Herr Prof. Hoffmann, Sie sind ein forensischer Psychiater im Ruhestand. War der Umgang mit Straftätern und geistig kranken Menschen Ihr Alltag?

Ja, der Umgang mit Rechtsbrechern war mehr als 20 Jahre lang mein Beruf. Es waren allerdings nicht alles Straftäter. Es war fachlich und menschlich eine erfüllende Zeit.

Was hat Ihnen an Ihrem Beruf am meisten Spaß gemacht?

Spaß ist nicht der passende Begriff. Ich finde es interessant, das zu erleben, was viele andere in ihrer Freizeit mit True Crime sehen: Menschen, die Grenzen überschritten haben, die schreckliche Dinge getan haben. Dazu gehören, schwere Gewalttaten, Sexualdelikte oder Brandstiftung.

Was ging Ihnen durch den Kopf, wenn Sie einem mutmaßlichen Mörder gegenübersaßen?

Das war sehr unterschiedlich und hängt vom Individuum ab. Der Umgang mit einem sehr kalten Menschen ist anders als mit einem empathischen, dem das, was er getan hat, leidtut. Entsprechend geht man solche Gespräche auch anders an.

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Wie unterscheidet sich ein Gutachten vor Gericht von einer psychiatrischen Behandlung?

Bei einem Gutachten hat der Betroffene das Recht zu schweigen und ist auch nicht der Wahrheit verpflichtet. Außerdem erliegt das, was sie dabei sagen, nicht der ärztlichen Schweigepflicht. Bei einem Gutachten bin ich dazu verpflichtet, meine Ergebnisse weiterzugeben.

Zuletzt fertigten Sie als Beobachter beim Prozess um das Tötungsdelikt von der Reichenau ein forensisches Gutachten über den Angeklagten an. Wie haben Sie damit das Urteil von elf Jahren Haft beeinflusst?

Das weiß ich nicht. Generell lässt sich aber feststellen, dass die Gutachten in Prozessen, in denen es um eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus geht, eine entscheidende Rolle spielen. Ich habe es noch nie erlebt, dass eine forensische Einschätzung von der Spruchkammer völlig anders gesehen wurde.

Empfinden Sie durch Ihre Gutachten eine besondere Verantwortung?

Ja, die Verantwortung ist relativ groß. Daher sind in den vergangenen Jahren die Mindestanforderungen an unseren Beruf angestiegen. Das finde ich sehr gut.

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Kann man Ihrer Meinung nach Menschen in Gut und Böse unterteilen?

Eher nein. Jeder Mensch ist gut und böse. Vieles dazwischen ist Zufall und von gesellschaftlichen Bedingungen abhängig. Ist der Mensch in einem Krieg aufgewachsen? Erlitt ein Mensch durch einen Unfall Hirnschäden und ist dadurch impulsgestört? Viele Dinge können eine Rolle spielen. Es gibt aber natürlich eindeutig schlechte Taten und Handlungen.

Kann also grundsätzlich jeder Mensch zum Mörder werden?

Ja. Es gibt Persönlichkeitseigenschaften, die in der Kriminalität häufiger vorkommen. Das ist vor allem die Rücksichtslosigkeit, die Bereitschaft, über Leichen zu gehen. Das zeigt sich im Einzelnen in der Frage: Wie geht der Mensch mit seinem Partner und seinen Kollegen um? In dieser Hinsicht ist der gesellschaftliche Halt wichtig, also eine erfüllende Arbeit oder eine glückliche Beziehung.

Hat Sie die jahrelange Arbeit mit Rechtsbrechern oder psychisch kranken Menschen verändert?

Ich habe mir diesen Beruf bewusst ausgesucht. Ich bin dankbar für die Erfahrungen. Man wird bescheiden, weil man gut und böse nicht absolut trennen kann. Einige Begegnungen mit bestimmten Menschen machen nachdenklich. Man erkennt die Grenzen der bürgerlichen Gesellschaft und des Friedens.

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Haben Sie manche Fälle mit in Ihr Privatleben getragen?

Es gehört dazu, dass man in der Freizeit über manche Fälle nachdenkt. Mit der Erfahrung wird man gelassener. Schreckliche Delikte oder Gewaltverbrechen belasten jedoch schon. Vor allem, wie im Falle der Tötung auf der Reichenau, wenn ein Mensch zwei Gesichter zeigt. Das überrascht.

Haben Sie auch Fehlentscheidungen getroffen?

Die hat jeder, der lange in einem Beruf tätig ist. Ich glaube, es ist mir meistens gut gelungen, aufzuzeigen, ob eine Person unterzubringen ist. Die endgültige Entscheidung muss jedoch das Gericht treffen. Sicher habe ich in manchen Fällen zu schnell oder zu langsam entschieden. Ich finde das deutsche Rechtssystem in diesem Fall aber gut. Keiner trägt die Verantwortung allein.

Erwischen Sie sich dabei, dass Sie auch im privaten Umfeld die Persönlichkeit Ihrer Mitmenschen analysieren?

Das machen Sie genauso wie ich, nur aus verschiedenen Beweggründen.

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Welche Ferndiagnose würden Sie dem russischen Präsidenten Wladimir Putin ausstellen?

Ich stelle keine Ferngutachten aus. Es ist wichtig, dass ich den Probanden kenne oder zumindest über mehrere Stunden beobachte. Im Fall von Putin wären die Anknüpfungspunkte nur das, was ich in den Medien höre und lese.

Welche Rückschlüsse aus seinen Handlungen lassen sich auf seine Persönlichkeit schließen?

Wie er sich in Syrien, Tschetschenien oder im Konflikt um die Krim verhalten hat und wie er es aktuell tut, zeigt extreme Rücksichtslosigkeit und die Bereitschaft, auch ohne Rücksicht auf eigene mittelfristige Interessen über Hunderttausende von Leichen zu gehen.