Vor zwei Jahren war es ein Versuch, den Standort Radolfzell zu sichern. Jetzt wird die Betriebsvereinbarung beim Automobilzulieferer BCS Automotive Interface Solution ein Fall für das Arbeitsgericht. Beide Vertragsparteien, die IG Metall und der Arbeitgeberverband Südwestmetall mit BCS selbst, haben den Zusatztarifvertrag gekündigt. Da BCS angekündigt hat, ihr Werk in Radolfzell bis Ende 2024 vollständig schließen zu wollen, ist man sich in diesem Punkt noch einig, dass man den Tarifvertrag nicht mehr benötigt.
Uneinig ist man sich allerdings bei den Rahmenbedingungen der Kündigung und den daraus resultierenden Konsequenzen. Im Vertrag geregelt war nicht nur eine Standortsicherung bis Ende 2024, sondern auch eine Beschäftigungsgarantie für mindestens 450 Mitarbeiter und 30 Auszubildende. Auch hatte sich der chinesische Mutterkonzern Luxshare verpflichtet, mindestens 12 Millionen Euro in den Standort zu investieren.
Mitarbeiter haben ihrerseits auf Lohn verzichtet
Gleichzeitig haben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter teilweise auf ihr Gehalt verzichtet, auch wurden Stellen am Standort abgebaut. Die Lohnminderung soll pro Mitarbeiter im zweistelligen Bereich gelegen haben. Damit sollte die schwierige wirtschaftliche Lage des Automobilzulieferers überwunden werden und die mehr als 600 Arbeitsplätze in Radolfzell erhalten bleiben.
Für die IG Metall als Arbeitnehmervertretung sei mit der angekündigten Schließung des Werks die Vertragsgrundlage hinfällig geworden, wie Helene Sommer, erste Bevollmächtigte der IG Metall in Singen erklärt. Die Gewerkschaft habe von seinem Sonderkündigungsrecht Gebrauch gemacht, so auch der Arbeitgebervertreter Südwestmetall. Aber aus unterschiedlichen Gründen.

Die Kündigung zuerst ausgesprochen hat die IG Metall. Aus ihrer Sicht sind die Investitionen nicht in dem Rahmen getätigt worden, wie sie im Tarifvertrag festgesetzt worden waren. Auch sei vereinbart worden, dass die getätigten Investitionen bis zum Ende der Vertragslaufzeit 2024 nicht verlagert werden dürfen. Heißt: Die neuen Maschinen oder andere Betriebsmittel, die für Radolfzell angeschafft wurden, müssten auch bis Ende 2024 in Radolfzell bleiben. Hier sieht die IG Metall den Vertragsbruch. Denn da bis Ende 2024 das Werk in Radolfzell komplett abgewickelt werden soll, müsse man davon ausgehen, dass auch die Investitionen vorher bereits auf andere Standorte verlagert werden sollen, so Helene Sommer.
BCS sieht die zugesagten Investitionen als erfüllt an
Der Automobilzulieferer BCS und der Arbeitgeberverband Südwestmetall hingegen sehen die vertraglich vereinbarten Investitionen als erfüllt an. Sie haben aus einem anderen Grund gekündigt. Volker Steinmaier, Sprecher bei Südwestmetall, bestätigt, dass der Vertrag wegen „gravierenden Änderungen der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens“ gekündigt worden sei. Auch BCS-Sprecherin Mandy Schuster gibt die veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des Unternehmens als Grund für die Kündigung an.
Je nach dem, welche Kündigung als gültig erachtet wird, hat das für die BCS-Belegschaft unterschiedliche Konsequenzen. Erst einmal gelten unterschiedliche Fristen, ab wann die Mitarbeiter wieder ihren vollen Lohn bekommen, auf den sie wegen des Vertrages zu Gunsten des Hauses verzichtet hatten. Auf Seiten der IG Metall würde die Kündigung ab Ende März greifen, auf Seite von Südwestmetall wäre es erst ab Ende Juni.
Auch sieht das Sonderkündigungsrecht der IG Metall vor, dass BCS die geleisteten Verzichtszahlungen der vergangenen zwölf Monate an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zurückzahlen muss. Das bedeutet, dass die Belegschaft den Lohn, auf das sie ein Jahr zur Rettung des Unternehmens verzichtet haben, wieder zurückbekommt. Das Sonderkündigungsrecht von Südwestmetall sieht keine Rückzahlungen vor.
Standort wird mit oder ohne Tarifvertrag abgewickelt
An der Abwickelung des Werks in Radolfzell ändert dieser Tarifstreit wenig. Wie BCS-Sprecherin Mandy Schuster sagt, bleibe die Absicht, den Standort zu schließen, unverändert. Der Ergänzungstarifvertrag habe während seiner Laufzeit eine Beschäftigungssicherung vorgesehen. Bei ausreichenden Geldeingängen seien daher betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen gewesen und damit auch eigentlich auch eine Standortschließung. Jedoch würde auch der Vertrag nichts an der Schließung ändern, wenn eine extreme finanzielle Schieflage das Unternehmen zu diesem Schritt zwingen würde.
Für die IG Metall sei die Beschäftigungssicherung bis Ende 2024 kein Grund gewesen, den Vertrag noch aufrecht zu erhalten. „Da die Schließung nicht mehr abzuwenden ist, kämpfen wir nun für die Rechte der Arbeitnehmer“, sagt Helene Sommer. Und: „Wir rechnen damit, dass das vor dem Arbeitsgericht landet“, so die erste Bevollmächtigte.
Neues BCS-Unternehmen in der Singener Innenstadt
Für Irritationen sorgte eine weitere Entwicklung beim Automobilzulieferer BCS. Obwohl der Standort in Radolfzell geschlossen werden soll, hat das Unternehmen einen neuen Standort in Singen gegründet. Sprecherin Mandy Schuster bestätigt die Neugründung der BCS Business Management Services GmbH (BCS BMS). Auf die Frage, was an diesem Standort passieren soll, ist die Antwort von BCS etwas kryptisch: „BCS kann eine Zukunft in Europa haben, wenn es gelingt die BCS-Gruppe neu und entsprechend anders aufzustellen. BCS BMS soll dabei unterstützen, diese Veränderung voranzutreiben.“

In den angemieteten Büroräumen in der Singener Innenstadt sei Platz für 30 Arbeitsplätze, wie die BCS-Sprecherin weiter erklärt. Aufgabe der BCS Business Management Services GmbH sei es, sich um Themen zu kümmern, welche die BCS-Gruppe sowohl in der Region Europa als auch global beträfen. Diese Themen seien nicht mehr so stark an einen Fertigungsstandort gebunden. Eine BCS-Produktion werde es weder in Singen noch an einem anderen Standort in Deutschland geben, so Mandy Schuster.
Das Bürokonzept sei moderner und habe den Fokus auf hybrides Arbeiten. Aktuell habe die BCS BMS zwei Geschäftsführer und einen Arbeitnehmer. Die Rekrutierung neuer Mitarbeiter würde demnächst beginnen, dabei könnten auch neue Mitarbeiter von außen ins BCS-Team kommen, so die Konzern-Sprecherin. „Alles Weitere obliegt der Geschäftshoheit BCS BMS GmbH“, so Schuster.