Die Depression ist das Mauerblümchen unter den psychischen Krankheiten. Sie schleicht sich in ein Leben und übernimmt dort die Regie, oft jahrelang kaum bemerkt vom Betroffenen und seinen Angehörigen. Sie ist weder laut noch grell noch cool. Teresa Enke, der Frau des Fußballspielers Robert Enke, gelang es vor mehr als zehn Jahren, durch ihren öffentlichen Auftritt nach dem Suizid ihres Mannes die Erkrankung aus der Nische der Nichtbeachtung zu holen.

Doch nicht jeder ist ein bekannter Profispieler wie Robert Enke. Die meisten Erkrankten bleiben lebenslang unauffällig. Was Paul, der im Zentrum für Psychiatrie Reichenau in Behandlung war, mit Menschen wie Enke verbindet, ist die enorm hohe Leistungsbereitschaft, die viele Depressive gemeinsam haben.

In Pauls Fall geht es um Überlastung

„Meine Erkrankung kann ich über die vergangenen zehn Jahre beobachten, sie hat sich eingeschlichen“, sagt Paul, der seinen richtigen Namen nicht nennen möchte, um sich und seine Familie zu schützen, „vieles davon hatte mit Überlastung zu tun. Ich habe nur noch gearbeitet.“ Paul beschreibt sich selbst als gutmütig, er ist ein Kümmerer, neige dazu, andere zu unterstützen. Nicht nur am Arbeitsplatz kümmert er sich, auch zuhause ist er für Frau und Tochter da, die beide krank sind.

Schlafstörungen und Erschöpfung

Das geht nicht ewig gut. Er hat das Gefühl, nur noch zu geben und nichts mehr zurückzubekommen. „Irgendwann dachte ich: Ich mag nicht mehr.“ Die Anzeichen sind zuerst im Privatleben erkennbar: Der 48-Jährige sagt Termine ab, schickt seine Frau alleine zu Verabredungen. Kleinigkeiten werden zur Belastung. Er schläft abends zwar erschöpft ein, wacht später aber wieder auf und kann nicht mehr schlafen.

Ist das Leben noch lebenswert?

Bald kommen Gedanken zum Wert des Lebens hinzu. „Wenn ich sterbe, wäre das alles nicht mehr da“, solche und ähnliche Ideen bestimmen sein Denken immer häufiger.

Es folgt ein Nervenzusammenbruch mit Panikattacke, er habe geweint und gezittert. Das ist für Paul der Anlass zu handeln. Er kommt auf die Akutstation und damit aus seinem Umfeld heraus.

Der Leistungsanspruch wird zum Problem

Monika Bottlender, Oberärztin auf der Psychosomatischen Station am ZfP, erkennt in Pauls Geschichte einen typischen Verlauf einer Depression. Der Patient habe einen sehr hohen Leistungsanspruch. „Der Depressive denkt über lange Zeit: Das muss ich schaffen. In seinem Fall hat dies die Depression ausgelöst“, sagt Bottlender. Die Ursachen von Depressionen seien zweigeteilt, es gebe genetische und psychosoziale Faktoren. „In diesem Fall spielte die objektive Belastung des Patienten die ausschlaggebende Rolle.“

Als Paul auf die Psychosomatische Station kommt, fühlt er sich rasch an der richtigen Stelle. Allein die Erkenntnis, dass er erkrankt sei und, dass man diese Krankheit benennen kann, hilft ihm weiter. Die verschiedenen Therapien hätten ihm geholfen, ruhiger zu werden und das stundenlange Grübeln zu bekämpfen. Er neige immer noch zum Grübeln, aber es habe jetzt andere Inhalte: „Eher geht es um die Frage: ‚Wie schaffe ich das?‘ als ‚Ich will sterben‘“, sagt Paul.

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Nach der Entlassung folgt die Bewährungsprobe

Nach vier Wochen im ZfP hat sich der Patient stabilisiert. Nun geht es verstärkt darum, wie Paul künftig den Alltag zuhause bewältigen kann. Es sei das Bestreben der psychiatrischen Einrichtung, die Angehörigen einzubeziehen, erläutert Bottlender. Dabei gehe es um praktische Fragen: „Was kann man familiär umverteilen? Was kann man extern vergeben?“.

Die Suizidgedanken sind nicht mehr da

Eine Depression schleicht sich still und leise ein. Und sie ist nicht einfach irgendwann vorbei. Sie geht langsam und unfreiwillig. Irgendwann wird es im Denken des Betroffenen wieder heller, fast unbemerkt. Wie, wenn im Winter die Tage allmählich wieder länger werden. Paul kann dennoch Momente nennen, die gleich mehr Licht brachten: „Zum Beispiel gingen die Suizidgedanken gleich in der ersten Woche meines Aufenthalts weg.“

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Wie geht es weiter?

Nach dem Aufenthalt im ZfP geht es für Paul darum, den Alltag auch ohne Unterstützung der Ärzte und Mitpatienten der Psychosomatischen Station zu schaffen. Das ist nicht einfach, aber es gibt Signale, auch von engsten Angehörigen. Seine Frau habe ihm gesagt, er sei ruhiger geworden, aber noch lang nicht so ausgeglichen wie früher.

Viele Pläne – vor allem zum eigenen Wohl

Paul beobachtet sich selbst und nutzt Strategien, die ihm erst die Krankheit eröffnete: „Das Nicht-mehr-leben-Wollen hat dafür gesorgt, dass mein Hang zur Perfektion schwächer wurde. Jetzt muss ich noch versuchen, das ins Positive zu wenden.“ Er hat viele Pläne, möchte sich wieder mehr nach außen wenden, Dinge für sich machen, spazieren gehen, Zeit haben. Große Aufgaben im Moment. Aber die Krankheit wird irgendwann schwächer – und dann wird es Zeit, das in der Therapie Gelernte umzusetzen.