Das Schlimmste hinter und trotzdem noch einen Berg vor sich zu haben. So beschreibt Simone ihre aktuelle Situation. Die junge Frau heißt anders, zu ihrem Schutz wahrt die Redaktion ihre Anonymität. Denn Simone leidet an einer Posttraumatischen Belastungsstörung, kurz PTBS. Eine Erkrankung, an der unter anderem aus Kriegen zurückgekehrte Soldaten leiden können. Sie kann aber auch nach anderen außerordentlich bedrohlichen Ereignissen, zum Beispiel körperliche oder sexuelle Gewalt, auftreten.

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Wie äußert sich die Erkrankung?

„Eine PTBS tritt häufig in Verbindung mit anderen psychischen Störungen auf“, erklärt Hannah Adenauer, darunter Ängste oder Suchtverhalten.

Die Psychologin arbeitet an der Psychotherapeutische Tagesklinik Konstanz, eine Außenstelle des Zentrums für Psychiatrie Reichenau, und hat dort auch Simone über acht Wochen hinweg behandelt. Bei ihr drückte sich das Trauma in Begleitung einer Depression aus, wie die junge Frau berichtet. Vor der Zeit an der Tagesklinik ließ sie sich acht Wochen auf einer Akutstation des ZfP behandeln. „Seit meiner Jugend war ich wegen Depressionen mehrfach in stationärer Behandlung“, sagt sie.

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„Plötzlich war alles wieder da“

Der Auslöser für die eigentliche PTBS war erst der Aufenthalt am ZfP. Dort sei Simone auf einen Ex-Freund getroffen, der ihr vor vielen Jahren Gewalt angetan hatte. „Und plötzlich war alles wieder da“, sagt sie. Das Zusammentreffen löste einen Flashback aus, wie Fachleute sagen. Dabei spiele der Ex-Freund längst keine Rolle mehr in ihrem Leben. Seit 13 Jahren sei sie fest mit einem anderen Mann liiert. „Die meiste Zeit meines Lebens bin ich glücklich“, sagt Simone.

Ein Problem für PTBS-Betroffene: Sie können negative Erinnerungen nicht in die aktuelle Lebensphase einordnen. „Man hat das Gefühl, Damaliges passiere genau hier und jetzt“, beschreibt Simone. Diese ungewollten, sich aufdrängenden Erinnerungen – Intrusionen genannt – sind laut Hannah Adenauer eines der Hauptsymptome einer PTBS. „Hinzu kommen die Vermeidung bestimmter Orte, Personen oder Themen“, erklärt die Psychologin. Außerdem eine Überreizung, die sich in Schlafstörungen, Schreckhaftigkeit oder Reizbarkeit ausdrücke.

Wie eine Schranktür, die ständig aufspringt

„Für Patienten ist es wichtig, dass sie erkennen, was damals war und was heute ist“, sagt sie. Entsprechend laute das wichtigste Therapieziel nicht etwa Verdrängung des Traumas, sondern Einordnung in die Biografie.

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Adenauer nutzt zur Verdeutlichung ein Bild aus dem Alltag: „Während eines Traumas werden viele Dinge schnell und ungeordnet in den Schrank geworfen. Dadurch schließt die Tür nicht richtig und geht häufig auf, so dass Dinge aus dem Schrank herausfallen.“

Ähnlich verhalte es sich mit den sich aufdrängenden traumatischen Erinnerungen, denen die zeitliche und räumliche Verortung fehle. Um im Bild zu bleiben, lautet das Ziel für Simone: Abgetragene Kleidung muss so eingeräumt werden, damit die Tür schließt und nur dann aufgeht, wenn sie bewusst geöffnet werden soll.

Simone machte sich selbst Vorwürfe – ihrem früheren Peiniger aber nicht

„Inzwischen ist das angekommen: Ja, ich bin in der damaligen Beziehung missbraucht worden, aber heute tut das niemand“, sagt die junge Frau.

Die Trauma-Patientin Simone beim Blick über den Konstanzer Trichter an der Seestraße. Ihr richtiger Name ist dem SÜDKURIER bekannt, aus ...
Die Trauma-Patientin Simone beim Blick über den Konstanzer Trichter an der Seestraße. Ihr richtiger Name ist dem SÜDKURIER bekannt, aus Rücksicht wegen ihrer Erkrankung wahrt sie allerdings die Anonymität. | Bild: Oliver Hanser

Sie will aber „noch mehr im Hier und Jetzt sein können. Diese Macht des Missbrauchs aus der Vergangenheit soll verschwinden“, erklärt sie.

Die Macht, die sie beschreibt, hatte zufolge, dass sie alle Emotionen –positive wie negative – ausblendete. „Es war erträglicher, nichts zu fühlen als die Höhen und Tiefen“, sagt sie. Simone sei entweder nicht in der Lage gewesen, überhaupt irgendetwas zu tun; oder sie habe versucht, krampfhaft am Hoch festzuhalten. „Ich driftete dann regelmäßig weg, starrte Löcher in die Luft“, beschreibt sie.

Für das ihr Widerfahrene habe sie Schuld und Scham empfunden. „Ich machte mir schwere Vorwürfe, warum ich das mit mir habe machen lassen“, sagt Simone. Täter- und Opferrollen seien ihr erst im Laufe der Therapie klargeworden.

Der Körper schaltet auf eine Art Notfallprogramm um

Der springende Punkt, warum man in ihrem Fall von einer PTBS spricht: Der Schock hielt nicht nur kurz nach dem Übergriff ihres Ex-Freunds an, wie es nach jedem traumatischen Erlebnisses normal ist. Er wurde zum Langzeit-Zustand. Die Psychologin Hannah Adenauer stellt klar: Nicht der Patient ist verrückt, die Erlebnisse waren es. Eine starke psychische und körperliche Reaktion sei „die normale Folge auf ein abnormales Ereignis“. Der Körper schalte um auf eine Art Notprogramm.

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Für eine erfolgreiche Therapie sei es wichtig, sich gemeinsam mit dem Patienten mit dem Trauma auseinanderzusetzen und ihm zu signalisieren: Gemeinsam halten wir das aus. Denn: Eine Verweigerung setze die stillschweigende Abmachung zur Geheimhaltung zwischen Tätern und Opfern nur fort, könne Scham oder Schuldgefühle sogar noch verstärken.

Hannah Adenauer bezeichnet die Trauma-Aufarbeitung in der Therapie als „ausgesprochen menschliches Verfahren“. Als Therapeutin biete sie an, “auch schambesetzte und Angst auslösende Erlebnisse der Patientin zu teilen“.

Simone ist auf diesem Weg schon ein gutes Stück vorangeschritten – auch wenn da noch dieser Berg an weiterer Therapiearbeit vor ihr liege.

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