An den Wänden des Bodenseereiters stehen in weißer Schrift Sätze wie „Kein Gewerbe im Feuchtbiotop Streuhau„, alte Indianerweißheiten ausgedruckt auf DIN A4-Blättern machen auf die Wichtigkeit der Natur aufmerksam. Daneben Aufkleber von Fridays for Future Radolfzell. „Wir kommen wieder“, steht darauf. Es sind die Überbleibsel derjenigen, die in den vergangenen Monaten gegen den Hotelbau im Streuhau im Radolfzeller Herzengelände vorgehen wollten.

Einer dieser Projektgegner ist Heinz Keller. Der 79-Jährige hat es sich zur Mission gemacht, den geplanten Bau einer neuen Ferienanlage dort zu verhindern. Obwohl er mittlerweile in Singen wohnt, liegt das Streuhau ihm am Herzen. Denn Keller ist in Radolfzell aufgewachsen, genauer in Neu-Bohlingen, dem Viertel, das gegenüber dem Streuhau liegt. „Ich habe in meiner Kindheit viel Zeit in diesem Urwald verbracht“, erinnert sich Keller. Mit den Tieren dort war er vertraut: „Ich habe viele beobachtet.“ Das hat bei Heinz Keller zu einer großen emotionalen Bindung mit dem Streuhau geführt.
Kindheit im Streuhau
Als vierjähriger Bube erlebte er dort das Kriegsende 1945. „Mit meiner Mutter habe ich mich am Tag der Befreiung im Streuhau, wo die SS ein Militär Depot eingerichtet hatte, versteckt“, erzählt Keller. Das Streuhau blieb in den folgenden Jahren der Abenteuerspielplatz für Heinz Keller. „Ich habe für die Fische Fallen aus Sand gebaut, ich bin durch den Wald gelaufen und habe Tiere beobachtet.“ In besonderer Erinnerung sind ihm die Fahrten auf den See mit seinem Großvater Franz Keller geblieben. „ Er war Fischer, mit ihm bin ich oft frühmorgens im Ruderboot über den stillen See bis zur Reichenau gefahren. Wenn dann zur vollen Stunde die Kirchturmglocken läuteten, haben wir angehalten und gebetet“, berichtet Keller. „Das waren ganz besondere Momente“.

Diese emotianale Bindung hat tiefe Wurzeln im Wertesystem von Heinz Keller geschlagen. Mit diesen Erlebnissen begründet er sein jetziges Engagement für das Streuhau. Sie hätten ihm Achtung und auch so etwas wie Liebe zu den Naturreservaten wie Streuhau und Radolfzeller Aachried gelehrt. „Der Großvater ist immer mit dabei“, sagt Keller beim Fototermin im Streuhau. Der Fischer habe in dem Gebiet etwas Besonderes und Schützenswertes gesehen. Als tief gläubiger Mann sei er überzeugt gewesen, „Gott habe einen guten Tag gehabt, als er den Untersee erschaffen habe“, berichtet sein Enkel.
Er war schon immer fasziniert von der Natur
Heinz Keller arbeitete während seines Berufslebens in verschiedenen Botschaften im diplomatischen Dienst. So lebte er in Gambia, Indonesien und Ghana. Die Urwälder und Naturschätze dieser Länder faszinierten ihn wie schon das Streuhau in seiner Kindheit. Heute engagiert er sich für die Erhaltung des Regenwalds in Brasilien. Doch Heinz Keller warnt davor, dabei den Blick auf die Gebiete vor der eigenen Haustür zu verlieren: „Es ist wichtig, in Sachen Umweltschutz nicht nur ans andere Ende der Welt zu schauen“, sagt er.
Um den Bau des neuen Tourismusprojekts im Streuhau zu verhindern, hat Heinz Keller das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit in Berlin kontaktiert. Die Antwort sei für ihn ernüchternd gewesen: Die Prüfung der naturschutzrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens sei Sache der zuständigen Behörden des Landes Baden-Württemberg. Nun hat sich Keller an Ministerpräsident Winfried Kretschmann gewandt und wartet auf dessen Antwort.

In der Zwischenzeit versucht Keller, auf eigene Faust etwas zu unternehmen. Für ihn liegt die Lösung in einer Bürgerbewegung. „Wenn man das hier zerstört, dann ist es weg. Das kriegt man nie wieder“, sagt Heinz Keller. Das Streuhau sei ein Naturschatz direkt an der Stadt. „Mal davon abgesehen, dass viele Tiere und Pflanzen den Ort brauchen, ist er auch für uns Menschen wichtig“, betont Keller. Er könne nicht glauben, „dass man für den Profit bereit ist, solche Gebiete zu zerstören“.

Im vergangenen Jahr gab es immer wieder hitzige Diskussionen um das Streuhau. Auf der Wiese sind seltene Pflanzen und Tiere beherbergt. Dasselbe gilt für den Urwald neben der Wiese. In den Jahrzehnten davor waren bereits touristische Projekte auf dem Gelände des Bodenssereiters geplant. Dann kam der Vorschlag, die Schutzgebiete zu tauschen. Das Gelände zwischen den Schutzgebieten Aachried und Streuhau – also da, wo sich der Bodenseereiter befindet – soll zum Landschaftsschutzgebiet erhoben werden. Dafür soll eine touristische Entwicklung im Streuhau ermöglicht werden. Investor Bernd Schuler plant nach eigenen Angaben das Projekt im Rahmen des „schonenden Tourismus“. Man wolle die Natur nur minimal beeinflussen.
Heinz Keller reicht das aber nicht. Er will den geplanten Bau verhindern, auch wenn das momentan noch ein einsamer Kampf ist. Die Gegner haben sich noch nicht organisiert. Auch die lokale Bewegung Fridays for Future Radolfzell hat hier noch keine Demo organisiert.
Auf Anfrage hat Fridays for Future Radolfzell eine Stellungnahme geschickt. Darin wird auf die ausgerufene „Klimakrise Radolfzell Aktiv“ verwiesen. Der geplante Ferienkomplex im Streuhau, so die Mitglieder der lokalen Klimaschutzbewegung, sei nicht im Sinne des Klimaschutzes und würde sich negativ auf die Radolfzeller Klimabilanz auswirken. Auf lokaler Ebene müsse alles dafür getan werden, um Naturflächen zu erhalten und bedrohte Arten zu schützen. Wie Heinz Keller sehen auch sie die Lösung in einer Bürgerinitiative. Denn alleine könne Fridays for Future Radolfzell dem Bau des Ferienkomplexes nicht entgegenwirken.
Feriendorf und Natur
- Das Projekt: Investor Bernd Schuler plant im Streuhau ein Feriendorf auf 25 000 Quadratmetern. Das ganze Gebiet zwischen Bodenseereiter und Bora-Areal umfasst sechs Hektar. Das Areal westlich rund um den Bodenseereiter soll als „dienendes Landschaftsschutzgebiet“ ausgewiesen werden.
- Naturschutzverbände: BUND und Nabu haben mit Einschränkungen dem Projekt zugestimmt. Sie sehen im Tausch der Schutzgebiete – das Streuhau wird überbaut, das Gelände Bodenseereiter Schutzgebiet – einen Gewinn für das angrenzende Naturschutzgebiet Radolfzeller Aach. Bisher war das Bodenseereiterareal für eine touristische Entwicklung vorgesehen.