Südlich des Zentrums für Psychiatrie Reichenau will die Gemeinde wachsen, doch aktuelle Entwicklungen erschweren das Projekt. Beim ersten Bauabschnitt direkt angrenzend an den bestehenden Lindenbühl, mit rund 1,8 Hektar Bauland der größte Teil, droht sogar ein Minus von rund 270.000 Euro.
Und weil dies die finanzielle Situation der Gemeinde möglicherweise überfordern würde, möchte Bürgermeister Wolfgang Zoll auf Anraten externer Experten die ersten beiden von zunächst geplanten drei Bauabschnitten zusammenfassen – gut drei Hektar Nettobauland. Dann soll es rentabler sein.
Jetzt soll es schneller gehen
Sprich: Das Neubaugebiet zwischen Zentrum für Psychiatrie und Gemeindeverbindungsstraße soll demnach schneller entwickelt und vermarktet werden. Statt bis ins Jahr 2050 schon bis 2040, und die ersten beiden Abschnitte schon bis 2035.
Doch bis auf die CDU lehnte eine Ratsmehrheit diese Beschleunigung ab. Stattdessen sollen die Immobilienexperten von der Kommunalentwicklung (KE) Baden-Württemberg, einer Tochtergesellschaft der Landesbank, nun bei einer neuen Berechnung für den ersten Bauabschnitt wenigstens auf eine schwarze Null kommen. Der Bürgermeister sagte angesichts der Kritik aus dem Rat: „Es ist ein so wichtiges Projekt, dass man eine Grundlage braucht, auf die man sich verständigt.“ Das Thema solle bald wieder im Rat diskutiert werden.
Die KE-Experten Markus Lämmle und Konstantin Koch hatten im April 2022 nach einer ersten Grobkalkulation im Gemeinderat das Großprojekt grundsätzlich für machbar und wirtschaftlich erklärt und weit erfreulichere Zahlen präsentiert. Die Gemeinde könnte insgesamt ein Plus zwischen zehn und 19 Millionen Euro machen – allerdings über einen Zeitraum von 20 bis 30 Jahren. Doch Lämmle erklärte nun: „Es haben sich einige Dinge geändert.“ Vor allem Zinsen und Baukosten. So kämen sie insgesamt nur noch auf ein Plus von 5,66 Millionen Euro – etwa im Jahr 2040.
Zeit arbeitet gegen Bauherren
Koch erklärte, bei der neuen Berechnung habe man nun mit einer jährlichen Preissteigerung von drei Prozent kalkuliert und zudem Kosten aufgenommen, die für zusätzlich nötige Kinderbetreuung und Schulausbau anfallen dürften. Somit käme man für den ersten Bauabschnitt auf ein Minus von circa 273.000 Euro. Würde man dagegen die ersten beiden Bauabschnitte zusammen realisieren und dies bereits bis 2035 statt 2040, käme man auf ein Plus von rund 2,6 Millionen Euro.
„Wir können den Markt nicht ändern“, betonte Lämmle. „Wenn Sie den Zeitraum rausziehen, haben wir die Zinsbelastung.“ Und die Grundstückspreise für die Bauherren würden weiter steigen. In ihrer Berechnung haben Lämmle und Koch mit diesen Preisen kalkuliert: 40 Prozent sollen freier Wohnungsbau sein, dabei habe man mit 1000 Euro pro Quadratmeter gerechnet. 30 Prozent sind geförderter Wohnungsbau zu 750 Euro pro Quadratmeter und 30 Prozent sozialer Wohnungsbau mit 500 Euro.

Als Basis für die Berechnung diente der Siegerentwurf des Planungsbüros Wick und Partner aus dem städtebaulichen Wettbewerb, den die Gemeinde im Jahr 2020 durchgeführt hatte. Nach der dortigen Flächenbilanz waren bisher von den rund 8,22 Hektar der Gesamtfläche circa 40.000 Quadratmeter Nettobauland, erklärte Karl Haag vom Planungsbüro.
Um das Projekt unter den neuen Umständen wirtschaftlicher zu machen, habe das Büro überlegt, wie man die Fläche optimaler nutzen könnte. Seine Vorschläge: Sowohl über dem geplanten Quartierszentrum mit Gewerbe im Erdgeschoss sowie über der geplanten Kindertagesstätte und auch den so genannten Parkscheunen für Autos könnte weiterer Wohnraum entstehen.
Zeit lassen? Oder Gas geben?
Armin Okle (Freie Wähler) und Loreen Ratzek (Freie Liste Natur) monierten, dass mehr Wohnfläche wohl auch noch mehr Einwohner bedeute. Die bisher geplante Zahl von rund 1000 Bewohnern war schon umstritten im Rat und der Bevölkerung.
Okle betonte, es gehe ihm in erster Linie um Reichenauer Bürger, die hier auch noch in etlichen Jahren eine Möglichkeit haben sollten. Gabriel Henkes (FLN) betonte: „Wir wollen einen neuen Ortsteil entwickeln – über Jahrzehnte. Das hier ist das Gegenteil.“ Es erschließe sich ihm nicht, warum dies nun beschleunigt werden solle, nur weil beim ersten Bauabschnitt ein Minus drohe.
Kerstin Sauer (FW) meinte ebenso, man dürfe sich von den neuen Zahlen nicht verleiten lassen. Das Neubaugebiet solle vor allem Wohnraum schaffen für Reichenauer Bürger. Da gebe es zwar Interessenten, aber nicht so viele wie für die ersten beiden Bauabschnitte nötig wären.
Ebenso äußerte sich Sandra Graßl-Caluk (SPD). „Wir sollten uns Zeit lassen“, meinte sie. Die Einwohnerzahl im Lindenbühl sei aktuell schon zu hoch für die vorhandene Infrastruktur. Die CDU hielt dagegen. „Wie sollen wir es anders machen?“, fragte Matthias Graf. Die Grundstückspreise würden weiter steigen. „Wer soll sich das noch leisten können?“ Berndt Wagner meinte: „Wir müssen Gas geben.“