David Resch* steigt in den Bus der Linie 1. Er setzt sich auf einen freien Platz, mit dem Rücken zur Fahrtrichtung. Irgendwann kommt eine Rechtskurve, die Straße führt jetzt steil nach unten zur Fähre, die nach Meersburg fährt. Der Bus beschleunigt. Und Resch bekommt große Angst. Malt sich aus, was ihm zustoßen könnte. Was, wenn die Bremsen ausfallen? Oder die elastische Verbindung des Gelenkbusses reißt? Er ist die Strecke zuvor schon hunderte Male gefahren, aber etwas in ihm ist anders.

David Resch, ein junger Mann, wird am Zentrum für Psychiatrie Reichenau (ZfP) wegen einer Psychose behandelt. Psychosen sind psychische Störungen, bei denen die Betroffenen an Symptomen wie Wahnvorstellungen, Halluzinationen und Ich-Störungen leiden. Angstzustände, wie zu Beginn beschrieben, hatte Resch nach seiner akuten Psychose häufig. Sie seien typisch für Psychosepatienten, sagt Psychotherapeut Daniel Nischk: „Manche Menschen sind in ihren Grundüberzeugungen erschüttert und müssen neu lernen, sich im Alltag zurechtzufinden. Im Kontakt mit anderen Leuten wissen sie beispielsweise häufig nicht, wie sie sich verhalten sollen.“

Volontär Jonas Schönfelder im Gespräch mit David Resch* und dem Psychotherapeuten Daniel Nischk (von links)
Volontär Jonas Schönfelder im Gespräch mit David Resch* und dem Psychotherapeuten Daniel Nischk (von links) | Bild: Oliver Hanser

Alltagsbewältigung in der Gruppe

Nischk leitet die Station 34 am ZfP, die David Resch tagsüber besucht. In der sogenannten Soteria leben bis zu zwölf junge Patienten mit Psychoseerfahrungen in einer Art Wohngemeinschaft zusammen. Sie kochen gemeinsam, machen Bewegungstherapie, Ausflüge und führen Gruppengespräche.

Das hilft David Resch, wieder in einen geordneten Alltag zu finden, den er so lange nicht mehr hatte. Schon im Kindes- und Jugendalter war er in psychologischer Betreuung, weil ihn die Situation in seiner Familie überforderte.

„Als ob sich meine Seele auflösen würde“

Rückblick auf das Jahr 2018: Nach einem abgebrochenen Studium möchte er einen Neuanfang. Im Frühjahr ist er beim Probearbeiten für ein duales Studium. Der erste Tag läuft gut, er kennt sich aus in dem Thema. Am zweiten Tag sieht es anders aus: „Wirklich viel verstanden habe ich nicht“, berichtet er. Er hat Angst zu versagen, büffelt abends im Hotelzimmer. „Mir ist aufgefallen, was ich alles nicht weiß. Das hat mich erschüttert.“ Er fühlt sich wie eingefroren, vergisst zu essen. Als er schlafen möchte, hat er ein Gefühl, das er noch nie zuvor in seinem Leben hatte: „Als ob sich irgendetwas von mir abspaltet. Ich konnte mich nur kurz ablenken, aber dann kam es noch stärker wieder. Das war ein Gefühl, als ob sich meine Seele auflösen würde. Ich dachte, ich verschwinde einfach.“

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Aufgrund seiner akuten Psychose bringt der Rettungsdienst David Resch in die Psychiatrie. Mehrere Monate ist er in stationärer Behandlung, später in der Tagesklinik. Er berichtet von Reizüberflutung, einer großen Angst vor den eigenen Gedanken und einer kurzen Paranoia-Phase. Er beobachtet, wie in der Psychiatrie Dokumente mit Patientendaten vor der Entsorgung geschreddert werden. „Ich dachte, das liege daran, dass die Mafia es in der Vergangenheit auf Patienten abgesehen hat, weil sie so verwundbar sind“, beschreibt Resch sein Gefühl von damals.

Im Wohnzimmer der Soteria können die jungen Menschen entspannen, Gesellschaftsspiele spielen und Musik machen.
Im Wohnzimmer der Soteria können die jungen Menschen entspannen, Gesellschaftsspiele spielen und Musik machen. | Bild: Jonas Schönfelder

„Wenn ein Wahnerleben ganz stark ist, kann es auch handlungsleitend werden“, sagt Daniel Nischk. Patienten hätten zum Beispiel das Gefühl, sie müssten fliehen. Die Psychose selbst lasse sich durch Medikamente und Gespräche in der Regel jedoch gut behandeln, erklärt der Psychotherapeut. Schwieriger sei die Zeit danach. „Dann kommt ein Tal, eine Phase der Negativsymptome, in der es den Patienten ganz schwerfällt, sich aufzuraffen.“ Dazu gehören laut Nischk Depressionen und eine starke Angst vor der Zukunft.

Psychische Erkrankungen werden oft verschleppt

„Es ist leider üblich, dass diese Phase ungefähr ein Jahr dauert, bis man wieder einsatzfähiger wird. Das muss man aushalten und kann relativ wenig machen“, so Nischk. In der Soteria komme deshalb das Konzept der gemeinsamen Alltagsbewältigung zum Einsatz: „Was hier gut klappt, klappt dann zu Hause hoffentlich einfacher. Das Essen wird hier nicht auf dem Tablett serviert, sondern die Leute kochen selbst.“

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Zwei weitere Vorteile sieht Nischk in der Soteria: Oftmals seien Menschen schon monatelang krank, bevor sie sich behandeln ließen. Die Soteria biete ein Angebot für junge Menschen, ohne große Hürden Unterstützung zu finden. Außerdem habe das ZfP ein Modellprojekt der unterstützten Beschäftigung: „Da bekommen junge Leute nach der Psychose einen Job-Coach, der ihnen hilft, wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.“ Das ist auch David Reschs Plan: Er möchte bald ein Freiwilliges Ökologisches Jahr machen.

* Name von der Redaktion geändert

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