Zwischen Recht und Gerechtigkeit liegen oft Welten. Ist es gerecht, dass ein kinderloses Paar, welches bereits einen Zweitwohnsitz in Konstanz besitzt, sich einen Drittwohnsitz in der Radolfzeller Villa Sernatinger zulegt? Und eine Radolfzeller Familie mit zwei kleinen Kindern den Zuschlag für das Haus nicht bekommt, weil das erste Paar mehr Geld geboten hat?

Mit dieser Frage beschäftigte sich auch der Ausschuss für Verwaltung und Finanzen. Für die sanierungsbedürftige Villa Sernatinger direkt am Bodensee gibt es drei Gebote. Laut Ausschreibung müsste der Höchstbietende den Zuschlag bekommen. Darauf hatte sich der Gemeinderat Ende 2024 geeinigt. Nur gefielen den Ausschuss-Mitgliedern die Rahmenbedingungen des Höchstbietenden nicht.

Höchstgebot von 48.000 Euro pro Jahr

Der Bewerber mit dem lukrativsten Angebot hatte als Jahrespacht eine Summe von 48.000 Euro angegeben. Außerdem sei er bereits sehr engagiert in etwaigen Sanierungsplänen für das in die Jahre gekommene Gebäude, wie Emanuel Flierl, Leiter des Fachbereichs Wirtschaftsförderung und Liegenschaften, berichtete. Die finanziellen Mittel für eine umfassende und sorgfältige Sanierung seien da, so Flierl. Ebenso sei bereits ein Kontakt zu einem Radolfzeller Architekten aufgenommen worden, der der Villa Sernatinger einen neuen Glanz verleihen soll.

Was den Stadträten an dem solventen Paar aus Aachen, welches sich hinter dem Bewerber Nummer 1 verbirgt, nicht zu passen schien, war die Tatsache, dass diese bereits einen Zweitwohnsitz in Konstanz besitzen. Das Haus mit direktem Seezugang auf der Mettnau wäre also der Drittwohnsitz. Ebenfalls thematisiert wurde die Tatsache, dass das Paar kinderlos sei und vorhabe, bei einem Ableben das Haus in die eigene Stiftung zu übergeben. Denn die Erbpacht läuft über 30 Jahre. Das sahen die Stadträte kritisch und forderten bei einer Vertragserarbeitung eine Lösung für diesen Fall.

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Bewerber Nummer 2 ist ein Paar aus dem bayerischen Wald, welches dort ein Hotel besitzt. Diese würden die Villa Sernatinger gerne als Alterswohnsitz erwerben und könnten Erfahrungen im Bereich Sanierung denkmalgeschützter Gebäude aufweisen. Das Paar hat als Jahrespacht 24.100 Euro angeboten.

Bewerber Nummer 3 ist eine Familie, die seit einigen Jahren in Radolfzell wohnt, zwei kleine Kinder hat und hier offenbar gerne Wurzeln schlagen möchte. Sie haben als Jahrespacht eine Summe von 24.000 Euro angeboten.

Familie mit Kindern ist klarer Favorit – aber nur auf Platz 3

Für die Ausschussmitglieder ist die Familie der klare Favorit. „Mit einer Familie wäre das Haus wieder mit Leben gefüllt“, argumentierte Daniela Löchle (FGL). Ähnlich sah es auch ihr Fraktionskollege Siegfried Lehmann, der die emotionalen Befindlichkeiten der Einwohner ins Spiel brachte: „Die Radolfzeller hätten es sicher gerne, dass da auch Menschen wohnen.“

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Die Frage wurde von Gabriel Deufel (Freie Wähler) aufgeworfen, ob ein Besitzer, der täglich vor Ort sei, besser auf die Immobilien achten werde als jemand, der sich nicht regelmäßig darin aufhalte. Eine zu teure Sanierung fürchtete hingegen Christof Stadler (CDU). Denn in der Ausschreibung für die Villa Sernatinger wurde geregelt, dass nach Ablauf der Erbpacht von 30 Jahren das Gebäude noch einmal im Wert geschätzt werde und die Stadt dem Pächter 50 Prozent des zu diesem Zeitpunkt gegenwärtigen Wertes zurückerstatten muss. „Ich will dann nicht, dass wir goldene Wasserhähne zurückbezahlen müssen“, so Stadler.

Bernhard Diehl (CDU-Fraktionssprecher) sah in dem ersten Bewerber nicht die schlechteste Lösung. Er sei bereit, viel Geld in die Sanierung zu investieren. Geld, das die Stadt nicht habe, um das historische Gebäude zu erhalten. Und es sei auch in seinem Interesse, den Wert der Immobilie zu erhalten. „Eine Familie mit Kindern kann ein Haus auch abwohnen“, so Diehl. Jürgen Keck (FDP) fragte, ob es richtig sei, einem Pächter vorschreiben zu wollen, wie viel Luxus er in sein Haus einbauen wolle.

Ausschreibung müsste wiederholt werden

Nun standen die Stadträte vor der Wahl, ob sie die komplette Ausschreibung zurückziehen und mit neuen Kriterien erneut auf den Weg bringen, wenn sie mit der Einrichtung eines Nebenwohnsitzes nicht einverstanden seien. Denn eigentlich hatte sich der Gemeinderat auf eine Vergabe der Immobilie nach Höchstgebot verpflichtet, woran Flier erinnerte. Wenn ein Vertrag mit dem Höchstbieter aus anderen Gründen nicht zustande kommen würde, bekäme Bieter Nummer 2 den Zuschlag. „Wir haben Zweitwohnsitze in der Ausschreibung bewusst zugelassen, um einen größeren Bewerberkreis anzusprechen“, so der Wirtschaftsförderer.

Auch für die Sanierung habe man zwar Vorgaben gemacht, aber nicht zu viele. Die Ausschreibung habe attraktiv sein und nicht mit einem großen Regelwerk erschlagen sollen. Und schon so sei die Immobilie eine finanzielle Herausforderung. Da sie unter Denkmalschutz stehe, könne sie nicht so leicht energetisch saniert werden. „Sogar der Putz ist denkmalgeschützt“, sagte Emanuel Flierl.

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Letztlich stimmte der Ausschuss für die Vergabe an den höchstbietenden Bewerber – mit sieben Stimmen dafür, zwei Enthaltungen und einer Gegenstimme. Der Gemeinderat muss dieser Empfehlung allerdings auch noch zustimmen. Bürgermeisterin Monika Laule mahnte auch, die Ausschreibung aufzuheben und zu wiederholen: „Das lief bisher noch nie gut für uns.“