Alte Strukturen aufbrechen, Neues ausprobieren, andere Lebensformen und Änderungen in der klassischen Rollenverteilung spielten in den 70er Jahren eine stärkere Rolle als in den Zeiten zuvor. Die damalige Lebensweise wurde offener und bunter. Männer ließen sich die Haare lang wachsen, ausgestellte Schlaghosen aus Cord gehörten in jeden Kleiderschrank und Kinder liebten ihre Bonanzafahrräder mit Bananensatteln und hohen Lenkern.
Autofahren und die eigene Mobilität wurden populärer. Auch der sogenannte kleine Mann konnte sich ein eigenes Auto leisten. Autos ausländischer Marken kamen verstärkt auf den deutschen Markt. Der knallbunte Renault 5 gehörte schon bald zum Straßenbild. Dank dem Autoboom rollten immer mehr Autos auf den deutschen Straßen. Die erste schwere Ölkrise Anfang der 70er Jahre mit autofreien Sonntagen war erst mal überstanden und ein Auto zu besitzen fast schon normal, wenn auch teuer.

Worblingen wird moderner
Mit zunehmendem Verkehr gewann die Sicherheit für die Verkehrsteilnehmer und vor allem eine freie Fahrt für die Autofahrer an Stellenwert. Altes musste Neuem weichen. Im Dorf Worblingen wurde in den Jahren 1976 bis 1979 im Bereich der heutigen Höristraße vieles umgestaltet und die Durchgangsstraße machte sich plötzlich breit im Dorf und sorgt seither für freie Fahrt, denn im beschaulichen Dorf Worblingen musste Platz geschaffen werden für eine breite und sichere Straße. In Worblingen führte die Straße bisher mitten durch das historische und geschichtsträchtige Dorf. Ein schnelles Durchkommen war auf der schmalen und kurvigen Straße nicht möglich. Die Bebauung ringsherum war eng und verwinkelt. Diese alte Verkehrsführung wäre dem heutigen Verkehrsaufkommen kaum gewachsen.
Gasthaus Engel muss weichen
Im Zentrum beherrschte die St. Nikolaus Kirche mit dem gegenüberliegenden Gasthaus „Zum Engel“ und dem Schloss Worblingen mit den dazu gehörenden Gebäuden und Gärten das Dorfbild. Kirche und Gaststätte ergänzten sich hervorragend, bot es sich doch an, nach dem Kirchgang den Engel mit der Engelwirtin Emilie Gnädinger zu besuchen.
Kirche und Schloss stehen heute noch. Viele andere alte Gebäude, inklusive das Gasthaus Zum Engel, mussten in den Jahren 1976 bis 1979 dem Straßenbau und der damaligen Modernisierung weichen. Der alte Ortskern ist heute nicht mehr in seiner ursprünglichen Form zu finden. Etliche Gebäude mit einer langen Vergangenheit machten Platz für den Autoverkehr. Dieser hatte Vorrang vor allen anderen Bedenken. Die Zeit der engen Dorfstraße war vorbei und eine freie und zügige Fahrt möglich geworden.

Das Bild von Worblingen wurde nach den damals vorherrschenden Vorstellungen städtischer und moderner. Worblingen wuchs, neue Baugebiete wurden erschlossen. Aber den historischen Charme mit den vielen Fachwerkgebäuden verlor das kleine Dorf. Sogar der ehemalige Friedhof neben der Kirche mitten im Dorf wurde mit einem Mehrfamilienhaus bebaut. Einheimische, die sich gut an das alte Bild des Dorfes erinnern können, reden in dem Bereich der heutigen Ortsdurchfahrt von der schlimmsten baulichen Katastrophe nach dem Dreißigjährigen Krieg im 17. Jahrhundert.

Vom Charme des historischen Bauerndorfes Worblingen ist auf den ersten Blick nicht mehr viel zu sehen. Heute führt die viel befahrene Höristraße mitten durch das Dorf in Richtung Bodensee.
Den Gasthof Zum Engel gegenüber der Kirche gibt es seit Ende der 70er Jahre nicht mehr. Auf dem Engelgrundstück fahren heute unbehelligt von der geselligen Vergangenheit unzählige Autos. Die aus früherer Zeit gebliebenen Bauwerke wie das Schloss Worblingen oder die St. Nikolaus Kirche sind optisch in den Hintergrund gerückt und nur bei genauem Hinsehen in ihrer wahren baulichen Schönheit zu erkennen. Obwohl, oder vielleicht gerade weil diese Gebäude direkt an der Durchgangsstraße stehen, sind sie beim zügigen Vorbeifahren nicht sofort im Blickfeld der Autofahrer. Die Worblinger lieben ihr Dorf, die Älteren erinnern sich gerne an die alten Zeiten zurück. Und gleichzeitig wissen sie die Annehmlichkeiten der Moderne zu schätzen.
Ein Verein bewahrt Erinnerung
Die Erinnerung an vergangene Zeiten zu erhalten zählt ebenso zu den Aufgaben des Heimat- und Geschichtsvereins Worblingen wie die Wiederaktivierung der dörflichen Kultur durch kulturelle Veranstaltungen, Vorträge und Ausstellungen. Nicht zuletzt die Einrichtung einer Dauerausstellung und die Errichtung eines Museums, verbunden mit dem Aufbau einer Sammlung zur Geschichte und Kultur der Gemeinde, hat sich der Vereinsvorsitzende Ottokar Graf mit seinen Mitstreitern zur Aufgabe gemacht. Dazu setzt er auch auf vereinsüberschreitende Kooperationen mit anderen Institutionen und Vereinen in Rielasingen-Worblingen, wie der Verein auf seiner Internetseite verrät. Der Aufbau einer ortsgeschichtlichen Dokumentationsstelle soll in enger Zusammenarbeit mit den Kulturträgern der Gemeinde verwirklicht werden.