Bei der Freigabe des neuen B33-Tunnels an der Waldsiedlung am 14. Juli priesen die Politiker naturgemäß auch die Vorteile für die Anwohner. Und tatsächlich müssen die Menschen in der Waldsiedlung Reichenau jetzt deutlich weniger Verkehrslärm ertragen. Trotzdem überwiegen Wut und Enttäuschung.
Grund ist zum einen die Buslinie 203 Hegne–Wollmatingen, die nun nicht mehr über die Waldsiedlung fährt, sondern über die neue B33 direkt zum Bahnhof Reichenau. Eine Änderung, über die das Landratsamt (LRA) die Gemeinde laut Bürgermeister Wolfgang Zoll erst einen Tag zuvor unterrichtet hatte. Zum anderen begreift kaum ein Autofahrer in der Region, warum die Landesstraße 220 nördlich der Waldsiedlung wegen der Tunnelöffnung gesperrt werden musste.
„Ungewollte und unsinnige Umwege“
Yvonne Flour aus der Waldsiedlung hat über Facebook eine Petition gestartet, die innerhalb weniger Tage von rund 500 Nutzern unterschrieben wurde. Dort heißt es: „Wir fordern die Öffnung der L220 oder akzeptable Teilöffnung der L220, ohne Umwege in Kauf nehmen zu müssen, und eine verbesserte Busanbindung. Durch die Sperrung der L220 sind wir gezwungen, ungewollte und unsinnige Umwege zu fahren.“

Die Petition beklagt zudem, dass es beim Anschluss der neuen B33 an die alte Straße nun eine Sperrung in Richtung Waldsiedlung gibt. Autos wie Busse müssen deshalb weiter in Richtung Konstanz bis zum Kindlebildknoten fahren und dort wenden, wenn sie in die Waldsiedlung möchten. Zusammenfassend heißt es: „Wir fordern eine Verbesserung und Optimierung des Verkehrsanschlusses Waldsiedlung. Feuerwehr/Krankenwagen sollten schnellstmöglich in die Waldsiedlung gelangen.“
Doch bei den zuständigen Behörden gibt es – zumindest bisher – kein Einlenken. Zur Schließung der L220 verweist die Pressestelle des Regierungspräsidiums Freiburg (RP) auf die Planfeststellung zum Neubau der B33 aus dem Jahr 2007. Der Rückbau der L220 zu einem Rad- und Wirtschaftsweg sei dort als naturschutzrechtliche Ausgleichsmaßnahme vereinbart.

Weiter heißt es: „Durch den Wegfall der L220 und damit auch den Wegfall des Knotenpunktes L220/B33 alt rechnen wir mit einer deutlichen Verbesserung des Verkehrsflusses auf der B33.“
Beim Anschluss der neuen an die alte B33 soll es laut der Behörde keinen Kreuzungsverkehr mehr geben, um Staus zu vermeiden. Daher hält sie auch die Sperrung in Richtung Waldsiedlung für nötig. Der Verkehr auf der Fernstraße soll Vorrang haben.

Und der Bus 203? Der könnte künftig theoretisch beim Kindlebildknoten wenden, über die B33 neu zur Waldsiedlung fahren und von dort wie bisher über die Gemeindeverbindungsstraße zum Bahnhof Reichenau. Das würde allerdings die Fahrtzeit um einige Minuten verlängern. Doch beim LRA scheint es derzeit keine Bereitschaft für eine solche Lösung zu geben.
Lapidare Antwort aus der Pressestelle
Auf Nachfrage erklärt die Pressestelle lapidar, dass aufgrund der geänderten Streckenführung der B33 im Zusammenhang mit der Tunnelöffnung die Haltestelle Waldsiedlung aus Richtung Hegne nicht mehr bedient werde. Schüler und sonstige Fahrgäste aus der Waldsiedlung könnten die Linie 204 (Waldsiedlung–Bahnhof Reichenau–Insel) nehmen und müssten dann halt am Bahnhof in die 203 umsteigen.
Damit sich daran vielleicht doch noch etwas ändert, will Yvonne Flour weiter Unterschriften sammeln. „Wir sollten auch gehört werden“, betont sie.
Sie selbst sei mehrfach betroffen. Ihr Sohn soll ab kommendem Schuljahr die Geschwister-Scholl-Schule in Konstanz besuchen. „Dann wäre kein direkter Bus mehr da.“ Und für ein Kind sei dies eine weite Strecke. Zudem arbeite sie in Litzelstetten, und ihre Eltern wohnen in Wollmatingen. Sie fahre nun Umwege – das koste Zeit und Sprit.

Beim Thema L220 macht sie sich aufgrund der Rechtslage zwar keine allzu großen Hoffnungen. Aber wichtig sei der Bus 203, damit die Kinder ohne zusätzliche Wartezeit in die Schule kommen.
Nicole Duru aus der Waldsiedlung pflichtet ihr bei. Ihre Tochter besucht das Marianum in Hegne. „Jetzt im Sommer geht‘s“, meint sie. Da könne sie Fahrrad fahren, auch wenn sie auf dem Radweg an der Bahnlinie dafür eine große Schleife fahren müsse.
Zudem gebe es einen Schotterweg durch den Wald. Aber weder der eine noch der andere seien durchgehend beleuchtet. „Gerade im Winter ist das blöd“, meint Duru und verweist auf den Klimaschutz: „Wenn jetzt alle Eltern mit dem Auto fahren müssen, ist das schlecht für uns und die Umwelt.“
Duru engagierte sich vor rund zehn Jahren für die Einführung des Bürgerbusses zwischen Waldsiedlung und Bahnhof Reichenau, der aber 2020 eingestellt wurde – weil es die gute Anbindung durch den 203er gab.
Vorsitzende des Bürgerbusvereins war lange Zeit Elisabeth Müller. Zwei ihrer Enkel besuchen das Marianum in Hegne. Müller meint, die Sperrung auf der alten B33 Richtung Waldsiedlung könnte man vielleicht durch eine Schranke für den Bus aufweichen. „Möglichkeiten gäbe es, wenn der Wille da ist.“
Bürgermeister Zoll will die Themen Bus und L220 derweil getrennt behandeln. In der Tat sei bei der Online-Petition auch nicht ersichtlich, wofür genau die Leute unterschreiben. Außer bei denen, die zusätzlich einen Kommentar schreiben.
„Ich kann verstehen, dass die Enttäuschung groß ist“, so Zoll. Viele Bürger würden auch ans Rathaus Mails schicken und klagen, dass sie abgehängt seien. Wegen der Busanbindung habe er bereits selbst ans LRA geschrieben, dass es spätestens nach den Ferien eine Lösung brauche.
Zudem sei es schlicht nicht hinnehmbar, dass man erst am Tag zuvor davon erfahren habe. „Die Gemeinde ist genauso überrascht worden wie die Bürgerschaft.“
Auch Zoll meint, der Bus könnte am Kindlebildknoten wenden und zurück zur Waldsiedlung fahren. „Er muss ja nicht tief in die Siedlung rein.“ Das sei nur ein Schlenker. „Im Prinzip geht es um ein paar Minuten.“ Auf der neuen B33 könne der Bus schließlich schneller fahren als bisher, meint Zoll.
Bürgermeister will nachhaken
Beim Thema L220 müsse man differenzieren zwischen dem Endausbau der B33, der nicht vor 2028 geschafft sein dürfte, und der jetzigen Bauphase. Natürlich seien die Sperrung und der Rückbau der L220 in der Planfeststellung festgeschrieben. „Ich will aber die Neubauleitung Singen noch mal um eine Erklärung bitten, warum jetzt schon die Sperrung erfolgt ist“, so Zoll.
Zugleich kann er nachvollziehen, dass Staus am neuen Anschluss vermieden werden sollen – zumal diese dann auch im Tunnel stehen würden.