Anfang Februar kam der Schock für viele Radolfzeller: Landrat Zeno Danner und Bernd Sieber, Geschäftsführer des Gesundheitsverbundes Landkreis Konstanz (GLKN), verkündeten die Schließung des Radolfzeller Krankenhauses zum 30. Juni.
Besonders geschockt waren auch fünf Ärzte: Die Gynäkologinnen Julia Minner, Simone Baudot und Annette Felbrich sowie die Hals-Nasen-Ohren-Ärzte Markus Steinwaller und John Thiericke. Sie betreiben ihre beiden Praxen in den Räumlichkeiten des Klinikums zur Miete beim GLKN. Wie geht es für sie nun weiter?
Droht eine außerordentliche Kündigung?
„Wir wissen es nicht genau. Das sorgt für viel Unsicherheit bei uns“, antwortet Julia Minner auf diese Frage. Sie und ihre beiden Kolleginnen hätten für die Gemeinschaftspraxis einen Mietvertrag mit dem GLKN mit einer zwölfmonatigen Kündigungsfrist zum Jahresende. Demnach dürften sie bis mindestens Ende 2024 noch bleiben.

Aber, fürchtet sie: „Wenn nach der Schließung die Wartungsarbeiten im Gebäude eingestellt werden und die Schließung des Hauses ohnehin schon mit der schlechten Elektrik und dem Brandschutz begründet wird, weiß ich nicht, ob wir nach Juni überhaupt in dem Gebäude bleiben können.“
Vor der gleichen Situation stehen John Thiericke und Markus Steinwaller mit ihrer HNO-Praxis. Sie haben einen Mietvertrag mit der gleichen Kündigungsfrist, sagen sie. „Wir sind aber keine Juristen. Wir wissen nicht, ob der GLKN uns außerordentlich kurzfristig kündigen darf wegen der Schließung der Klinik“, erklärt Steinwaller. Sie hätten aber die Zusage des GLKN erhalten, dass der Mietvertrag ordentlich gekündigt und der Praxis-Betrieb, sofern dieser technisch sichergestellt werden kann, bis Ende 2024 fortgesetzt werden soll, sagt der HNO-Arzt.
Auch Andrea Jagode, Pressesprecherin des GLKN, versichert auf SÜDKURIER-Nachfrage: „Der GLKN wird die Mietverträge nicht vorzeitig außerordentlich zu kündigen. Wir haben den Praxen erklärt und zugesagt, dass wir die Beendigung des Klinikbetriebs nicht zum Anlass einer außerordentlichen Kündigung nehmen werden. Die bestehenden Verträge werden unsererseits erfüllt.“ Die Ärzte könnten zumindest bis Ende 2024 im Klinikum verbleiben, wenn sie das wünschen.
Mitarbeiter reagieren schockiert
Doch unabhängig davon, wie lange sie noch bleiben können – zumindest für die beiden HNO-Ärzte kommt die Nachricht zur Unzeit, da Material- und Personalkosten wegen der Inflation gestiegen seien und die Einnahmen durch Zahlungen der gesetzlichen Krankenkassen an die Kassenärztliche Vereinigung, die die wiederum an die Ärzte verteilt, zurückgegangen seien, erklären sie. Finanzielle Rücklagen hätten sie keine, die Lage sei nicht einfach.
Entsprechend angespannt ist die Stimmung in den beiden Praxen. „Unsere Mitarbeiter waren schockiert, es gibt eine gewisse Verunsicherung“, berichtet sein Kollege John Thiericke. Kündigen wolle aber niemand. Auch Julia Minner sagt: „Die Unklarheit ist natürlich belastend für alle. Aber wir sind vor allem enttäuscht vom GLKN, weil uns gegenüber im Herbst noch ganz anders kommuniziert wurde, dass das Krankenhaus länger betrieben wird.“
Wandern die Ärzte nun ab?
Bleiben die Praxen also überhaupt über 2024 hinaus in Radolfzell? Ein Abwandern könnte sich die Stadt angesichts des Ärztemangels kaum erlauben. Julia Minner erklärt: „Viele Praxen im Kreis haben schon jetzt einen Aufnahmestopp für neue Patienten. Niemand hat ein Interesse daran, dass wir uns verkleinern müssen. Das wäre sehr bitter für alle Beteiligten.“
Minners Wunsch und der ihrer beiden Kolleginnen sei es, in Radolfzell bleiben zu können und bereits vor Ende 2024 etwas zu finden – auch aus privaten Gründen. „Aber alles steht und fällt damit, geeignete Räume zu finden“, sagt sie. Die Praxis brauche mindestens 200 Quadratmeter Fläche und müsse barrierefrei sein. Auch ein Raum, um weiterhin ambulante Operationen durchführen zu können, sei notwendig – und finanziell alleine nicht zu stemmen. „Ich hoffe da auf die Stadt“, sagt Minner. Erste Gespräche seien bereits vereinbart.
Ärzte pochen auf finanzielle Hilfe durch die Stadt
In die gleiche Kerbe schlagen die HNO-Ärzte. Auch sie erwarten ein finanzielles Entgegenkommen der Stadt, da ihre Praxis keinerlei Rücklagen habe und Steinwaller noch den Kredit von der Investition in die jetzige Praxis abzahlen müsse. „Eine außerordentliche Kündigung wäre existenziell bedrohend für uns. Und ohne Unterstützung durch die Stadt fehlt es uns an Liquidität, eine neue Praxis zu eröffnen“, sagt Steinwaller. Denn die koste mindestens 170.000 Euro.
Er fordert daher Hilfe bei der Suche sowie ein finanzielles Entgegenkommen. Angesichts der 75.000 Patienten in ihrer Kartei sei das schließlich eine „langfristige Investition“ der Stadt. „Notfalls wandern wir in eine andere Gemeinde am See oder in die Schweiz ab. Wir werden unsere Patienten dort versorgen, wo man uns gerne hat und unterstützt“, macht Steinwaller seine Forderung deutlich. Nach der Fasnacht stehe ein Gespräch mit Oberbürgermeister Simon Gröger an.
Gespräch mit OB Gröger nach Fasnacht
Dessen Referatsleiterin Julia Theile bestätigt: „Wir stehen bereits in Kontakt mit den Ärzten. Sollte es einen Bedarf an Räumlichkeiten geben, unterstützen wir selbstverständlich bei der Suche nach Alternativen.“
Gynäkologin Julia Minner bleibt in jedem Fall optimistisch: „Ich bin mir sicher, dass wir etwas Neues finden werden – und zwar in Radolfzell.“ Zudem sehe sie die Schließung auch als Chance. „Vielleicht finden wir einen tollen Ort, den wir dann selbst gestalten können, und wären dann unabhängig vom GLKN“, sagt sie.