Rund drei Tage ist es her, dass Radolfzeller Helfer 43 ukrainische Flüchtlinge mit Reisebussen aus Polen an den Bodensee gebracht haben, wo sie nun in privaten Haushalten und im Naturfreundehaus untergekommen sind. Mitorganisatorin Laura Gamper zieht eine positive Bilanz der Aktion: „Es ist alles super gelaufen, genau so wie geplant“ – auch, wenn schlussendlich weniger Menschen mit nach Deutschland reisen wollten als ursprünglich angenommen. Dennoch sei in Polen alles gut gegangen und die Helfer seien herzlich empfangen worden.
Solidarität ist spürbar
Gleiches berichtet der Radolfzeller Thomas Kruismann, der die Busse mit einem Lastwagen von seinem Arbeitgeber Schlör voller Hilfsgüter begleitet hat. So hätten ein paar Motorrad-Fans in Lederkluft an der Flüchtlingsaufnahmestelle in Polen eine Feldküche aufgebaut und Tee und Kaffee ausgegeben. „Die Solidarität war über unsere Gruppe hinaus absolut spürbar“, erinnert er sich – und das nicht nur in Polen selbst.
Auf dem jeweils 18 Stunden langen Hin- und Rückweg habe er zahlreiche Hilfskonvois gesehen – „große, kleine und auch Privatleute, die ihre Autos vollgeladen haben“, nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus anderen Ländern wie Schweden, Spanien und den Niederlanden. „Das war ganz beflügelnd.“
Zwischen Faszination und Entsetzen
Dennoch erzählt er auch von weniger schönen Erlebnissen an der Flüchtlingsaufnahmestelle in Polen. „Man schwankte ständig zwischen Faszination, was da auf die Beine gestellt wurde, und Entsetzen“, sagt er.
Die zahlreichen Flüchtlinge zu sehen, darunter zum Großteil Frauen und Kinder, und zu wissen, dass diese bei beißender Kälte aus ihrer Heimat geflohen seien und nicht nur Besitztümer, sondern auch Ehemänner, Söhne und Väter zurücklassen mussten, das habe ihn sehr schockiert. „Man wusste genau, vor drei Wochen war deren Welt noch in Ordnung“, sagt er. Und innerhalb von ein paar Tagen habe sich ihr Leben drastisch geändert.
Er würde jederzeit wieder helfen
Den Flüchtlingen seien das Erlebte und die belastenden Umstände auch anzusehen gewesen. „Das schlimmste war, denke ich, die Angst um die Angehörigen.“ Das nicht nur in den Nachrichten, sondern aus nächster Nähe zu sehen, da sei ihm die Spucke weggeblieben. Zudem sei ihnen gemeldet worden, dass nicht weit von der Flüchtlingsaufnahmestelle entfernt Kampfjets abgeschossen wurden. Gehört habe er zwar nichts, aber alleine schon, davon zu erfahren, „das war ein sehr einschneidendes Erlebnis“.
Trotzdem würde Thomas Kruismann sofort wieder helfen – „jederzeit gerne wieder“. Schon im Vorfeld sei ihm klar gewesen, dass er unterstützen müsse. „Da habe ich gar nicht drüber nachgedacht“, sagt er. Denn wenn kein Fahrer für den Schlör-Lastwagen gefunden worden wäre, hätte eine ganze Ladung Hilfsgüter nicht transportiert werden können.
Flüchtlinge sollen weiter betreut werden
Und nicht nur Kruismann ist bereit, nochmal anzupacken. Das Team rund um Laura Gamper hat bereits Ideen für weitere Aktionen. Zum einen sei man mit Flüchtlingen in Radolfzell in Kontakt, falls etwa mit den Unterkünften etwas noch nicht passt oder sie nur zeitlich begrenzt zur Verfügung stehen. Für eine hochschwangere Frau, die bei Gampers Mutter untergekommen ist, seien zudem bereits Babysachen sowie ein Kontakt zu einem Arzt organisiert worden, und auch für die anderen wollen sich die Helfer weiter einsetzen.

„Es ist in unserer Verantwortung, uns um die, die da sind, gut zu kümmern“, sagt Laura Gamper. „Es ist wichtig, dass die Leute sich gut betreut fühlen und man die nicht einfach abstellt.“ So wollen die Helfer zum Beispiel von Spendengeldern Kleidung, vor allem neue Schuhe, für die Flüchtlinge kaufen. Zudem gebe es viel Unterstützung von außerhalb, Sportvereine hätten etwa angeboten, Sport für geflüchtete Kinder zu organisieren.
Überlegen, wie es weitergeht
„Gleichzeitig sind wir in der Überlegung, wie geht es weiter“, berichtet Laura Gamper. So überlege das Helferteam, ob ein gemeinnütziger Verein gegründet werden solle, um die Spenden zu sammeln. Und man könne sich vorstellen, noch einmal zur Flüchtlingsaufnahmestelle zu fahren. Laut Laura Gamper hätten sie von den Geflüchteten in Radolfzell schon von weiteren Personen erfahren, die gerne an den Bodensee möchten.
So habe man etwa bei der ersten Fahrt ein Kind einer Familie mit den Großeltern in Polen lassen müssen, da es Fieber hatte und nicht transportfähig war. Und die Freundin eines Jugendlichen, der alleine nach Radolfzell kam, wolle auch nachkommen. Diesen Leuten und auch anderen, die mitkommen wollen, zu helfen, „das ist uns ein wahnsinniges Anliegen“, so Laura Gamper.
Abhängig sei eine weitere Fahrt aber auch vom Kriegsverlauf, denn die Helfer selbst sollen nicht gefährdet werden, falls Kampfhandlungen zu nah an der polnisch-ukrainischen Grenze stattfinden. „Wenn die Lage zu kritisch ist, dann fahren wir da nicht hin“, sagt Laura Gamper deutlich.
Großer Zusammenhalt in der Krise
Großes Lob gibt es von ihr für die enorme Hilfsbereitschaft. „Wir wohnen in der besten Stadt der Welt“, ist sie sich sicher. Und nicht nur das. Gamper ergänzt: „Wir haben das beste Team der Welt“. Jeder habe super mit angepackt und einander abgelöst, wenn es für einen zu viel wurde.
Laura Gamper freut sich über den großen Zusammenhalt in der Krise. Sie erinnert sich an eine Aussage von Isabel Lendle, die ebenfalls zum Helferteam gehört: „Was Corona an Gemeinschaft kaputt gemacht habe, holen wir uns jetzt wieder zurück.“ Geplant sei nun auch noch ein Helferfest, an dem auch die ukrainischen Flüchtlinge in Radolfzell teilnehmen sollen.