentlichen Raum zu schmücken. „Wahlplakate hängen ja auch“, sagt Schäuble.
Die Narren ziehen sich zurück in den privaten Raum. Online im Internet haben sie auf ihren Kanälen einiges geplant. Fürs richtige Leben hat die Froschenzunft den Kindergärten eine Zunftfahne übergeben, St. Hedwig bekommt sogar Leih-Häser für die interne Fasnacht, die Narrizella hat für die Schulen ein Care-Paket gerichtet.
Bürgermeisterin Monika Laule empfiehlt Zurückhaltung
Den Brief an die Radolfzeller Narrenzünfte hat die zuständige Bürgermeisterin Monika Laule als Leiterin des städtischen Corona-Krisenstabs verfasst. Wir haben sie zum Thema befragt:
Frau Laule, warum darf keine närrische Dekoration im öffentlichen Raum angebracht werden, wo verstößt das gegen Corona-Regeln oder wo birgt eine Dekoration eine Infektionsgefahr?
Die Erfahrung zeigt, dass Fasnachtsdekoration im öffentlichen Raum auch zu Ansammlungen und zum Feiern animiert. In diesem Jahr ist jedoch Zurückhaltung gefragt. Die Dekoration von Privathäusern und -gärten oder in Wohnungen ist selbstredend erlaubt.
Wird schon ein maskiertes Hänsele auf der Straße als verbotener Umzug gesehen?
Das Tragen eines Narrenhäses ist nicht untersagt. Es gilt im öffentlichen Raum jedoch die Kontaktbeschränkung auf einen Haushalt zuzüglich maximal einer Person. Eine Interaktion verschiedener kontaktbeschränkter Gruppen zu einem verbindenden Zweck (Fasnet feiern) ist allerdings unzulässig.
Sie schreiben, dass das Fehlverhalten auch nur weniger Mitglieder einer Zunft das Ansehen des ganzen Vereins schädigen könne – wollen Sie etwa die Narrizella oder die Froschen in Vereinshaft für ein regelkonformes Verhalten aller Mitglieder nehmen?
Natürlich nicht. Es ist aber schlicht so, dass das Tragen eines Häses einer Zunftfigur in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit auf die Zünfte zurückführt. Es handelt sich um einen bloßen Denkanstoß und genau so ist es auch formuliert, verbunden mit der Bitte, die Vereinsmitglieder zu sensibilisieren.
Wenn es schon keine Fasnacht geben darf, warum haben die Rathaus-Mitarbeiter dann am Schmotzigen Dunschtig 2021 frei?
Diese Frage wurde stadtintern kontrovers diskutiert. Da die Mitarbeitenden der Stadtverwaltung jedoch die Möglichkeit haben sollen, im Rahmen der Kontaktbeschränkung und Ausgangssperren „Fasnet dehom“ zu begehen, wurde an der internen Dienstvereinbarung der Dienstbefreiung am Schmotzigen Dunschtig festgehalten.
Fragen: Georg Becker