Es wirkt wie der Blick zurück in eine andere Welt. Als vor fünf Jahren der damals frisch gewählte Radolfzeller Gemeinderat zu einer seiner ersten Sitzungen in neuer Konstellation zusammenkam, ging es um den Klimanotstand. Oder besser gesagt, ob man den Notstand Notstand nennen kann oder ob das doch irgendwie zu negativ ist. Man einigte sich damals auf die Formulierung „Klimakrise Radolfzell aktiv“. Die Fraktion der Freien Wähler diskutierte kontrovers mit.
Während Fraktionssprecher Dietmar Baumgartner kein Problem mit dem Wort Notstand hatte, wehrte sich Fraktionskollege Martin Aichem grundsätzlich gegen den schwarzen Peter, seine Generation sei irgendwie für die Situation verantwortlich. „Wir sind ein Verein und keine Partei, wir sind nur der Sache verpflichtet“, erklärt Baumgartner heute im Rückblick. Einig müsse man sich bei den Freien Wählern nicht sein.
Wunsch nach MVZ sorgt für Konflikte
Fünf Jahre später haben viele weitere Krisen die Semantik-Diskussion von 2019 überschattet. Die Corona-Pandemie, klamme Haushaltskassen und nicht zuletzt die Schließung des Radolfzeller Krankenhauses. Hier positionierten sich die Freien Wähler ganz klar und innerhalb der Fraktion auch einig. Sie wollten eine Anschluss-Versorgung in Form eines Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) in die Wege leiten. Das sahen sie auch als klaren Wunsch der Bürgerinnen und Bürger. Für diesen Plan riskierten sie auch die eigentlich beschworene Einigkeit im Gemeinderat zu dem Thema. Die Freien Wähler scheiterten mit ihrem Antrag.
„Schade, dass dieses Vorhaben mit dem Wahlkampf vermischt wurde“, sagt Baumgartner mit etwas Abstand. Anfangs seien alle Stadträte mit im Boot gewesen, sich um ein MVZ zu bemühen, doch danach hätten sich die Positionen verändert. Man habe durch die Diskussionen sehr viel Zeit verloren.
Wie es aber Baumgartners Naturell zu sein scheint, konzentriert er sich auf das Positive: „Viele unserer Ideen sind auch übernommen worden.“ Auch wenn ein MVZ mittlerweile in unerreichbare Nähe gerückt ist, wollen die Freien Wähler die medizinische Versorgung nicht aus den Augen verlieren. Eine Ambulanz, die auch am Wochenende geöffnet hat, soll im Notfall für die Radolfzeller da sein.
Respektvolle Zusammenarbeit mit dem neuen OB
Die Freien Wähler Radolfzell haben in den vergangene Jahren bewegte Zeiten erlebt. Der Radolfzeller Ex-Oberbürgermeister Martin Staab ist Mitglied der Freien Wähler. Er wurde 2021 krachend abgewählt. Für Fraktionschef Baumgartner sei das Thema allerdings abgehakt, wie er sagt. „Wir haben immer respektvoll mit dem neuen OB zusammengearbeitet“, so das Statement zum Verhältnis zu OB Simon Gröger. Baumgartner möchte lieber die Zukunft im Blick haben, nicht die Vergangenheit.
Vielmehr möchte Baumgartner den Blick auf die Schwerpunkte seiner Fraktion lenken. Und dieser lag in weiten Teilen bei den Ortsteilen. „In Stahringen haben wir uns für das Baugebiet Freiwiesle stark gemacht“, beginnt Baumgartner die Aufzählung. In Güttingen hätten sie mit anderen zusammen die Sanierung der Gemeindescheune unterstützt, ebenso den Bau der Markolfhalle in Markelfingen. Für die Sanierung der Litzelhardthalle hätten die Freien Wähler ebenso abgestimmt, auch wenn das Projekt aktuell wegen fehlender Fördergelder stagniere. In Möggingen würden die Freien Wähler gute Kontakte zur Nachbarschaftshilfe pflegen und für Böhringen sei die Dorfkernsanierung auch mit den Stimmen der Freien Wähler auf den Weg gebracht worden.
Kita-Notstand und Seetorquerung
In der Kernstadt hätten die Freien Wähler das Offenburger Modell in Kindertageseinrichtungen unterstützt. Dies war nötig, weil es in Radolfzeller Kitas massive Personalprobleme gab. Mit dem Angebot einer externen Betreuung konnten die Betreuungszeiten verlängert werden. Die Freien Wähler hatten damals zusammen mit der FDP eine Sondersitzung gefordert, um das Thema anzugehen.
Uneinig waren sich die Freien Wähler bei der Seetorquerung. Dietmar Baumgartner sagt dazu klar: „Ich war immer ein Gegner des Projektes, als einziger bei den Freien Wählern.“ Dass die Seetorquerung Anfang 2020 dann endgültig beerdigt wurde, sieht er als Erfolg an. „Wir hätten heute gar nicht das Geld dafür“, so Baumgartner.
Als Niederlage empfindet Baumgartner die Sperrung des Markelfinger Winkels. Dieser wurde September 2023 unter Naturschutz gestellt und die Freizeitnutzung wurde größtenteils eingeschränkt oder ganz verboten. Hier hätte Baumgartner gerne den Beschluss aus dem Ortschaftsrat unterstützt, doch lag die Entscheidung in diesem Fall nicht bei der Kommune, sondern beim Regierungspräsidium Freiburg.
Auch der Schutz des Streuhaus sieht Baumgartner nicht zwingend als Erfolg. Hier wollte das Bora-Hotel eine Erweiterung realisieren. Doch dann wurde das Grundstück unter Naturschutz gestellt und jegliche Bautätigkeit untersagt. Das Bora-Hotel hat als Alternative eine Fläche im Herzen angeboten bekommen. Die Planungen im Streuhau seien weit fortgeschritten gewesen, erinnert sich Baumgartner, und nun stagniere das Projekt wieder. „Wir hätten jetzt ein schönes Naherholungsgebiet, aber jetzt passiert da wieder nichts.“
Sofort informiert über die Kommunalwahl: Mit der SÜDKURIER Online-App verpassen Sie keine Berichte zur Kommunalwahl. Außerdem informieren wir Sie per Push-Nachricht auf Ihrem Smartphone über die Wahlergebnisse Ihrer Gemeinde. Um Push-Nachrichten zu empfangen, melden Sie sich einfach in der App an, wählen Ihren Heimatort und aktivieren in Ihren Profileinstellungen das Empfangen von Push-Nachrichten für Ihren Heimatort. Jetzt herunterladen!