Wie kann die medizinische Versorgung in Radolfzell in Zukunft aussehen? Und was passiert mit dem Krankenhaus nach seiner Schließung? Um diese Fragen ging es jüngst in einer Informationsveranstaltung, zu der die Freien Wähler unter Leitung ihres Vorsitzenden Peter Blum in das Milchwerk eingeladen hatten.

Bei der Auswahl der beiden Referenten bewies die Fraktion ein gutes Händchen. Die Beiträge von Frank Markus Pusel und Johannes Moser waren für die rund 40 anwesenden Bürger nicht nur informativ, sondern boten auch eine fundierte Grundlage für die anschließende Diskussion.

Kein Wettbewerb zu niedergelassenen Ärzten

„Die Stadt Radolfzell und die Höri brauchen eine sozial- und wohnungsnahe Grundversorgung. Ob dieser Anspruch durch ein medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) erfüllt werden kann, darum geht es am heutigen Abend“, erklärte Peter Blum. Dass es sich auszahlt, hier auf das Fachwissen von Experten zu bauen, dafür war der Vortrag von Frank Markus Pusel der beste Beweis. Der Gesundheitsökonom hat die Gründung von rund 100 MVZ beratend begleitet. Seit 2022 ist Pusel Geschäftsführer des MVZ in Bad Säckingen.

„Ein MVZ ist genauso Teil der ambulanten medizinischen Versorgung wie niedergelassenen Ärzte“, erläuterte Pusel. Die Anzahl der Arztsitze in einer Region lege die kassenärztliche Vereinigung fest, unabhängig davon, ob die Sitze über niedergelassene Ärzte oder angestellte Ärzte eines MVZ belegt werden. Entgegen anderslautender Meinung entstehe durch ein MVZ kein Wettbewerb zu niedergelassenen Ärzten. Vielmehr biete es eine alternative Versorgungstruktur, die viele Vorteile und nur wenige Nachteile mit sich bringe.

Im Rahmen der Informationsveranstaltung konnten sich die Bürger mithilfe der beiden Referenten Frank Markus Pusel (Zweiter von links) ...
Im Rahmen der Informationsveranstaltung konnten sich die Bürger mithilfe der beiden Referenten Frank Markus Pusel (Zweiter von links) und Johannes Moser (Zweiter von rechts) zweier Experten über die Struktur und Vorteile medizinischer Versorgungszentren (MVZ) informieren. Dabei waren Martin Staab (links) und Peter Blum, Vorsitzender der Freien Wähler (rechts). | Bild: Petra Reichle

Während die Gründung eines MVZ „mittelschwierig“ sei, so Pusel, sei der Erhalt wesentlich einfacher. Ein Umbau eines Krankenhauses zu einem MVZ brauche Geduld und die richtigen Leute, sei aber ein gangbarer Weg. Vor allem, wenn wie in Radolfzell eine Unterversorgung vorliege.

Engen dient als positives Beispiel

Aus eigener Erfahrung konnte der zweite Referent des Abends, Engens Bürgermeister Johannes Moser, berichten. „Engen ist in Bezug auf die Entwicklung der medizinischen Versorgung Radolfzell um einige Jahre voraus“, erklärte Moser, der in seinem 27. Dienstjahr ist. In Engen sei es gelungen, trotz Schließung des Krankenhauses dessen Räumlichkeiten zu erhalten und mit der Gründung eines MVZ am 1. April 2018 ein breites Angebot aufzubauen.

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Im MVZ Engen befinden sich aktuell Praxen für Kinder- und Jugendmedizin und Chirurgie, aber auch niedergelassene Ärzte, eine Kurzzeitpflege sowie ein Pflegeheim.

Arztpraxen sollen in der Stadt gehalten werden

„Unser Anliegen ist es, das Thema medizinische Versorgung in Radolfzell aktiv vorwärtszubringen und nicht auf einen Neubau zu warten“, erklärte Dietmar Baumgärtner, der für die Freien Wähler im Radolfzeller Gemeinderat sitzt. Leider seien die Freien Wähler mit ihrem Antrag, einen Experten hinzuzuziehen, im Gemeinderat gescheitert. Dringend sicherzustellen sei es, die beiden in der Klinik beheimateten Arztpraxen in der Stadt zu halten.

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Wie sehr das Thema die Bürgerinnen und Bürger bewegt, davon zeugte die anschließende Diskussion. Sie äußerten die Sorge um ihre medizinische Versorgung nach der Schließung des Krankenhauses, die künftigen weiteren Wege zur Notfallversorgung und Erfahrungen mit langen Wartezeiten in den Kliniken im Umkreis. Aber auch eine fehlende Transparenz bezüglich der Besitzverhältnisse des Krankenhauses wurde bemängelt.

Mitarbeiterin schildert: „Die Hütte brennt“

Eine Frau, die seit Jahrzehnten im Krankenhaus tätig ist, brachte es auf den Punkt: „Die Hütte brennt“. Auch die Tatsache, dass in unmittelbarer Nachbarschaft des Krankenhauses ein Pflegeheim gebaut wird, beschäftigt die Bürger. „Die Synergien zwischen Pflegeheim und dem benachbarten Krankenhaus sind wichtig. Es wäre Schwachsinn, diese aufzugeben und das Krankenhaus nicht weiterhin für die medizinische Versorgung zu nutzen“.

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Für Radolfzell hat Frank Markus Pusel eine Empfehlung: „Meine Empfehlung wäre, zunächst den Zweck und möglichen Träger eines MVZ festzulegen. Schon mit zwei Ärzten kann ein MVZ gegründet werden und danach mit weiteren Ärzten und, falls gewünscht, mit ergänzendem Angebot wie zum Beispiel im Pflegebereich erweitert werden.“