Singen – Erst waren es Papiertonnen, die brennen mussten. Am Ende stand die Scheffelhalle in Flammen und wurde zerstört. Vor dem Landgericht hat der Prozess gegen den mutmaßlichen 37-jährigen Brandstifter begonnen.

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Nach dem Auftakt wurde deutlich: Es war nicht die erste Brandstiftung des Angeklagten. Bereits 2013 wurde er zu 15 Monaten Haft verurteilt, nachdem er in einer Scheune im Hegau ein Feuer gelegt hatte. Welche Motive treiben Brandstifter zu immer neuen Taten? Kann das sogar krankhaft sein? Diese und weitere Fragen hat der SÜDKURIER an Jan Bulla gestellt. Er ist forensischer Psychiater beim Zentrum für Psychiatrie Reichenau.

Ist der Angeklagte ein Pyromane?

Auf Nachfrage von Richter Marc Gerster schilderte der Angeklagte, dass es für ihn eine Art innere Befriedung sei, Feuer zu legen: „Es musste einfach etwas brennen.“ Nach eigenen Angaben liege bei dem mutmaßlichen Brandstifter eine diagnostizierte Persönlichkeitsstörung vor.

Der Angeklagte schilderte vor Gericht, dass bei ihm in frühester Kindheit eine Entwicklungsstörung erkannt worden sei: „Wenn ich mehrere Sachen erledigen muss, werde ich nervös und mache Fehler.“ Zudem sei er laut eigenen Angaben spiel- und alkoholsüchtig. Sein Anwalt Günter Manogg sprach davon, dass sein Mandant einen Behinderungsgrad von 70 Prozent habe.

Das sagt der Experte:

Laut Jan Bulla würde sich die Diagnose Pyromanie zwar immer noch in den Klassifikationssystemen für medizinische Diagnosen finden. Sie werde jedoch zunehmend in Frage gestellt, weil zwanghaftes Brandlegen von Psychiatern ohne weitere Symptome so nicht beobachtet werde. „Überhaupt werden nur circa zehn Prozent der Tatverdächtigen psychiatrisch begutachtet“, sagt er.

Sofern eine psychiatrische Diagnose gefunden werde, seien Intelligenzminderungen, Psychosen aus dem Bereich der Schizophrenie, Persönlichkeitsstörungen und Suchterkrankungen besonders häufig. „Eine typische Entwicklung gibt es somit nicht, zu den einzelnen Störungsbildern gibt es mehr oder weniger gesicherte Erkenntnisse zu Ursachen und typischen Entwicklungspfaden“, so Bulla.

Ein 37-jähriger Ex-Feuerwehrmann hat vor dem Landgericht Konstant zugegeben, das Feuer, das zur vollständigen Zerstörung der ...
Ein 37-jähriger Ex-Feuerwehrmann hat vor dem Landgericht Konstant zugegeben, das Feuer, das zur vollständigen Zerstörung der Scheffelhalle führte, gelegt zu haben. | Bild: Matthias Güntert

„Der Angeklagte beschreibt zwar einen Drang, Feuer zu legen, was die Kriterien für Pyromanie erfüllen würde. Die entscheidende Information scheint mir jedoch die Erwähnung einer Persönlichkeitsstörung zu sein“, ergänzt der Experte. Bei Persönlichkeitsstörungen seien die typischen Motive etwa Rache und Erregen von Aufmerksamkeit, die am Ende zu einer Brandstiftung führen könnten, so Bulla weiter. Auch eine Art der Aggressionshemmung komme immer wieder vor. „Aggressive Regungen und Wut werden lange heruntergeschluckt und im Feuer ausgedrückt“, so der Experte.

Lob und Schulterklopfer

Wie der Angeklagte am ersten Verhandlungstag vor dem Gericht berichtete, sei er mehrere Jahre ein Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr gewesen. Den Dienst habe er nach eigenen Aussagen quittiert. „Ich habe dort immer wieder Fehlalarme ausgelöst“, sagte das ehemalige Mitglied einer Freiwilligen Feuerwehr. Als er dann mit der Feuerwehr ausgerückt sei, habe er Anerkennung und Lob erhalten.

Das sagt der Experte:

„Feuerwehrmänner, die Brände gelegt haben, möchten oft als Held gefeiert werden. Sie alarmieren persönlich über das angeblich zufällig entdeckte Feuer und sind die ersten Helfer am Brandherd“, schildert Jan Bulla. Es gehe hierbei um eine besondere Form von Geltungsstreben. „Feuerwehrleute, die Brandstiftungen begangen haben, sind fast durchgängig junge Männer mit Selbstwertproblemen“, ergänzt Bulla.

Ziemlich genau ein Jahr nach dem Brand der Scheffelhalle werden nun die Reste abgebrochen. Dafür braucht es eine Spezialfirma, die auch ...
Ziemlich genau ein Jahr nach dem Brand der Scheffelhalle werden nun die Reste abgebrochen. Dafür braucht es eine Spezialfirma, die auch mit dem Asbest umgehen kann. | Bild: Arndt, Isabelle

Brauchte er den Kick?

Der Angeklagte scheint ein Serientäter zu sein. Vor Gericht wird deutlich, dass er schon mehrere Papiertonnen in Singen angezündet hatte. Neben dem Scheffelhallen-Brand muss er sich vor dem Landgericht Konstanz für drei weitere brennende Papiertonnen im Zeitraum von November 2020 bis Januar 2021 verantworten. Wie bei seinen anderen Brandlegungen habe er auch am Tag, als die Scheffelhalle abbrannte, eine Art „inneren Druck verspürt“. Als die Papiertonne dann brannte, sei er ruhiger geworden. „Das schlechte Gewissen kam erst danach“, sagte er.

Das sagt der Experte:

„Ein Kick wird nicht von allen psychisch kranken Brandstiftern gesucht“, so Jan Bulla. Allerdings würden einige der betroffenen Jungfeuerwehrmänner als Motiv angeben, endlich den ersten richtigen Brandeinsatz gesucht und herbeigeführt zu haben. Gleichzeitig gibt Bulla allerdings auch zu bedenken, dass eine Brandstiftung auch ein Ausdruck unterdrückter Wut oder eines unbewussten Rachemotivs sein könne.

Von der Scheffelhalle stand über ein Jahr hinweg nur eine Ruine. Noch in diesem Jahr soll der Gemeinderat einen Grundsatzbeschluss zum ...
Von der Scheffelhalle stand über ein Jahr hinweg nur eine Ruine. Noch in diesem Jahr soll der Gemeinderat einen Grundsatzbeschluss zum möglichen Wiederaufbau fällen. | Bild: Matthias Güntert

Der 37-Jährige gelobt Besserung

Zum Prozessauftakt im Scheffelhalle-Fall gelobte der Angeklagte Besserung. „Ich möchte einen Job und geregelte Strukturen. Meine Eltern sollen einfach wieder stolz auf mich sein können“, beteuerte er. Sollte man ihn ins Gefängnis sperren, würde dies seiner Einschätzung nach nicht viel bringen: „Dann ist es vier oder fünf Jahre ruhig, aber dann kommen die Probleme wieder.“ Daher stellt sich die Frage: Ist ein Brandstifter therapierbar?

Das sagt der Experte:

„Persönlichkeitsstörungen haben Krankheitswert, da sie erhebliches eigenes und fremdes Leiden verursachen. Sie werden in erster Linie mit Psychotherapie behandelt. Eine längere Behandlungsdauer über mehrere Jahre ist oft erforderlich.“