Die meisten Menschen lieben ihre Heimat, das Zuhause, die gewohnte Umgebung. Weil sie sich hier geborgen und gut aufgehoben fühlen. Die eigenen vier Wänden schenken Sicherheit und Wohlbehagen. Das gilt natürlich und vielleicht sogar ganz besonders für kranke Menschen. Das eigene Bett, die gewohnte Couch, Freunde und Familie – das alles kann beim Genesungsprozess helfen. Natürlich gibt es Fälle, bei denen medizinische Hilfe im Krankenhaus unbedingt notwendig ist. Doch wer will bestreiten, dass es daheim am schönsten ist?
Behandlung daheim als Kassenleistung
Krankenkassen erkennen diese Tatsache offenbar mehr und mehr an. Zumindest, wenn es um psychische Krankheiten geht. „Seit 1. Januar 2018 ist das Programm eine reguläre Kassenleistung“, erklärt Roman Knorr, der neue Chefarzt der Klinik für Sozialpsychiatrie. Das Programm – das ist das Stäb, die stationsäquivalente Behandlung. Patienten werden behandelt wie in der Klinik, sogar eher noch intensiver und zeitaufwendiger – nur eben in ihrem Zuhause. Roman Knorr erläutert: „Diese Behandlung ist nach Umfang und Inhalt einer vollstationären gleichwertig. Sie eröffnet die schon lange geforderte Möglichkeit, akut erkrankte Betroffene in ihrem gewohnten häuslichen Umfeld zu behandeln. Stäb ist eine Regelleistung der Krankenkassen. Ausschlusskriterien sind Eigen- und Fremdgefährdung.“
Voraussetzung: Alle sind einverstanden
Wenn alle Beteiligten mit dieser Art der Therapie einverstanden sind, also Patienten, Ärzte, Therapeuten oder Familienangehörige, wird Stäb umgesetzt. Und so kommt es auch, dass aktuell nur elf von fünfzehn Plätzen beim ZfP vergeben sind. „Manche Patienten fühlen sich in der Klinik sicherer. Das müssen wir dann akzeptieren“, so Roman Knorr. In diesem Jahr hat er sich vorgenommen, alle fünfzehn Plätze vergeben zu können. Seit Stäb vom ZfP angeboten wird, haben rund 100 Patienten daran teilgenommen, „und die Resonanz ist überwiegend positiv“, wie Roman Knorr weiß.
„Mir tut die gewohnte Umgebung gut“
Brigitte (Name von der Redaktion geändert) nimmt das Angebot gerne an. Seit leidet seit dem Jahr 2000 an schweren Depressionen. „Ich war schon sehr oft stationär in der Klinik“, erzählt sie dem SÜDKURIER. „Ich kenne den Unterschied genau. Mir tut es sehr gut, wenn ich in meiner gewohnten Umgebung bin. Mein Bett und mein Bad sind mir sehr wichtig.“ Außerdem, so sagt sie, „außerdem werden alle Bereiche abgedeckt, die es auch in der Klinik gibt: Visite, Ergo-, Psycho- und Sporttherapie oder Sozialpädagogik. Mir wird sehr viel Zeit geschenkt.“
Roman Knorr bestätigt das: „Ärzte und Therapeuten haben auf Station nur selten so viel Zeit für die Patienten wie beim Hausbesuch.“ Ein Psychologe sei in der Klinik in der Regel nach 15 Minuten schon beim nächsten Patienten, „doch bei Stäb an den Wochentagen jeweils eine Stunde und am Wochenende an beiden Tagen jeweils eine halbe Stunde“. Die teilnehmenden Patienten hätten pro Tag zwei Termine. „Wir leisten Hilfestellung, wie der Alltag daneben bewältigt werden kann“, erklärt Roman Knorr. „So viel direkte Therapie ist in einer Klinik gar nicht möglich.“
Die betroffene Frau genießt neben der familiären Behandlung daheim durch das ZfP die liebevolle Betreuung durch ihren Mann. „Er ist mir eine große Stütze“, sagt sie. „Das Paket, also mein Mann und Stäb, haben dafür gesorgt, dass ich keine Angst mehr habe vor der nächsten Depression.“ Ihr Mann ist bei allen Besprechungen dabei, wie er berichtet: „Ich habe sozusagen den Überblick und kann auch helfen, wenn wir alleine sind. Ich denke, das ist eine sehr gute Lösung.“ Zweimal hat sie bereits die Hilfe daheim in Anspruch genommen, derzeit befindet sie sich im Übergang von Stäb in die ambulante Betreuung.
„Wir haben kein Hausrecht“
Roman Knorr erwähnt einen wichtigen Aspekt der neuwertigen Methode: „Wir haben keinerlei Hausrecht und sind lediglich Gäste bei unseren Patienten“, sagt er. „Die Patienten könnten uns sozusagen rausschmeißen, wenn sie nicht zufrieden und glücklich sind.“ Die Patientin lächelt, wenn sie diese Worte hört: „Sie sind auf jeden Fall sehr gern gesehen Gäste.“
Sie finden alle Artikel der SÜDKURIER-Serie über das ZfP Reichenau gesammelt auf dieser Seite.